In den USA zugelassenes Medikament bringt keinen Überlebensvorteil für Glioblastom-Patienten
Kombinationstherapie kann das Leben von Patienten mit Glioblastom nicht verlängern/ Ergebnisse zeigen, wie wichtig kontrollierte Studien sind, um Patienten unnötige Behandlungen zu ersparen/ Keine Zulassung für eine Therapie von Hirntumoren in Deutschland, aber eine Option für einzelne Patienten/ Plädoyer für personalisierte Medizin / Studie unter Leitung von Forschern des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums in „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht
Eine Kombinationstherapie mit den Wirkstoffen Lomustin und Bevacizumab kann das Leben von Patienten mit bösartigen Hirntumoren vom Typ eines Glioblastoms nicht verlängern. Das zeigte eine Studie, die unter Leitung des Heidelberger Neurologen Prof. Dr. Wolfgang Wick aktuell in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ erschienen ist. Prof. Dr. Wolfgang Wick ist Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Während Lomustin das Standardmedikament für Patienten mit dieser sehr schnell fortschreitenden Erkrankung ist, wird Bevacizumab bislang in den USA, aber nicht in Deutschland eingesetzt. „Das Medikament wird in den USA auf der Basis einer nicht kontrollierten Studie eingesetzt. Das ist insofern problematisch, weil nur Patienten untersucht wurden, die beide Wirkstoffe bekamen und es keine Kontrollgruppe gab, die nur das etablierte Medikament erhielt“, fasst Prof. Dr. Wolfgang Wick zusammen.
Das Glioblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen. Eine Heilung gibt es noch nicht, die mittlere Überlebenszeit liegt bei wenigen Monaten ohne Behandlung und rund 15 Monaten mit der gängigen Therapie, die aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie besteht. „Wir haben einen großen Bedarf an zusätzlichen Möglichkeiten, um den Patienten zu helfen und zumindest ihre Lebensqualität zu verbessern. Anlass für unsere Studie war daher zu überprüfen, ob zusätzliche Infusionen mit dem Wirkstoff Bevacizumab alle zwei Wochen messbare Vorteile für den Patienten mit sich bringen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang Wick.
Das zweite Medikament verlängerte das durchschnittliche Überleben um wenige Tage
Die Ergebnisse waren zum Bedauern der Forscher negativ: Insgesamt 437 Patienten in acht Ländern nahmen von November 2011 bis zum Dezember 2014 an der Studie teil – 149 der Betroffenen erhielten nur Lomustin, 288 beide Medikamente. Die Studie endete, als 329 Patienten verstorben waren – ein statistischer Wert, der angibt, dass es ausreichend Daten für eine wissenschaftliche Auswertung gibt. „Unsere Berechnungen zeigten, dass das mittlere Überleben in der Patientengruppe mit beiden Medikamenten bei 9,1 Monaten und das bei den Patienten mit einem Medikament bei 8,6 Monaten lag“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Wick. Patienten mit beiden Medikamenten überlebten also statistisch gesehen zwei Wochen länger – zu wenig, um mögliche Nebenwirkungen und hohe Kosten in Kauf zu nehmen. „Auf Basis dieser Daten wird das Medikament in Deutschland nicht zur Therapie eines Glioblastoms zugelassen“, fasst Prof. Dr. Wolfgang Wick zusammen.
Die Studie maß jedoch nicht nur die Überlebensdauer, sondern auch die Zeitspanne, in der sich kein Wachstum des Tumors feststellen ließ. Hier ergab sich nach Ansicht von Prof. Dr. Wolfgang Wick ein zweiter Aspekt, der für weitere Forschungsarbeiten wichtig sein könnte: „Die Patienten mit Kombinationstherapie erlebten statistisch gesehen zunächst eine längere Zeitspanne, in der die Krankheit sie nicht so stark belastete.“ Einzelne Patienten sprachen außerdem sehr gut auf die Kombination beider Medikamente an und überlebten deutlich länger als der Durchschnitt. „Unsere Studie zeigt, dass Bevacizumab keine Standardtherapie bei Glioblastomen werden kann“, fasst Prof. Dr. Wolfgang Wick zusammen. „Sie zeigt aber auch, wie wichtig kontrollierte klinische Studien sind und welche Perspektiven es für eine personalisierte Medizin der Zukunft gibt. Wenn wir über molekulare Marker diejenigen Patienten identifizieren, die von Bevacizumab profitieren, können wir ihnen den Wirkstoff gezielt geben und damit Leben verlängern und Lebensqualität erhöhen.“
Bevacizumab – ein Wirkstoff, der die Durchblutung des Tumors stört
Bevacizumab (Handelsname Avastin) hindert Hirntumoren daran, neue Blutgefäße zu bilden, indem ein entscheidender Wachstumsfaktor durch einen Antikörper gehemmt wird. Tumoren zeigen häufig einen erhöhten Stoffwechsel und sind von einer bestimmten Größe an auf die Ausbildung eines eigenen Gefäßsystems angewiesen. Durch die gezielte Blockade des Wachstumsfaktors bilden sich unreife Blutgefäße zurück, und die Bildung neuer Gefäße wird unterbunden. Dadurch wird die Versorgung des Tumors mit Sauerstoff und Nährstoffen behindert und sein Wachstum gehemmt. Dass diese Wirkung zeitlich begrenzt ist, führen Wissenschaftler auf eine Resistenzbildung zurück – der Tumor findet nach einiger Zeit neue Wege, um Blutgefäße zu bilden. Bevacizumab ist bislang zur Behandlung von Eierstock-, Lungen-, Darm-, Brust- und Nierenkrebs sowie des Zervixkarzinoms zugelassen. Anders als in Deutschland hat es in den USA auch für die Therapie des Glioblastoms eine Zulassung. Hierzulande ist das Krebsmittel aktuell nur in klinischen Studien oder als individueller Heilversuch verfügbar. Kassen können die Behandlungskosten übernehmen – aber sie müssen es nicht.
Literatur
W. Wick, T. Gorlia, M. Bendszus et al., Lomustine and Bevacizumab in Progressive Glioblastoma, N Engl J Med 2017, 377:1954-1963, DOI: 10.1056/NEJMoa1707358
Internet
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Neurologische-Klinik.106839.0.html
Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie (G370): http://www.dkfz.de/de/neuroonkologie/
Kontakt
Prof. Dr. med. Wolfgang Wick
Ärztl. Direktor Neurologische Universitätsklinik Heidelberg und
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg
Abteilungsleiter KKE Neuroonkologie (G370)
Deutsches Krebsforschungszentrum
Tel.: +49 (0) 6221-56/7337
E-Mail: wolfgang.wick@med.uni-heidelberg.de