Diagnoseproblem – Neuer Ratgeber zum irreversiblen Hirnfunktionsausfall
(30.11.2017) Die Gefahr einer Falschdiagnose beim irreversiblen Funktionsausfall des Gehirns muss so gering wie möglich gehalten werden. Dabei wird in der höchst sensiblen Hirntoddiagnostik aktuell vor allem auf die Erfahrung der behandelnden Mediziner gesetzt. Die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) hat jetzt erstmals einen umfassenden Ratgeber entwickelt, der die wichtigsten und häufigsten Fragen rund um das Thema Hirntod zusammenfasst. „Mit den gesammelten Erkenntnissen führender Wissenschaftler können wir klärende Antworten auf mögliche Fehlerquellen bei der Diagnose geben“, sagt DGNI-Präsident Professor Georg Gahn, Direktor der Neurologischen Klinik am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Notwendige Richtwerte und Qualifikationen werden ebenso besprochen wie Streitfälle und Zusatzdiagnosen. Auf der Webseite der DGNI finden Sie Antworten auf die häufigsten Fragen zu Diagnoseproblemen des irreversiblen Funktionsausfalls des Gehirns.
Unter zahlreichen Ärzten hat die vierte Aktualisierung der Richtlinie für die Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls für Verunsicherung gesorgt. Die DGNI hat aus diesem Grund eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die Mitglieder der Fachgesellschaft zu den Problemen mit der geänderten Richtlinie befragt hat. „Sicher kann nicht jede individuelle Situation im Rahmen von Richtlinien berücksichtigt werden – sie erfordert auch eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang. Trotzdem können wir mit unserer Umfrage und den daraus resultierenden Antworten etwas Sicherheit im Umgang mit wiederholt auftretenden Fragestellungen vermitteln“, so Gahn.
DGNI-Teamarbeit: „Wir wollen den Kollegen im Alltag helfen“
Die DGNI-Arbeitsgruppe hat sich mit den zahlreichen Fragen beschäftigt und Vorschläge für eine Beantwortung der Fragen beziehungsweise den Umgang mit diesen Fragen im Alltag erarbeitet. „Wir als NeuroIntensivmediziner sind durch die neuen Richtlinien in das Zentrum der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls gerückt und hoffen, mit unserem Ratgeber-Beitrag eine Hilfestellung für den Alltag der Kollegen leisten zu können“, sagt DGNI-Präsident Gahn. Beteiligt waren an der Arbeit Professor Andreas Ferbert (Kassel), Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther (München), Professor Uwe Walter (Rostock) und Professor Dr. Georg Gahn (Karlsruhe). Unterstützt wurde die Gruppe bei der Überarbeitung des Ratgebers von Professor Wolfgang Müllges (Würzburg) und Dr. Katja Wartenberg (Halle/Saale).
Dies sind die Antworten auf die häufigsten Fragen zur Diagnose beim irreversiblen Funktionsausfall des Gehirns (IHA)
Ist ein starker Blutdruckanstieg bei der Prüfung des Trachealreflexes eine Schmerzreaktion auf rein spinaler Ebene?
Sowohl der Hustenreflex bei trachealer Reizung/Absaugung (Spittler JF et al., Eur J Neurol 2000) als auch ein reproduzierbarer Blutdruckanstieg bei Nackenbeugung (Kuwagata Y et al., Neurosurgery 1991) sind als spinale Reaktionen beschrieben. Bei Diskonnektion vom Respirator können Blutdruckanstiege auch als Folge einer reduzierten Vorlast auftreten.
Tritt der Blutdruckanstieg erst bei Berührung der Trachea auf, ist von einer spinalen Kreislaufreaktion auszugehen. Eine zentrale Schmerzreaktion liegt dann nicht vor. Im Zweifelsfall sollte man einen zerebralen Perfusionsstillstand nachweisen.
Gibt es Richtwerte? Was sind die Halbwertszeiten nach der Beendigung von sedierenden Medikamenten?
Bei schwer Hirngeschädigten besteht keine verlässliche Dosis-Wirkung-Beziehung. Ist damit eigentlich ein nicht nachweisbarer Spiegel zu fordern oder ist dann zwingend (bei nahezu allen) der Perfusionsstillstand nachzuweisen?
Halbwertszeiten bei normaler Leber- und Nierenfunktion sind von allen gängigen Sedativa und sedierenden Analgetika verfügbar. Richtwerte können und sollen im Rahmen der BÄK-Richtlinien aber nicht grundsätzlich vorgegeben werden, da insbesondere medikamentöse Kontextbedingungen eine falsche Sicherheit vortäuschen könnten.
Serumspiegel korrelieren nur näherungsweise mit der klinischen Wirkung von zentral wirksamen Medikamenten. Der in der Intensivmedizin erfahrene Arzt muss beurteilen, ob angesichts der verabreichten Medikamente und angesichts der Eliminationswege (Niereninsuffizienz oder Leberinsuffizienz) und der Eliminationsgeschwindigkeit (Temperatur) die Medikamente zum Untersuchungszeitpunkt üblicherweise nicht mehr so wirksam sind, das Bild des Ausfalls der Hirnfunktionen bei der neurologischen Untersuchung (Schmerzreiz, Apnoe etc.) erzeugen zu können. Das ist einer der Gründe, warum der „in der Intensivmedizin mehrjährig erfahrene Arzt“ verlangt wird. Falls eine solche Beeinflussung vermutet wird, ist der klinische Befund für die IHA-Diagnostik vorerst nicht verwertbar. Andererseits muss nicht gewartet werden, bis die Medikamente zweifelsfrei vollständig aus dem Körper eliminiert sind. Mengen, die den oben genannten neurologischen Befund nicht beeinflussen, können als unkritisch bewertet werden. (Wijdicks EFM. Current concepts: the diagnosis of brain death. N Engl J Med 2001; 344:1215-1221, Walter U, Brüderlein U, Gloger M, Mann S, Walther U. Hirntoddiagnostik nach Gabe von Propofol oder Sufentanil. Empfehlungen zum Umgang mit toxikologischer Analytik. Med Klin Intensivmed Notfmed 2015; 110:145-149). Im Falle einer Unsicherheit kann eine Perfusionsmessung sehr hilfreich für die Entscheidung sein.
Wenn das EEG als konfirmatorische Methode bei einmaliger Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (einschließlich Apnoe-Test) noch Restaktivität zeigt, muss dann die IHA-Diagnostik neu begonnen werden, oder ist eine zweizeitige klinische Untersuchung nach dem vorgeschriebenen Beobachtungszeitraum ausreichend?
Der „Hirntod“ ist definiert als irreversibler Hirnfunktionsausfall. Diese Definition erfordert weder das Erlöschen jedweder elektrischer neuronaler Aktivität noch den Nachweis des zerebralen Perfusionsstillstandes.
Wenn bei einer IHA-Diagnostik im EEG noch Restaktivität (bei Ausschluss von Artefakten) vorliegt, dann liegt zwar ein Hirnfunktionsausfall (HA) vor, aber (möglicherweise) nicht ein irreversibler Hirnfunktionsausfall. Es liegt also die gleiche Situation vor, als wäre bei dieser Untersuchung kein EEG abgeleitet worden. Denn auch dann ist die Irreversibilität des HA nicht festgestellt und Weiteres ist erforderlich. Da alle Methoden zum Nachweis der Irreversibilität bei primären supratentoriellen und sekundären Hirnschädigungen gleich sicher sind, reicht es aus, nach zwölf Stunden erneut eine klinische IHA-Diagnostik durchzuführen, ohne weitere Zusatzdiagnostik (siehe Anmerkung 5 der Richtlinie).
Die Hirnstamm-Areflexie ist von zwei Ärzten unabhängig voneinander festzustellen. Muss also der Apnoe-Test zweimal durchgeführt werden, oder nur von zwei Untersuchern unabhängig voneinander beurteilt werden?
Beide Untersucher müssen sich davon überzeugen, dass eine Apnoe vorliegt. Das können sie auch zeitgleich machen. Sie müssen beide die BGA-Werte berücksichtigen, beide den Patienten klinisch beobachten. Es gibt keinen medizinischen Grund, den Apnoe-Test in Anwesenheit beider Untersucher zweimal nacheinander durchzuführen.
Gelegentlich erfolgt vor Einleitung der formalen Diagnostik eine Doppler-/Duplexsonografie zur Feststellung des Perfusionsstillstands, um sicher auszuschließen, dass potenziell noch im Blut nachweisbare sedierende Substanzen überhaupt ins Gehirn gelangen können. Muss diese Untersuchung zum Nachweis der Irreversibilität zwingend noch einmal wiederholt werden, auch wenn der zerebrale Perfusionsstillstand in der ersten Ultraschall-Untersuchung nachgewiesen wurde?
Die Dopplersonografie muss Richtlinien getreu wiederholt werden, d.h. als konfirmatorische Untersuchung nach der klinischen Feststellung stattfinden.
Die zweifelsfreie Klärung der Ursache der Hirnschädigung ist mitunter problematisch:
Ein 67-jähriger Patient wurde aufgrund seiner Alkoholsucht in der Psychiatrie behandelt. Dort wurde er komatös im Zimmer aufgefunden. Die Notärztin konnte einen schwachen Puls fühlen und gab Katecholamine. Eine Reanimation erfolgte nicht. Bei Aufnahme zeigte der Patient ein septisches Krankheitsbild und als Fokus wurde eine Pneumonie festgestellt. Im CCT zeigten sich ausgedehnte Hypodensitäten des kompletten Kleinhirns und Hirnstamms sowie kortikal temporal, parietal und okzipital. Klinisch lag eine Hirnstamm-Areflexie vor. Neben einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie (sekundäre Hirnschädigung) wurden auch septisch embolische Infarkte und innere Hirnvenenthrombose diskutiert. Letztlich konnte die Ursache nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Trotz eines klinisch nachgewiesenen irreversiblen Hirnfunktionsausfalls konnte die Diagnose „Hirntod“ nicht gestellt werden.
Oft kann man bei Zustand nach Reanimation und Subarachnoidalblutung nicht zwischen primärer und sekundärer Hirnschädigung unterscheiden. In diesem Fall sollte sicherheitshalber wie bei einer sekundären Hirnschädigung verfahren werden.
Was bedeutet „Beurteilung der angewandten apparativen Zusatzdiagnostik“ im Kontext des „Vertrauensgrundsatzes“ in der interdisziplinären fachärztlichen Zusammenarbeit? Dieser scheint durch die Formulierungen und das abschließende Kreuz bei „Richtliniengemäße Qualifikation erfüllt“ im Protokoll faktisch ausgehebelt.
Die Qualifikationsanforderungen an die Untersucher und die Erbringer der apparativen Zusatzuntersuchungen sind in Abschnitt 5 geregelt. Es geht hier nicht um Vertrauen, sondern um Qualifikation. Für die Fachärzte, die die klinische Untersuchung erbringen, gelten andere Anforderungen als für die Ärzte, die die Zusatzuntersuchungen beurteilen. Die Qualifikationsanforderung an die klinischen Untersucher wird im Protokollbogen eigens abgefragt. Dies soll deren Qualifikation sicherstellen. Es gehört zu den Aufgaben derjenigen Ärzte, die die klinische Untersuchung durchführen, auch evtl. erforderliche Zusatzuntersuchungen anzufordern. Sie müssen dies Richtlinien gemäß tun (Abschnitt 3.2 der Richtlinie). Die Anmeldung z.B. einer CTA als Zusatzuntersuchung für eine Todesfeststellung muss so angemeldet werden, dass das in der Richtlinie geforderte Protokoll angewendet wird. Die Untersuchung selbst muss obligat von einem Facharzt für Radiologie mit mehrjähriger Erfahrung in der neuroradiologischen Diagnostik in Hinblick auf Erfüllung des spezifischen Protokolls kontrolliert und beurteilt werden.
Die Gesamtverantwortung für die Todesfeststellung liegt bei den Ärzten, die die Protokollbögen führen und abschließend den irreversiblen Ausfall der Hirnfunktionen (=Tod) dokumentieren. Dazu gehört deshalb auch, sich der korrekten Durchführung der angewandten apparativen Zusatzdiagnostik zu vergewissern.
Wo sind in diesem Zusammenhang die Qualifikationen definiert, die erlauben würden, den Vertrauensgrundsatz infrage zu stellen? Welche Qualifikationen sind zu erlangen, um nachzuweisen, dass die eigene Erfahrung ausreicht, um z.B. die Beurteilungen von Medikamenteneffekten, Limitationen der Verfahren und Interaktionen der Pharmaka leisten zu können. Hier existieren auch in der ärztlichen Weiterbildung nach unserer Kenntnis keine einheitlichen Richtlinien der einzelnen Landesärztekammern.
Die Richtlinie fordert Facharztanerkennung und mehrjährige Intensivmedizin-Erfahrung. Es ist kein spezieller Nachweis dieser Qualifikation erforderlich. Fachärzte mit einer mehrjährigen Intensiverfahrung (dies sind in der Regel Kollegen, die auf der Intensivstation eingesetzt waren) sind üblicherweise bei ihrer Tätigkeit damit befasst, Medikamenteninteraktionen zu berücksichtigen, den Abbau von Medikamenten bei Hypothermie, Leber- und/oder Nierenfunktionseinschränkungen etc. zu bewerten.
Welche Parameter müssen zum Ausschluss einer metabolischen Enzephalopathie bestimmt werden? Welche Grenzwerte sind zu beachten?
Die Untersucher müssen aus der vorliegenden Krankengeschichte mit allen Befunden eine Synopse bilden. Bei einem schweren isolierten Schädel-Hirn-Trauma ohne Hinweis auf eine Intoxikation ist bei Aufnahme auf die Intensivstation nicht von einer zusätzlichen metabolischen Enzephalopathie auszugehen. Stellen sich unter der Behandlung Komplikationen ein, die mit einer metabolischen Enzephalopathie einhergehen könnten, so muss gegengesteuert werden (z.B. Volumen- und Desmopressin-Gabe bei Hypernatriämie bei Diabetes insipidus), und es sind entsprechende Laborkontrollen durchzuführen. Es dürfen keine Labor-Befunde vorliegen, die für sich den Ausfall von Hirnfunktionen begründen könnten (wie z.B. Natrium von 110 mmol/L).
Zusatzdiagnostik: Darf ein Methodenwechsel stattfinden, wenn in einer Methode eine Restfunktion nachgewiesen wurde (z.B. EEG vs. Doppler-Sonografie)?
Der Methodenwechsel ist zulässig und kann sinnvoll sein. Zu prüfen ist stets, ob die jeweilige Methode für das Lebensalter und die Art der Hirnschädigung zugelassen ist.
Kann die Dopplersonografie bei Patienten mit Dekompressions-Kraniotomien als apparative Zusatzdiagnostik eingesetzt werden?
Anmerkung 9 der Richtlinie der BÄK formuliert: „Bei offenen Schädel-Hirn-Verletzungen und bei Dekompressions-Kraniotomien kann eine regional begrenzte zerebrale Zirkulation, z.B. in Folge extra-intrakranieller Anastomosen, auftreten, sodass der zerebrale Zirkulationsstillstand durch die Doppler-/Duplexsonografie der Hirnbasisarterien nicht ausgeschlossen werden kann und durch andere Perfusionsuntersuchungen nachzuweisen ist.“ Die Doppler-/Duplexsonografie darf selbstverständlich immer durchgeführt werden. Gerade nach Kraniotomien kann in einzelnen Territorien aber noch Restfluss nachweisbar sein, auch wenn das nicht mit einem klinischen oder EEG-Befund korrespondiert. Wahrscheinlich ist es sinnvoller, in einer solchen Situation statt einer anderen Perfusionsmessung auf das EEG zurückzugreifen.
Ist eine erneute klinische Untersuchung bei apparativem Methodenwechsel erforderlich?
Die Richtlinie nimmt dazu nicht Stellung. Der Zeitfaktor spielt eine entscheidende Rolle. Wurde direkt im Anschluss an eine klinische Untersuchung eine Perfusions-untersuchung durchgeführt, die bei einer Konstellation wie in Anmerkung 9 der Richtlinie geschildert keinen Perfusionsstillstand zeigt, so kann man unmittelbar eine EEG-Untersuchung anschließen und bei Fehlen von bioelektrischer Hirntätigkeit den Tod feststellen. Führt man die alternativ gewählte ergänzende Untersuchung zu einem deutlich späteren Zeitpunkt durch, dann sollte der klinische Befund sicherheitshalber noch einmal erhoben werden. Entscheidend ist, dass beide Untersucher keinerlei Zweifel an der Validität ihrer Feststellung haben.
Ist bei Nachweis des Zirkulationsstillstandes mittels digitaler Substraktionsangiografie (DSA) eine klinische Untersuchung nicht mehr notwendig?
Die klinische Untersuchung ist immer zwingend durchzuführen. In Anmerkung 9 wird für die CT-Angiografie (CTA) sogar eigens darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung für die Durchführung der CTA der klinische Nachweis der erloschenen Hirnfunktionen ist. Ein nachgewiesener Perfusionsstillstand bei einer unter therapeutischen Gesichtspunkten veranlassten invasiven DSA darf für den Irreversibilitätsnachweis herangezogen werden, auch wenn die DSA vor der klinischen Untersuchung durchgeführt wurde.
Benötigt ein intensivmedizinisch erfahrener Neurologe bei der Durchführung der Diagnostik eine zusätzliche Qualifikation, beispielsweise durch von der Ärztekammer angebotene Kurse „Organtransplantation“, in denen die Feststellung des Hirnfunktionsausfalles auch thematisiert wird?
Über die in den Richtlinien genannten Qualifikationen hinaus sind keine speziellen Qualifikationen erforderlich. Selbstverständlich ist die Vertiefung der eigenen Qualifikation durch zusätzliche Kurse und Curricula sinnvoll (und wird auch ausdrücklich in den RL-BÄK empfohlen). Wie bei allen ärztlichen Tätigkeiten ist der Arzt auch für die Aktualisierung seiner Kenntnisse und Fertigkeiten bei der IHA eigenverantwortlich.
Sollten in jedem Fall toxikologische Untersuchungen erfolgen, oder entsprechendes Material asserviert werden, auch wenn der klinische Verlauf eine Intoxikation unwahrscheinlich erscheinen lässt?
Toxikologische Untersuchungen sind nicht obligat vorgeschrieben (Anmerkung 2 der Richtlinie).
Was bedeutet mehrjährige Erfahrung in der Behandlung neurointensiv-medizinischer Krankheitsbilder genau – nach dem Facharzt erworben?
„Mehrjährig“ bedeutet mindestens zwei Jahre (wie auch sonst üblich bei dieser Formulierung und da in den Richtlinien der BÄK nicht anders spezifiziert). Die Weiterbildung auf der Intensivstation kann vor und/oder nach der Facharztanerkennung stattgefunden haben.
Wie kann man die ärztliche Qualifikation im Streitfall wirksam belegen?
Voraussetzung für die Qualifikation ist die Facharztanerkennung (Zeugnis) und eine praktische Tätigkeit auf der Intensivstation über mindestens zwei Jahre. Ein Tätigkeitsnachweis wird durch Zeugnisse und Einsatzpläne geführt.
Wieviel klinisch nicht nachweisbare Ausfalls-Kriterien (Reflexausfälle) sind durch eine positive CT-Angiografie kompensierbar?
Konkrete Szenarien sind z.B. ein Glasauge oder eine Augenschädigung, was die Prüfung der augenbezogenen Reflexe unmöglich macht (Pupillenreaktion, Kornealreflex, okulozephaler Reflex), eine Gesichtsverletzung, die die Prüfung der mimischen Reaktion bei Schmerzreiz beeinträchtigt, eine Hals-Rachenverletzung, die die Prüfung des Schluckreflexes beeinträchtigt, ausgedehntere Mittelgesichtsfrakturen oder eine schwere COPD mit chronisch erhöhten pCO2-Werten (Apnoe-Test).
Die Richtlinien der BÄK enthalten keine konkrete Aussage dazu, wie viele nicht beurteilbare Hirnstamm-Reflexe durch den Nachweis eines zerebralen Zirkulationsstillstandes kompensiert werden können.
Diese Situation bleibt undurchsichtig. Der Rat ist, eine IHA-Diagnose mit Nachweis eines Perfusionsausfalls allenfalls zuzulassen, wenn einer der Hirnstammreflexe nicht prüfbar ist und der Kontext klinisch keinen Zweifel an einem vollständigen Hirnfunktionsausfall durch die akute Hirnerkrankung aufkommen lässt.
Wird der Apnoe-Test bei der ersten und der zweiten klinischen Untersuchung durchgeführt oder nur nach der zweiten?
Der Apnoe-Test ist bei jeder Untersuchung erforderlich, also bei der Ausgangsuntersuchung und bei der Verlaufsuntersuchung (nach 12/24/72 Stunden je nach Alter des Patienten und Art der Hirnschädigung). Zu einem Zeitpunkt kann er durch beide Untersucher gleichzeitig bewertet werden. Entscheidend ist, dass beide Ärzte den Atemantrieb unabhängig voneinander beurteilen.
Darf das EEG als apparative Zusatzdiagnostik zeitlich vor der ersten Untersuchung liegen?
Nein. Das ist in den „Verfahrensregeln“ (Seite 2 der Richtlinien Spalte 2 unten) für alle konfirmatorischen technischen Untersuchungen so geregelt.
Wie wird der CO2-Wert nachträglich für die Körpertemperatur korrigiert, wenn keine Angabe der Körpertemperatur vor der Messung am BGA-Gerät erfolgte?
Dies ist möglich anhand von Nomogrammen, z.B. verfügbar unter:
http://webmedia.unmc.edu/alliedhealth/CLS/CLS414%2008/Nomogram%2008.pdf
Kann bei einem Patienten mit dekompressiver Kraniektomie die CT-Angiografie als Zusatzuntersuchung eingesetzt werden?
Das ist möglich. Allerdings kann nach einer Entlastungstrepanation ein Perfusionsstillstand trotz untergegangenen Hirngewebes ausbleiben, weshalb man nach Möglichkeit eine andere Methode zum Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome wählen sollte.
Bei der Dopplersonografie werden gezielt definierte Hirnbasisarterien untersucht, nicht jedoch die Hirndurchblutung „im Ganzen“. Es ist daher möglich, dass nach einer Entlastungstrepanation einzelne Inseln im Gewebe über meningeale Anastomosen versorgt werden. Diese Anastomosen könnten der Dopplersonografie entgehen, nicht jedoch der CTA oder dem SPECT.
Welche Kriterien für den Funktionsverlust des Kleinhirns sind in der neuen Definition des Hirntodes gemeint? Die Verluste der Reflexe des Hirnstamms bzw. die Verluste der elektrophysiologischen Reizantworten definieren keinen Funktionsverlust des Kleinhirns.
Es gibt bei den Kriterien für den irreversiblen Hirnfunktionsausfall keinen Test, der Funktionen des Kleinhirns für sich prüfen würde oder könnte. Der isolierte Erhalt von Kleinhirnfunktionen bei aufgegebenen Hirnstamm- und Großhirnfunktionen wird im Sinne der Überlegungen, was einen Menschen ausmacht, nicht das IHA-Konzept erschüttern.
Für die klinischen Aussagen zur Funktion insbesondere des Hirnstamms wäre es notwendig, die Gewebespiegel der Substanzen, mit denen eine Analgosedierung durchgeführt wurde, zu kennen. Denn aus EEG-Verläufen ist bekannt, dass ein isoelektrisches EEG schon nur dadurch entstehen kann, dass bei vorliegendem Delta-EEG (infolge der Hirnschädigung des noch unsedierten Patienten) unter nur milder Sedierung des noch perfundierten Gehirns ein solcher Funktionsverlust entsteht. Es muss zudem vermutet werden, dass sich mit der kontinuierlichen Abnahme der zerebralen Perfusion und/oder Zunahme des Hirndrucks eine Akkumulation der Substanzen im Gewebe aufbauen kann, die nicht mit den Plasmakonzentrationen der Wirkspiegel einfach korreliert, wie sie bei perfundiertem Gehirn zu messen sind. Die funktionelle Vulnerabilität der Hirnstammneurone wäre zu untersuchen. Beim Menschen ist dies nicht untersucht.
Es gibt tatsächlich keine gesicherten Konzentrations-Wirkungsbeziehungen bei den hier diskutierten Hirnschädigungen. Darauf wird in Anmerkung 2 der Richtlinien der BÄK ausdrücklich hingewiesen. Auch auf die ggf. nicht sinnvolle Anwendung des EEG bei Beeinflussung durch Sedativa wird mehrfach hingewiesen. In Zweifelsfällen muss gemäß den Richtlinien die Bestimmung des zerebralen Zirkulationsstillstandes erfolgen.
Apnoe-Test: Bei allmählichem Funktionsverlust des Hirnstamms kann irgendwann eine spontane Atmung oder Hustenreaktion nicht mehr beobachtet werden, dieser Moment wird häufig nicht exakt zeitlich erfasst und dokumentiert. Der Apnoe-Test setzt, wenn man den Ausfall des Atemzentrums beweisen will, voraus, dass die efferenten motorischen Bahnen funktionsfähig sind, was üblicherweise nicht als geprüft (prüfbar) gefordert wird. Dabei muss mit einer unterschiedlich ausgeprägten Funktionsschädigung der deszendierenden motorischen Fasern (z.B. infolge Rückenmarkskompression oder hämorrhagischen Läsionen des Rückenmarks infolge Tonsillentiefstand) gerechnet werden. Besteht nämlich eine wesentliche Funktionsstörung der deszendierenden Bahnen kann die Funktion des Atemzentrums nicht zweifelsfrei geprüft werden. Kann das EEG mit ergänzender Absicherung des Hirnstammfunktionsverlusts, z.B. FAEP o.ä. als apparative Zusatzdiagnostik angewandt werden?
Eine solche Dissoziation des Atemzentrums bei raumfordernden Hirnschäden ist nie beschrieben worden (im Gegensatz zu der Atemlähmung bei neuromuskulären Krankheiten). Bei einer IHA-Diagnostik kommt es auf das Endergebnis, nämlich den Ausfall der Funktion an, unabhängig von der Topologie der Bahnstörung.
In den Richtlinien ist eindeutig festgelegt, dass als Ersatzmethode für eine aus irgendwelchen Gründen nicht eindeutig zu bewertende Apnoe-Testung das EEG nicht geeignet ist. Dann ist eine Methode zum Nachweis eines Zirkulationsstillstandes angezeigt.
Es gibt keine systematische Untersuchung der Hirnstamm-/Rückenmarks-morphologie im Zuge der allmählichen Manifestation des Hirntodes. Je nach Ätiologie sollte der Hirnstamm und das obere Rückenmark bis C4 beobachtet werden, um nicht zuletzt spontane motorische Phänomene wie Wendebewegungen des Kopfes, besondere Spinalisationszeichen etc. besser pathophysiologisch zu verstehen.
Die Richtlinie legt die klinischen Anforderungen und Abläufe für die Feststellung des IHA fest. Die Blutversorgung des kaudalen Hirnstamms und der oberen Anteile des Halsmarkes ist so komplex, dass eine morphologische Aufarbeitung dieser Abschnitte des ZNS und eine Dokumentation der Spinalisationsphänomene bei der Entwicklung eines IHA von Interesse wäre.
Es ist aber nicht Aufgabe der Richtlinie, spinale Phänomene zu erfassen und wissenschaftlich auszuwerten, erst recht nicht, wenn sie zwischenzeitlich bei der Entwicklung hin zum IHA auftreten. Alle mit dem IHA einhergehenden neurologischen Phänomene sollten jedoch in der Krankengeschichte dokumentiert werden.
Wie ist die Anwendung der Magnetresonanzspektroskopie als apparative Zusatzdiagnostik zu bewerten?
Die Datenlage zur MR-Spektroskopie ist bisher für die IHA-Diagnostik nicht validiert.
Ein Patient mit schwerer Hirnschädigung war mit einem Barbiturat sediert. Wegen des infausten Verlaufs wurde diese Sedierung beendet, und es lag klinisch ein Hirnfunktionsausfall vor. Der Barbituratspiegel war aber zu diesem Zeitpunkt noch deutlich erhöht. Kann der Apnoe-Test durch einen apparativen Nachweis des Perfusionsstillstandes ersetzt werden?
Ein hoher Barbiturat-Spiegel schließt als Eingangskriterium die Durchführung einer IHA-Diagnostik aus. Wenn eine IHA-Diagnostik von vornherein nicht erlaubt ist, dann kann auch eine Perfusionsmessung zu diesem Zwecke nicht weiterführend sein. Anmerkung 3 der Richtlinien der BÄK bezieht sich nur auf diejenigen Fälle, bei denen ein Apnoe-Test aus irgendwelchen Gründen gar nicht durchführbar ist. Nach einer Barbiturat-Narkose ist der Apnoe-Test dann verwertbar, wenn der Barbiturat-Spiegel deutlich abgefallen ist. Im Übrigen bezieht sich Anmerkung 3 der Richtlinien nur auf die Apnoe-Feststellung. Zu beachten ist, dass Barbiturate auch Einfluss auf die übrigen Hirnstammreflexe nehmen können, insbesondere auf die Auslösbarkeit des Kornealreflexes.
Insgesamt sollte also mit einer IHA-Diagnostik abgewartet werden, bis man erfahrungsgemäß keine relevante Beeinflussung durch Rest-Sedativaspiegel annehmen kann.
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