Krebsmedikamente mit vielseitigem Nutzen

Medikamente, die Enzyme aus der Gruppe der „Kinasen“ blockieren, gehören zu den wirksamsten Arzneimitteln zielgerichteter Krebstherapien. Wissenschaftler des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) an der Technischen Universität München haben 243 Kinaseinhibitoren untersucht, die sich in der klinischen Erprobung befinden. Einige davon könnten vielseitiger eingesetzt werden, als ursprünglich vorgesehen, zeigen die im Magazin Science veröffentlichten Ergebnisse.

Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten in Deutschland.

Zielgerichtete Arzneimittel haben die Behandlung einiger Krebsarten revolutioniert. Eine wichtige Wirkstoffgruppe sind sogenannte Kinaseinhibitoren, die besonders erfolgreich zur Bekämpfung bestimmter Formen von Blut- und Lungenkrebs eingesetzt werden. Kinasen sind Schlüsselenzyme, die eine Vielzahl von Funktionen in Zellen steuern, wie beispielsweise deren Wachstum oder ihre Selbstzerstörung. Etwa 500 unterschiedliche Kinasen sind im menschlichen Genom verschlüsselt. In Krebszellen sind die Enzyme häufig überaktiv und die normalen Regulierungsmechanismen greifen nicht mehr. Entartete Zellen können sich unkontrolliert vermehren und der wachsende Tumor regt die Neubildung von Blutgefäßen an, um sich dauerhaft zu versorgen.

Mit Kinaseinhibitoren lässt sich das Tumorwachstum einiger Krebsarten erfolgreich ausbremsen: Mehr als 350 Kinaseinhibitoren befinden sich in der klinischen Entwicklung, 37 davon sind bereits für die Therapie zugelassen. „Die genaue Wirkungsweise der einzelnen Inhibitoren ist jedoch in vielen Fällen nicht bekannt“, erklärt Bernhard Küster, vom Lehrstuhl für Proteomik und Bioinformatik der Technischen Universität München und Leiter des Forschungsprojektes. „Viele Inhibitoren steuern unterschiedliche Ziele in den Krebszellen an und könnten demnach ein viel breiteres Wirkungsspektrum haben, als bisher angenommen.“

Das internationale Team aus Naturwissenschaftlern, Ärzten und Informatikern wagte einen bislang einmaligen Ansatz, um zu zeigen, welche Kinasen und zelluläre Signalwege genau von den Hemmstoffen getroffen werden: In mehr als 6000 Stunden Massenspektrometrie analysierten die Forscher die Interaktion von 243 klinisch erprobten Inhibitoren mit hunderten Kinasen. Die Aktivität der Hemmstoffe sollte dabei unter möglichst natürlichen Bedingungen untersucht werden. Statt sie wie sonst üblich an gentechnisch hergestellten Enzymen zu testen, analysierten die Forscher den gesamten Zellinhalt von Leukämie-, Hirntumor und Darmkrebszellen nach Zugabe der Inhibitoren. „Damit sind wir deutlich näher an der Tumorbiologie und können systematisch das Spektrum molekularer Bindepartner kartieren.“

In dieser „Landkarte“ der Gesamtheit menschlicher Kinasen und ihrer Inhibitoren entdeckten die Wissenschaftler neue Zielstrukturen, die man bisher noch gar nicht mit den Wirkstoffen in Verbindung gebracht hatte. Darunter die Kinase MELK, die als Biomarker für ungünstige Prognosen bei bestimmten Lungenkrebsformen bekannt ist. „Einige der Inhibitoren sind überraschenderweise in der Lage, MELK zu blockieren“, erläutert Bernhard Küster. Die genaue Molekularstruktur mehrerer MELK-Inhibitor Komplexe haben die Forscher bereits entschlüsselt und damit auch die Voraussetzung geschaffen, Substanzen für die Blockade von MELK zu optimieren.

Einen neuen Nutzen entdeckten die Forscher für den Kinaseinhibitor Cabozantinib, der derzeit zur Behandlung von Schilddrüsenkrebs eingesetzt wird. Die Ergebnisse zeigten, dass Cabozantinib auch gegen eine Kinase wirksam ist, die bei der Entstehung von Akuter Myeloischer Leukämie (AML) eine Rolle spielt. In Mäusen konnte der Hemmstoff das Wachstum von Leukämiezellen drastisch verlangsamen. „Da der Wirkstoff bereits zugelassen ist, könnte man damit direkt in eine neue klinische Studie gehen“, sagt Bernhard Küster.

Küster koordiniert die Entwicklung der Datenbank ProteomicsDB sowie die standortübergreifende Plattform „Krebsproteom-Analyse“ des DKTK, über die Forscher jetzt Zugang zu den umfänglichen Inhibitor-Datensätzen erhalten. Von Kollegen aus der Klinik gab es bereits begeisterte Reaktionen auf die neue Datenbank: „Besonders für Patienten mit ungewöhnlichen genetischen Profilen sind diese umfänglichen Datensätze sehr wertvoll“, sagt Florian Bassermann, Oberarzt am Klinikum Rechts der Isar der TU München. „In den molekularen Tumorboards haben wir damit ganz neue Möglichkeiten, für jeden einzelnen Patienten die passende Therapie zu empfehlen.“

Klaeger et al., The target landscape of clinical kinase drugs. In: Science. Advance online publication 1st December 2017; DOI: http://dx.doi.org/10.1126/science.aan4368

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BU: Proteomforschung in großem Stil: Die Studie analysierte die Wirkmechanismen und Einsatzmöglichkeiten von 243 Kinaseinhibitoren für die Krebsmedizin.

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Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) ist eine gemeinsame, langfristige Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der beteiligten Bundesländer und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und wurde als eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZGs) gegründet. Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten und Kliniken in Deutschland. Mit dem DKFZ kooperieren Forschungseinrichtungen und Kliniken an Standorten Berlin, Dresden, Essen/Düsseldorf, Frankfurt/Mainz, Freiburg, Heidelberg, München und Tübingen, um optimale Bedingungen für die kliniknahe Krebsforschung zu schaffen. Das Konsortium fördert interdisziplinäre Forschungsthemen an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Klinik, sowie klinische Studien zu innovativen Therapie- und Diagnoseverfahren. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau von Forschungsplattformen, um den Einsatz personalisierter Krebstherapien zu beschleunigen und die Diagnose und Prävention von Krebserkrankungen zu verbessern.

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