Auf direktem Weg von A nach C

Für die Orientierung im Raum nutzen wir spezielle Nervenzellen. Ortszellen feuern immer dann, wenn wir uns an einem bestimmten Ort aufhalten. Gitterzellen hingegen vermessen Distanzen und sind wichtig für die „Weg-Integration“. So zumindest die Theorie. Jetzt liefern Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Universitätsklinikum Heidelberg erstmals den experimentellen Beweis für diese These. Sie untersuchten dafür Mäuse mit defekten Gitterzellen. Je mehr Gitterzellen beschädigt waren, desto schwerer fiel es den Nagern, sich im Raum zu orientieren.
 
Eine der komplexesten Leistungen unseres Gehirns ist der Orientierungssinn. Unser inneres GPS hilft uns dabei, das drei Straßen entfernt geparkte Auto wiederzufinden oder uns beim Weg ins Büro nicht zu verlaufen. Dafür nutzt das Gehirn verschiedene Zelltypen, wie Orts- und Gitterzellen. Ortszellen melden dem Gehirn die aktuelle Position. Das konnte in Experimenten bereits bestätigt werden. Gitterzellen arbeiten mit den Ortszellen zusammen. Welche Funktion sie genau haben, darüber gab es bisher nur theoretische Überlegungen.

„Man hat schon lange vermutet, dass Gitterzellen für die Messung von Entfernungen und die Weg-Integration verantwortlich sind“, sagt Hannah Monyer, Neurowissenschaftlerin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Universitätsklinikum Heidelberg. „Wir liefern jetzt endlich den experimentellen Beweis dafür.“

Weg-Integration ist ein Fachbegriff für die Fähigkeit, aus Geschwindigkeit und Richtung einer Bewegung eine Karte der Umgebung zu erstellen. Anders gesagt: Wenn man von A über B nach C gegangen ist, hilft die Weg-Integration dabei, auch den direkten Weg von A nach C zu finden.

Mariana Gil aus Monyers Arbeitsgruppe ließ Mäuse in einem Schwimmtest ihr Orientierungsvermögen unter Beweis stellen. Dieser Test lief in zwei Phasen ab. Zuerst schwammen die Mäuse durch einen geraden oder L-förmigen Korridor zu einer Plattform. Im zweiten Durchgang wurde der Korridor entfernt und die Mäuse mussten die Plattform allein anhand ihres Orientierungssinns wiederfinden. Damit die Tiere sich nicht an visuellen oder auditorischen Signalen orientieren konnten, wurde der Raum abgedunkelt und Störgeräusche eingespielt. „Mäuse sind gute Schwimmer, aber sie halten sich nicht länger als nötig im Wasser auf, sondern wollen schnellstmöglich auf die rettende Plattform“, erklärt Monyer.

Mäuse mit intakten Gitterzellen bewältigten diese Aufgabe gleich beim ersten Mal ohne Probleme. Mäuse mit defekten Gitterzellen hatten Schwierigkeiten. Je mehr Gitterzellen beschädigt und in ihrer Aktivität verändert waren, desto mehr wich die Route vom optimalen Weg ab. „Unser Experiment beweist, dass Gitterzellen tatsächlich die Weg-Integration übernehmen“, sagt Monyer. Die Leistung der Tiere blieb über alle Testläufe hinweg konstant. Das zeigt, dass die Tiere Orientierung nicht lernen, sondern es sich um ein angeborenes Verhalten handelt.

Um auszuschließen, dass die Mäuse mit intakten Gitterzellen einfach besonders schlau waren, wurde der gleiche Test anschließend noch einmal in modifizierter Anordnung durchgeführt. Dieses Mal war der Raum beleuchtet und die Plattform mit einem Fähnchen markiert. Jetzt zeigten alle Mäuse ähnlich gute Ergebnisse, auch die mit den defekten Gitterzellen.

Die Mäuse mussten in diesem Experiment nur kurze Distanzen von etwa einem Meter zurücklegen. „Zugvögel, die von Deutschland nach Afrika fliegen, nutzen vermutlich andere Mechanismen zur Orientierung“, schränkt Monyer ein. „Wir gehen aber davon aus, dass die Gitterzellen auch beim Menschen dafür zuständig sind, dass wir auf direktestem Weg von A nach C finden!“

Als nächstes will Hannah Monyer untersuchen, welche Rolle Gitterzellen für das räumliche Lernen und das Gedächtnis spielen.

Gitterzellen befinden sich im enthorinalen Kortex. Ortszellen liegen im Hippocampus. Beide Bereiche des Gehirns sind eng miteinander verknüpft. Auch bei Menschen wurden in diesen Hirnregionen bereits Zellen gefunden, die den Orts- und Gitterzellen ähnlich sind. 2014 wurde die Entdeckung dieser Zellen in Nagern mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt.

Mariana Gil, Mihai Ancau, Magdalene I. Schlesiger, Angela Neitz, Kevin Allen, Rodrigo J. De Marco, and Hannah Monyer: Impaired path integration in mice with disrupted grid cell firing
Nature Neuroscience 2017, DOI 10.1038/s41593-017-0039-3

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
 

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