Trügerischer Schlaf – auf der Spur ruhender Tumorzellen

Wissenschaft untersucht Dormanz-Mechanismen / Beobachtung des Wachstumsstillstands oder Aufwecken – zwei unterschiedliche Strategien in der Diskussion / Neueste Erkenntnisse auf der 102. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (24.-26.5.2018)

Patienten mit bösartigen Tumorerkrankungen können Phasen durchlaufen, in denen Tumorzellen im Körper vorhanden sind, aber keine sichtbare Neubildung von Tumoren feststellbar ist. Diesen Zustand bezeichnet die Wissenschaft mit dem englischen Begriff Dormancy oder dem vom Lateinischen abgeleiteten Dormanz.
„Manche Tumoren ruhen über lange Zeit“, erklärt Prof. Dr. rer. nat. Susanne Sebens, Direktorin am Institut für Experimentelle Tumorforschung in Kiel. „Nach einer ersten erfolgreichen Therapie kann es Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis es zu einem Rezidiv oder zur Bildung von Metastasen kommt. Tumorzellen aus dem Ursprungstumor können dort verbleiben oder in andere Organe oder Körperregionen wandern. Mit der Zeit verändern sie ihre biologischen Eigenschaften so weit, dass sie bösartiger werden, anfangen sich unbegrenzt zu teilen und zu einem sichtbaren Tumor auswachsen. Bei Brust- und Prostatakrebs sind zwischen 20 und 45 Prozent der Patienten von einem solchen Krankheitsverlauf betroffen.“
Die Forschung untersucht aktuell die Rahmenbedingungen von Dormanz und die Gründe, warum plötzlich wieder Tumorzellen gebildet werden, die sich vermehrt teilen bzw. Metastasen bilden.

Zelluläre und angiogene Dormanz
Zelluläre und angiogene Dormanz sind zwei der bekannten Mechanismen, die dafür sorgen, dass Tumorzellen vorübergehend ruhen. „Bei der zellulären Dormanz gehen einzelne Zellen in Wachstumsarrest und teilen sich nicht länger. „Hervorgerufen werden kann dieses reversible Ruhestadium zum Beispiel durch Faktoren wie Interferon-gamma, die von der Mikroumgebung freigesetzt werden“, erläutert die Biologin.
Bei der angiogenen Dormanz ist eine unzureichende Anzahl an Blutgefäßen vorhanden, um den Tumor mit Nährstoffen und Sauerstoff für seinen Wachstumsprozess zu versorgen. „In der angiogenen Dormanz werden keine neuen Gefäße für die Versorgung ausgebildet, wodurch der Tumor in einer symptomlosen und klinisch nicht relevanten Größe verharrt“, sagt Prof. Sebens. „Das Verhältnis zwischen gefäßbildenden und hemmenden Botenstoffen kann sich aber ändern, was dann zum Auswachsen des Tumors führt.“

Entzündliche Veränderungen spielen zentrale Rolle
Welche Faktoren den Wechsel vom Ruhestadium zu unbegrenztem, aggressivem Wachstum bedingen, muss weiter erforscht werden. Die Wissenschaft geht davon aus, dass entzündliche Veränderungen im Gewebe eine zentrale Rolle dabei spielen. Prof. Sebens: „Die Mikroumgebung des Tumors, also unter anderem das Vorhandensein spezieller Proteine oder spezifischer Zelltypen wie Fibroblasten, entscheidet auf vielfältige Weise darüber, wie sich Tumore entwickeln und ob ruhende Tumorzellen wieder ‚aufgeweckt‘ werden.“
Ruhende Tumorzellen können somit einerseits als Krebs ohne Erkrankung bezeichnet werden, stellen aber andererseits auch eine Gefahr für Rezidive oder Metastasenbildung dar. Daher ist man sich noch nicht sicher, ob es therapeutisch vorteilhafter ist, ruhende Tumorzellen lediglich zu beobachten oder diesen Prozess zu unterbrechen.
„Tumor-Dormanz ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zellen nicht auf Chemotherapien ansprechen“, so die Kieler Biologin. „Wenn der Prozess unterbrochen wird, also beispielsweise durch bestimmte Botenstoffe wie VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) oder Interleukin-6 das Zellwachstum angeregt wird, können möglicherweise Chemotherapien besser wirksam sein. Noch fehlen aber klinische Daten, um hier Entscheidungen zum Wohl des Patienten zu treffen.“

Neueste Forschungsergebnisse und innovative Ansätze zum Thema Dormanz ist eine der Themen der 102. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie vom 24. bis 26. Mai 2018 in Berlin. Im Fokus des Kongresses stehen drei Themenschwerpunkte: Tumorevolution und -heterogenität, seltene Erkrankungen sowie digitale Medizin. Weitere Informationen unter www.pathologie-kongress.com.

Weitere Informationen:
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