Adipositaschirurgie kann stark übergewichtige Typ-2-Diabetiker vor Folgeschäden schützen
Paradigmenwechsel in der Behandlung stark adipöser Typ-2-Diabetiker/ Magenbypass und Schlauchmagenoperation bewirken schnelle Verbesserung der Folgeschäden von Diabetes/ Adipositaschirurgie ist deutlich effektiver als die bisherige medikamentöse Therapie/ Veröffentlichung im renommierten „British Journal of Surgery“
Eine gewichtsreduzierende Operation von stark adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes verhindert die gefürchteten Langzeitschäden an kleinsten Gefäßen deutlich besser als die bisherige medikamentöse Therapie, wie eine aktuelle Literaturstudie von Wissenschaftlern der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg um Prof. Dr. Beat Müller zeigte. Das Risiko für die Entwicklung von sogenannten mikrovaskulären diabetischen Komplikationen war bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, die sich einer Operation unterzogen, im Vergleich zu auf herkömmliche Weise behandelten Patienten um den Faktor 4 verringert. Allein in Bezug auf die Entstehung von Nierenschäden (Nephropathie), welche häufig dazu führen, dass eine Blutwäsche (Dialyse) notwendig wird, zeigte sich, dass die Chirurgie fünfzehnmal effektiver ist als die bisher übliche konservative internistische Therapie. Eine gewichtsreduzierende Operation kann bei Typ-2-Diabetikern sogar dazu führen, dass sich die Nieren wieder komplett erholen. Die Studie beruht auf der Meta-Analyse von zehn nach strengen Qualitätskriterien ausgewählten, internationalen Veröffentlichungen und wurde nun im renommierten „British Journal of Surgery“ publiziert.
Umdenken in der Behandlung stark adipöser Typ-2-Diabetiker
Zu den mit Diabetes einhergehenden Gefäßschäden gehören die diabetische Nephropathie, Neuropathie und Retinopathie – also Schäden, die Nieren, Nerven und Augen betreffen. Diese Komplikationen sind für die hohen Folgekosten von Typ-2-Diabetes verantwortlich und können langfristig zu Dialyse, Amputationen und Blindheit führen. Die Ursache dieser Spätschäden ist nicht restlos geklärt und deshalb auch schwierig medikamentös zu behandeln. Tatsache ist: Die meisten aktuellen Diabetesmedikamente können die Entstehung dieser diabetischen Spätschäden kaum verhindern. „Eine große von uns berücksichtigte Untersuchung zeigte, dass bei der bisherigen Therapie statistisch gesehen 250 Patienten vergeblich einer intensiven Insulin-Therapie ausgesetzt werden müssen, um einen einzigen vor einer Nephropathie zu bewahren“, sagt Prof. Dr. Beat Müller, Senior-Autor der Studie. „Demgegenüber verbessert sich laut Statistik eine bestehende Nephropathie bei jedem zweiten Patienten in Folge einer gewichtsreduzierenden Operation. In der Behandlung von Typ-2-Diabetes gerät durch diese Ergebnisse ein Weltbild ins Wanken, denn früher hat man gedacht, dass man die Folgeschäden vermeiden kann, wenn nur der Blutzucker medikamentös richtig eingestellt wird“, fasst er zusammen. „Zu berücksichtigen ist außerdem, dass eine zu scharfe medikamentöse Einstellung auch riskant ist, weil sie zu einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung oder zu einer zusätzlichen Gewichtszunahme führen kann.“
Adipositaschirurgie – ein Ausweg aus einem Dilemma und keine „Lifestyle-Chirurgie“
Prof. Dr. Beat Müller und seine Co-Autoren plädieren nachdrücklich für ein Umdenken im Umgang mit der häufig mit Typ-2-Diabetes in Verbindung stehenden Erkrankung Adipositas. „Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass stark übergewichtige Menschen ihren Zustand selbst verschuldet haben und deshalb auch nur durch eine radikale, entbehrungsreiche Lebensstiländerung gesund werden können.“ Ein erster Schritt wurde erreicht, als Adipositas im Jahr 2000 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt wurde. „Die Ursache für Adipositas ist wahrscheinlich eher ein überoptimierter Energiehaushalt als Maßlosigkeit. Die betroffenen Menschen könnten unter Lebensumständen, in denen die Nahrung knapp ist, vermutlich besser überleben als andere und leiden nun darunter, dass unser Lebensstil mit einem ständigen Überangebot an Nahrungsmitteln einhergeht.“ Eine Operation ist seiner Ansicht nach daher keine „Lifestyle-Chirurgie“, die dicke Menschen auf einfache Weise dünner machen soll, sondern gerade für adipöse Typ-2-Diabetiker lebensrettender Ausweg aus einem Dilemma.
Eine rasche Verbesserung der Blutzuckerwerte ist die Folge
Typische Verfahren der Adipositaschirurgie sind der Magenbypass, bei dem der Magen durch einen Teil des Dünndarms überbrückt wird, und die Verkleinerung des Magenvolumens zu einem sogenannten Schlauchmagen. Noch sind die genauen Zusammenhänge unklar, die erklären können, warum diese Operationen so extrem wirksam sind. „Eine Verbesserung der Blutzuckerwerte zeigt sich bereits kurz nach der Operation, also noch bevor die Patienten ein Kilogramm an Gewicht verloren haben. Anscheinend sind andere Mechanismen für die Entstehung der Gefäßschäden bei Diabetes-Typ-2 relevant, die von einer Operation positiv beeinflusst werden. Die Aufklärung der exakten Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel wird Fragestellung weiterer Forschungsarbeiten der Zukunft sein“, fasst Prof. Dr. Beat Müller zusammen. Völlig ohne Risiko ist eine Operation jedoch ebenfalls nicht – auch wenn die Heidelberger Mediziner mit Methoden der minimal invasiven Chirurgie arbeiten. Und auch das zukünftige Leben bleibt geprägt von der Erkrankung, denn es muss auf eine besondere Ernährung geachtet werden, um Mangelerscheinungen zu vermeiden.
Was ist Diabetes Typ-2?
Hierbei handelt es sich um eine Störung, bei der Insulin zwar vorhanden ist und oft sogar im Übermaß vom Körper produziert wird, an den Zellen von Leber, Muskeln und Fettgewebe aber nicht richtig wirken kann, weil die intrazellulären Signalwege nicht richtig funktionieren. In den ersten Krankheitsjahren kann die Bauchspeicheldrüse dies durch die Produktion hoher Insulinmengen kompensieren, was jedoch zu weiterem Übergewicht und möglicherweise auch zu diabetischen Folgeschäden führen kann. Ein erhöhter Spiegel des Blutzuckers und von Produkten des Zuckerabbaus, welche über alternative Stoffwechselwege entstehen, führen über bisher unbekannte Mechanismen zu den diabetischen Folgeschäden an den Nieren, Augen und Nerven, aber auch den großen Gefäßen.
Literatur
A. T. Billeter, K. M. Scheurlen, P. Probst, S. Eichel, F. Nickel, S. Kopf, L. Fischer, M. K. Diener, P. P. Nawroth, B. P. Müller-Stich, Meta-analysis of metabolic surgery versus medical treatment for microvascular complications in patients with type 2 diabetes mellitus, published online inWiley Online Library (www.bjs.co.uk). DOI: 10.1002/bjs.10724
Weiterführende Links
Homepage der Abteilung:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Minimal-Invasive-und-Adipositaschirurgie.104518.0.html
Interview mit Prof. Dr. Beat Müller-Stich:
www.youtube.com/watch?v=iTuwWSHmbmI
Kontakt
Prof. Dr. med. Beat P. Müller
Sektionsleiter Minimal Invasive und Adipositaschirurgie
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinikum Heidelberg
Tel: 06221 56-8641
E-Mail: BeatPeter.Mueller@med.uni-heidelberg.de