Kieler Forschende patentieren neuartige Verkapselung von Vitamin B3
Vitamin B3, das auch als Niacin bezeichnet wird, kann das Wachstum von „guten Bakterien“ im Darm fördern. Dadurch entstehen gesundheitsfördernde Effekte für den gesamten Körper. Allerdings muss das Niacin in relativ großen Mengen den Dickdarm erreichen. Dies verhindern aber Magen und Dünndarm, weil sie die Substanz auf ihrem Weg durch das Verdauungssystem fast vollständig absorbieren. Forschende des Exzellenzclusters „Entzündungsforschung“ entwickelten jetzt eine neuartige Transporthülle für das Niacin. Sie verpackten die Substanz in einer schützenden Hülle, so dass das Niacin erst im Dickdarm freigesetzt wird, dem Ort wo es seine Wirkung entfalten soll. Die neuen Erkenntnisse, für die eine weltweite Patentanmeldung anhängig ist, wurden jetzt in der Fachzeitschrift Diabetes Care veröffentlicht.
Niacin ist ein Vitamin aus der Reihe des sogenannten B-Komplexes. Es wird in der Leber gespeichert und ist wichtig für zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Körper. Bereits 2012 wiesen Forschende unter der Leitung von Clustermitglied Professor Philip Rosenstiel nach, dass Niacin im Dickdarm eine anti-entzündliche Wirkung hat. Doch es ist schwierig, die Substanz in ausreichend großer Menge in den Dickdarm zu transportieren, da sie normalerweise während der Magen- und Dünndarmpassage ins Blut aufgenommen wird. Außerdem können hohe Aufnahmen von unverkapseltem Niacin bei manchen Menschen zu einem sogenannten Flush führen. Dabei bekommen Betroffene einen roten Kopf und spüren eventuell ein Brennen oder Jucken auf der Haut. Dosiert man Niacin über längere Zeit und in höheren Dosen kann dies auch schädliche Wirkungen haben, beispielsweise die Leber angreifen. In einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen der Klinischen Ernährungs- und Stoffwechselmedizin (Leitung: Professor Matthias Laudes) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und der Abteilung für Lebensmitteltechnologie (Leitung: Professorin Karin Schwarz) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel entwickelten die Forschenden daher eine Art Rüstung für das Niacin.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mussten dabei eine Substanz finden, die als „Verpackungsmaterial“ für Lebensmittel zugelassen ist. „Denn nur auf diese Weise kann das Produkt später als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt kommen“, erklärt Eva-Maria Theismann aus der Abteilung Lebensmitteltechnologie, eine der Erstautorinnen. Sie hat das passende Umhüllungsverfahren gefunden und kleine Vitaminkügelchen mittels eines Sprühverfahrens ummantelt. „Das sogenannte Coating ist das Herzstück der Mikroverkapselung. Dafür haben wir auch ein Patent angemeldet. Wir haben eine spezielle Formulierung entwickelt, die das Niacin gezielt im gewünschten Darmabschnitt freisetzt.“ Dabei machen sich die Forschenden die unterschiedlichen pH-Werte im Körper zunutze. Im Magen und Dünndarm lösen sich die verkapselten Kügelchen nicht auf, wohl aber im Dickdarm.
In einer Pilotstudie an gesunden Freiwilligen testeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob und wann das verkapselte Niacin ins Blut aufgenommen wurde. Sie konnten zeigen, dass das neu entwickelte Verfahren das Niacin erst im Dickdarm freisetzt und der Blutspiegel sich kaum erhöht. „Wir sind begeistert, wie gut unser Verfahren funktioniert“, sagt Dr. Daniela Fangmann, Ernährungswissenschaftlerin aus der Abteilung Ernährungs- und Stoffwechselmedizin am UKSH und ebenfalls Erstautorin der aktuellen Studie. „Mit unserer Entwicklung können wir das Niacin ganz gezielt in den Bereich des Körpers bringen, wo es den größten Nutzen hat.“ Zur leichteren Dosierung werden die Niacin-Kügelchen dabei in Gelatinekapseln verpackt, wie sie auch bei anderen Nahrungsergänzungsmitteln zum Einsatz kommen.
Die ersten Ergebnisse zeigen, dass das Niacin in seiner schützenden Hülle erst im Dickdarm freigesetzt wird. Dabei zeigte das Vitamin B3 einen starken Einfluss auf sogenannte Bacteroidetes. Das ist eine sehr häufige Bakterienart im Verdauungstrakt, die einen wichtigen und gesundheitsfördernden Einfluss auf den Stoffwechsel hat. Studienleiter Professor Matthias Laudes ergänzt: „In unserer Pilotstudie konnten wir nachweisen, dass das verkapselte Niacin erste Anzeichen von Insulinstörungen und Entzündungen im Stoffwechsel mindern konnte. Jetzt müssen wir prüfen, ob unser Patent für die präventive Therapie von Menschen geeignet ist, die beispielsweise ein stark erhöhtes Risiko haben an einem Diabetes zu erkranken.“ Parallel untersuchen Mitglieder des Exzellenzclusters „Entzündungsforschung“ unter Leitung des Clustersprechers Professor Stefan Schreiber, ob das patentierte Verfahren auch zur Therapie von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen geeignet wäre. Denn die anti-entzündliche Wirkung der Substanz im Dickdarm wurde bereits in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen.
Originalpublikation:
Fangmann, D, Theismann, EM, Türk, K, Schulte, DM, Relling, I, Hartmann, K, Keppler, JK, Knipp, JR, Rehman, A, Heinsen, FA, Franke, A, Lenk, L, Freitag-Wolf, S, Appel, E, Gorb, S, Brenner, C, Seegert, D, Waetzig, GH, Rosenstiel, P, Schreiber, S, Schwarz, K und Laudes, M (2017): Targeted microbiome intervention by microencapsulated delayed-release niacin beneficially affects insulin sensitivity in humans. Diabetes Care, https://doi.org/10.2337/dc17-1967
Weitere Informationen:
Artikel in der Zeitung „unizeit“ zum Thema Niacin-Verkapselung:
http://www.uni-kiel.de/unizeit/index.php?bid=880301
Publikation über Tryptophan, das eine anti-entzündliche Wirkung im Dickdarm hat:
Hashimoto et al. (2012) in Nature: www.nature.com/articles/nature11228
Der Exzellenzcluster „Inflammation at Interfaces/Entzündungsforschung“ wird seit 2007 durch die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder mit einem Gesamtbudget von 68 Millionen Euro gefördert; derzeit befindet er sich in der zweiten Förderphase. Die rund 300 Clustermitglieder an den insgesamt vier Standorten: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule), Lübeck (Universität zu Lübeck, UKSH), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften) forschen in einem innovativen, systemischen Ansatz an dem Phänomen Entzündung, das alle Barriereorgane wie Darm, Lunge und Haut befallen kann.