Depression
Depressionen infolge von Autoimmunerkrankungen: Verhaltensänderungen bei Multipler Sklerose können auf behandelbare Depressionen und Fatigue hinweisen
Original Titel:
Behavioral Changes in Patients with Multiple Sclerosis.
Ein verändertes Verhalten ist nicht ungewöhnlich bei der Multiplen Sklerose (MS). Die Krankheit beeinflusst und beeinträchtigt schließlich im lebenslangen Verlauf mehr und mehr Alltagsfähigkeiten und Perspektiven. Gerade bei einer schweren chronischen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose sind daher auch psychische Folgen, die sich im Verhalten widerspiegeln könnten, zu erwarten. Verhaltensänderungen werden allerdings nicht so deutlich von außen wahrgenommen wie beispielsweise Veränderungen in der Denkleistung. Ziel der Studie von Forschern und Ärzten um Dr. Heldner an neurologischen Kliniken in Bern und Luzern in der Schweiz war es daher, Verhaltensänderungen bei MS-Patienten zu erfragen und sie zusätzlich neuropsychologisch zu untersuchen.
Die Problemlösungsfähigkeit, aber auch beispielsweise Impulskontrolle der Patienten wurde mit dem Frontalsystem-Verhaltenstest (frontal systems behavior scale, FrSBe) überprüft. Das Vorhandensein und Ausmaß eventueller Depressionssymptome wurde mit dem Beck-Depressionsfragebogen (BDI) getestet. Die individuelle Erschöpfung, klassisches MS-Symptom, aber auch ein mögliches Zeichen für Depressionen, wurde mittels des Würzburg Fatiguefragebogen für Multiple Sklerose (WEIMuS) ermittelt. Die Forscher verglichen dann die Ergebnisse mit Krankheitsschwere, Beeinträchtigungs- und Behinderungsgrad und Denkleistungsfähigkeit der Patienten.
Die 66 teilnehmenden Patienten waren im Mittel 43 Jahre alt und litten seit 9 Jahren unter Multipler Sklerose. Ihre krankheitsbedingte Behinderung lag bei 3 (expanded disability status scale, EDSS) – die Patienten waren also beeinträchtigt, aber noch sehr eigenständig. Fast ein Drittel der Patienten wies in mindestens einem der abgefragten Bereiche oder im Gesamtergebnis des FrSBe-Tests Verhaltensänderungen auf. Dahingegen waren die Patienten kaum in ihren Denkleistungen betroffen. Die Verhaltenseffekte zeigten einen deutlichen Zusammenhang mit dem Erschöpfungsgrad (WEIMuS) und den depressiven Symptomen (BDI). Keinen Zusammenhang fanden die Wissenschaftler dagegen mit Details zu Krankheitsverlauf oder -ausprägung, Behinderungsgrad oder Denkleistungsfähigkeit. Rückblickend zum Zeitpunkt vor Krankheitsausbruch beschrieben die Patienten Veränderungen im gesamten Spektrum des verhaltensbeschreibenden FrSBe-Tests. Dabei stimmten die Selbsteinschätzungen der Patienten mit den Beobachtungen ihrer Angehörigen überein.
Verhaltensänderungen scheinen also normal zu sein und betreffen selbst bei sonst nur schwach betroffenen Multiple Sklerose-Patienten bis zu ein Drittel der Erkrankten. In der untersuchten Patientengruppe zeigten sich diese Veränderungen weitestgehend unabhängig von Krankheitsverlauf, Behinderungsgrad oder Denkleistungsfähigkeit. Dahingegen hing das Verhalten deutlich mit sowohl Erschöpfung als auch Depression zusammen. An Multipler Sklerose erkrankte Patienten sollten daher frühzeitig, selbst wenn sie nur schwach betroffen erscheinen, auch neuropsychologisch untersucht werden, um unnötiges Leiden zu vermeiden. Die Studie zeigt damit auch, dass entzündliche Erkrankungen, bei denen beispielsweise das körpereigene Abwehrsystem das Nervensystem angreift, zu ausgeprägten depressiven Symptomen führen können. Auch bei bisher als ‚psychisch‘ bezeichneten Erkrankungen wie den affektiven Störungen (unipolarer Depression und bipolarer Störung) sollte demnach, wenn die klassischen Therapieansätze nicht ausreichend greifen, auch an möglicherweise zugrundeliegende behandelbare entzündliche Prozesse gedacht werden.
© Alle Rechte: HealthCom