Daclizumab: Nach schweren Nebenwirkungen nimmt Hersteller Medikament vom Markt – EMA empfiehlt sofortigen Rückruf
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Auch EMA empfiehlt jetzt den sofortigen Rückruf des Multiple-Sklerose-Medikaments Zinbryta (Daclizumab)
Nach Berichten über Fälle von sehr schweren Nebenwirkungen hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Anfang März ein dringendes Bewertungsverfahren des Wirkstoffs Daclizumab eingeleitet. Auf Basis der verfügbaren Informationen empfahl die EMA dann vergangene Woche, die Zulassung sofort ruhen zu lassen und das Medikament mit sofortiger Wirkung zurückzurufen.
Der Hersteller Biogen gab bereits nur wenige Stunden nach der Einleitung des Bewertungsverfahrens bekannt, freiwillig auf die Zulassung des Wirkstoffs zu verzichten und das Medikament weltweit vom Markt zu nehmen. Auch klinische Studien mit Daclizumab werden beendet. Ärzten wollte der Hersteller in den letzten Tagen ausführliche Informationen zur Verfügung stellen.
Der Wirkstoff Daclizumab des Herstellers Biogen und der Partnerfirma Abbevie wurde seit 2016 vertrieben. Das Medikament war unter dem Namen Zinbryta als Fertigpen oder Fertigspritze zur Behandlung von schubförmiger Multipler Sklerose zugelassen. Im Jahr 2017 wurde bereits die Zulassung des Wirkstoffs durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) eingeschränkt, da es bei Patienten zu lebensbedrohlichen Leberentzündungen gekommen war, die mit dem Medikament in Verbindung gebracht wurden. Bei den jetzt bekannt gewordenen Fällen handelte es sich um schwere entzündliche Erkrankungen des Gehirns (Enzephalitis und Meningoenzephalitis). Weltweit gab es zwölf Berichte solcher Fälle, die mit dem Wirkstoff in Zusammenhang gebracht werden. Sieben der Fälle traten in Deutschland auf, hier wurden innerhalb der EU die meisten Patienten mit dem Wirkstoff behandelt. Vier Patienten sind inzwischen verstorben.
Ärzte sollen daher keine neuen Patienten mit Daclizumab behandeln und solche, die aktuell mit Daclizumab behandelt werden, schnellstmöglich kontaktieren. Betroffene Patienten sollten keine weitere Injektion des Medikaments vornehmen und sich mit ihrem Arzt in Verbindung setzen. Gemeinsam können Arzt und Patient geeignete alternative Therapien besprechen. Da Daclizumab auch noch nach dem Beenden der Behandlung längere Zeit im Körper bleibt, ist eine entsprechende Nachbeobachtung für mindestens sechs Monate durch den Arzt notwendig. Dazu wird der behandelnde Arzt regelmäßig Bluttests durchführen. So lassen sich mögliche Nebenwirkungen erkennen. Sollten von dem Rückruf betroffene MS-Patienten Symptome wie anhaltend hohe Temperatur, starke Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit, Vergilbung der Haut oder der Augen oder Erbrechen bei sich feststellen, sollten sie sofort ihren Arzt informieren. Dies können Symptome einer Reaktion auf Daclizumab sein. Weitere Symptome einer Gehirnentzündung können eine Trübung des Bewusstseins, Wesensveränderungen wie Verwirrtheit, Gereiztheit oder Gedächtnisstörungen oder Lähmungen sein.
Bei einer Enzephalitis handelt es sich um eine Entzündung des Gehirns, bei einer Meningoenzephalitis sind ebenfalls die Hirnhäute betroffen. Ursachen für solche Entzündungen sind häufig Viren, z. B. Herpesviren oder das FSME-Virus, das von Zecken übertragen werden kann. Aber auch Bakterien können dafür verantwortlich sein, hier z. B. die ebenfalls von Zecken übertragbaren Borreliose-Erreger. Aber auch Pilze oder Infektionen mit anderen mikroskopisch kleinen Erregern können die Entzündungsreaktion verursachen. Weitere Auslöser können Autoimmunerkrankungen selbst sein, wie MS, bei denen das Immunsystem die eigenen Gehirnzellen angreift und Entzündungen auslöst. Folgen der Entzündung im Gehirn sind Schwellungen. Diese führen zum Absterben von Nervenzellen, ganze Bereiche des Gehirns können unwiederbringlich geschädigt werden. Auch Hirnblutung können auftreten. Durch die Schädigung am Gehirn können dauerhafte Einschränkungen auch nach Abheilen der Entzündung verbleiben. Wird eine Gehirnentzündung nicht rechtzeitig behandelt, kann sie schnell lebensbedrohlich werden.
Daclizumab ist ein Antikörper, der bestimmten Signalwege des Immunsystems blockiert und so die Anzahl von Immunzellen, die auf das Immunsystem regulierend wirken, erhöht und die Anzahl von T-Zellen verringert, welche die Nervenzellen angreifen. Dadurch wird das Fortschreiten der chronischen Entzündung im Zentralen Nervensystem gebremst. Wie genau der Wirkmechanismus von Daclizumab zu den Gehirnentzündungen bei den damit behandelten MS-Patienten geführt hat, wird aktuell noch untersucht.
Nach der Beschränkung der Zulassung von Daclizumab im vergangenen Jahr wurde der Wirkstoff nur noch als Reservewirkstoff zu Behandlung von schubförmiger MS eingesetzt. Daclizumab sollte nur noch eingesetzt werden, wenn bereits zwei krankheitsmodifizierende Therapien nicht erfolgreich waren oder eine entsprechende Behandlung mit anderen Wirkstoffen nicht möglich war.
Die EMA weist in ihrer Mitteilung darauf hin, dass neben den schweren Gehirnentzündungen auch weitere immunvermittelte Erkrankungen wie Blutbildveränderungen sowie Entzündungen der Schilddrüse oder der Nieren durch Daclizumab möglich sein könnten. Die zuständigen Stellen der Europäischen Union werden nun darüber entscheiden, ob der Empfehlung der EMA ein rechtlich verbindlicher Rückruf folgt.
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Referenz:
Sicherheitsinformation des Paul-Ehrlich-Institut vom 09.03.2018 Pharmazeutische Zeitung, "Daclizumab: Hersteller verzichtet auf Zulassung " vom 02.03.2018 Pharmazeutische Zeitung, "Daclizumab: EMA empfiehlt sofortigen Rückruf" vom 07.03.2018 Rote Hand Brief des Paul-Ehrlich-Insituts vom 12.03.2018