Demenz / Alzheimer
Altersunangemessene Medikamente: manche Antidepressiva könnten im Alter das Demenzrisiko erhöhen
Original Titel:
Potentially inappropriate medication: Association between the use of antidepressant drugs and the subsequent risk for dementia.
Wer die Medikamentensammlung anderer Menschen (manchmal auch die eigenen) durchsieht, muss sich manchmal sehr wundern. Neben verschiedenen abgelaufenen und veralteten Mitteln, Selbstmedikationen aus der Nachbarschaft und Kräuterextrakten finden sich auch immer wieder, selbst in besser organisierten Giftschränken, Medikamente die schlicht fehl am Platz sind. Nicht immer sind dies echte Fehlbehandlungen. Aber manche der im Englischen potentially inapproriate medication genannten Mittel sind gerade im älteren Körper mit verschiedenen erhöhten Risiken verbunden, deren sich Patienten und Ärzte manchmal nicht bewusst sind. Sie können also mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Beispielsweise werden bei älteren depressiven Menschen manche Antidepressiva eingesetzt, die ungünstige Nebenwirkungen haben können (z. B. Bluthochdruck, Schwindel o. ä.), auf die ältere Menschen typischerweise empfindlicher reagieren als jüngere Patienten. Solche Medikamente, die im Alter vermieden werden sollten, werden im Projekt der Priscus-Liste dokumentiert. Ob diese unangebracht verschriebenen Antidepressiva mit einem erhöhten Demenzrisiko einhergehen, wurde bereits diskutiert, war aber noch unklar. Eine Forschergruppe verschiedener deutscher Universitäten rund um Neuropsychologin Dr. Heser untersuchte daher, ob die Einnahme von Antidepressiva, die als altersunangemessen klassifiziert werden können, zu einer höheren Zahl von Demenzerkrankungen führen.
Dazu wurden die Daten einer prospektiven Kohortenstudie nicht dementer Patienten (3239 Patienten) im mittleren Alter von 80 Jahren analysiert. Das Risiko für eine Demenz wurde auf der Basis von 8 Folgeuntersuchungen in den folgenden Jahren (bis zu 12 Jahre) geschätzt. In die Analyse mit einbezogen wurde die Dosis der Antidepressiva sowie weitere Risikofaktoren.
Die Daten zeigten, dass die Antidepressiva mit einem erhöhten Risiko für eine spätere Demenz einhergingen. Dieser Effekt wurde allein mit den nicht angebrachten antidepressiven Behandlungen gefunden. Antidepressiva, die aufgrund der entsprechenden Depressionsdiagnostik sinnvoll waren, zeigten kein erhöhtes Risiko in den Folgejahren. Berechneten die Wissenschaftler allerdings die zu Beginn der Studie ermittelte allgemeine Denkleistung mit ein, wurde der Effekt deutlich schwächer (statistisch nicht signifikant).
Die Studie deutet damit auf ein grundlegendes Problem bei der Behandlung: kann man mehr schaden, wenn ein nicht altersgerechtes Medikament gewählt wird? Im Fall von Antidepressiva, die beim älteren Menschen besonders ungünstige Nebenwirkungen haben, scheint dies nun etwas klarer zu sein – die derart fehlbehandelten Patienten können in der Folge häufiger eine Demenzerkrankung erleiden. Welche Mechanismen eine solche Schädigung bewirken können, ist noch nicht abschließend geklärt. Blutdruckerhöhende Nebenwirkungen durch das sogenannte anticholinerge System, beispielsweise, könnten zu Schäden an kleinen Blutgefäßen im Gehirn führen und in der Folge zu entzündlichen Prozessen, die mit Demenzsymptomen enden können. Selbst wenn die Ergebnisse nicht eindeutig waren, nachdem die ursprüngliche Denkleistung berücksichtigt wurde, sollten Patienten und Ärzte sich die jeweiligen Medikamente auch darauf hin anschauen, ob sie altersentsprechend sind, oder ob sie als möglicherweise altersunangemessen gelten könnten. Auf der Seite des Priscus-Projekts der Deutschen Seniorenliga werden zur Unterstützung der Therapiewahl mögliche alternative Mittel aufgeführt.
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