Der Botenstoff Acetylcholin fördert Kopfschmerzen in der Hirnhaut: Grundlagenforschung zeigt neue therapeutische Optionen für die Migränebehandlung
Original Titel:
Cholinergic Nociceptive Mechanisms in Rat Meninges and Trigeminal Ganglia: Potential Implications for Migraine Pain
Migräne oder Spannungskopfschmerz zeigen in bildgebenden Verfahren keine erkennbare Ursache für den Schmerz – es gibt keinen Tumor, keine Blutung, keine Schwellung, die die Schmerzen erklären könnten. Und doch gibt es Ursachen für den Kopfschmerz. Das Gehirn selbst kann keinen Schmerz empfinden, es hat keine eigenen Sensoren. Die Hirnhäute (Meninges), die das Gehirn in mehreren Schichten umgeben, sind allerdings sehr empfindlich. Sie werden von einem feinen Nervennetz durchzogen, das zum Steuerungssystem für die inneren Organe und den Blutkreislauf gehört, dem Parasympathikus. Diese Steuerung kann über zwei Schaltertypen (Rezeptoren) durch einen Nervenbotenstoff, das Acetylcholin, kontrolliert werden. Mit einer Substanz, die das Acetylcholin imitiert und so auch den Parasympathikus anschalten kann, dem Carbachol, können auch Kopfschmerzen ausgelöst werden. Es wird also vermutet, dass das parasympathische Nervensystem an der Entwicklung von Kopfschmerzen beteiligt ist, und dies eventuell über die Hirnhäute tut. Auch der Gesichtsnerv (Trigeminusnerv), Migräepatienten auch bekannt als mögliches therapeutisches Ziel, sendet Schmerzsignale in die Hirnhäute. Diese Kopfschmerzmechanismen versuchten nun finnische und kasachische Wissenschaftler um Prof. Giniatullin von der Universität Ost-Finland besser zu verstehen und untersuchten die grundlegenden Interaktionen in Ratten.
Sie setzen verschiedene Methoden ein, um die Aktivität der Nervenzellen zu messen. Beispielsweise wurden die Ströme, die als Nervensignal fließen, elektronisch gemessen (Elektrophysiologie). Diese Aktivität kann aber auch mit bildgebenden Verfahren (calcium imaging) demonstriert werden. Verbindungen zwischen verschiedenen Elementen des Nervensystems wurden durch Färbeverfahren (immunhistochemisch) untersucht.
Die Wissenschaftler fanden, dass sowohl Acetylcholin als auch Carbachol die schmerzauslösende Aktivität der Gesichtsnervenzellen in den Hirnhäuten steigerten. Dabei fanden sie auch Unterschiede zwischen den zwei Sorten der Acetylcholin-Rezeptoren: die Nervenzellen waren stärker aktiv, wenn sie mit Nikotin behandelt wurden. Diese Aktivität wurde also durch den nikotinischen Rezeptor vermittelt. Jedoch konnte der Gegenspieler des zweiten Rezeptortyps (dem muskarinischen Rezeptor) die Schmerzaktivität nach Carbacholbehandlung dämmen. Die Schmerzverarbeitung in den Hirnhäuten schien also beide Acetylcholinrezeptoren mit einzubeziehen.
Eine weitere Schmerzquelle war involviert: Carbachol führte dazu, dass spezielle Zellen der Körperabwehr (Mastzellen) in den Hirnhäuten Substanzen freisetzten (Degranulation), deren schmerzfördernde Wirkung schon aus früheren Studien bekannt war. Die Forscher versuchten dann, den Abbau des Actylcholins zu verhindern, indem sie das abbauende Eiweiß (Acetycholinesterase) hemmten. Dies änderte jedoch erst dann die Schmerzzellenaktivität, wenn die Nervenzellen vorher mit einem bekannten Migräneauslöser (calcitonin gene-related peptide, CGRP) behandelt worden waren. Gegen das CGRP beispielsweise wirkt der neue Biologika-Wirkstoff Erenumab, aber auch vermutlich die Akutmedikamente Triptane. Das Acetylcholin in den Hirnhäuten erschien also die Schmerzen zu fördern, nicht auszulösen.
Die Gesichtsnerven und die Mastzellen in den Hirnhäuten spielen demnach tatsächlich eine wesentliche Rolle bei der Kontrolle von Kopfschmerzen. Sie enthalten verschiedene schmerzfördernde Rezeptoren für den Nervenbotenstoff Acetylcholin, die durch das Organsteuerungssystem Parasympathikus aktiviert werden können. Diese Rezeptoren sind damit ein mögliches neues Entwicklungsziel für die Therapie von Trigeminusneuralgien und Migräne.
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