Antidepressiva: stabilisierend für den Schlaf-Wach-Rhythmus?
Original Titel:
Comparison of the Effects of Quetiapine XR and Lithium Monotherapy on Actigraphy-Measured Circadian Parameters in Patients With Bipolar II Depression
In einer Depression sind Patienten oft lange Zeit im Bett, aber trotzdem erschöpft und nicht erholt. In einer Manie dagegen haben sie keine Zeit zum Schlafen und sind scheinbar unermüdlich. Der Schlaf-Wach-Rhythmus (circadianer Rhythmus) ist offensichtlich bei einer Bipolaren Störung anders als bei gesunden Menschen. Allerdings ist diese Beziehung nicht einseitig: nicht nur verändert die Erkrankung den Rhythmus der Patienten, eine Einwirkung auf circadiane Abläufe von Außen bewirkt auch eine Veränderung der Erkrankung. So gab eine Übersichtsstudie kürzlich deutliche Hinweise darauf, dass Schlafmangel ein wirksames Antidepressivum, sowohl bei Depression als auch bei der Bipolaren Störung, sein kann.
Professor Yu Jin Lee, Expertin für Schlafstörungen vom Department für Psychiatrie und dem Zentrum für Schlaf und Chronobiologie an der Seoul National University in Südkorea untersuchte nun mit ihren Kollegen, ob auch bekanntermaßen antidepressiv wirksame Medikamente auf den Schlaf-Wach-Rhythmus depressiver oder bipolarer Patienten einwirken. Dazu fokussierte sie die Studie auf das atypische Neuroleptikum Quetiapin und Lithium, die beide häufig unter anderem gegen depressive Symptome der Bipolaren Störung eingesetzt werden.
Die Schlaf-Wach-Rhythmen der Patienten wurden mit Hilfe eines kleinen Aktivitätsmessgeräts ermittelt, das die Patienten für eine Dauer von mehreren Tagen am Handgelenk trugen. Die Aufzeichnungen, Aktigraphie genannt, wurden anschließend in einen Computer überführt und analysiert. Bereits zur Einführung dieser Messung 1926 (die eigentlich schon über 100 Jahre vorher in der Pflanzenbiologie angewandt wurde) zeichnete Maynard Johnson das ‚Aktogramm’ so auf, dass Folgetage als horizontale Linien übereinander gestapelt erschienen. Die aktiven Zeiten werden in dieser Darstellung dunkel hervorgehoben. Bei gesunden Menschen mit stabilem Schlafverhalten könnte man so eine dunkle Zone von morgens bis abends ausmachen, die nur von kürzeren Ruhephasen unterbrochen wird. Diese Zeiten verändern sich bei Gesunden typischerweise nicht von Tag zu Tag, bilden also im Aktogramm recht gerade von oben (erster Tag) nach unten (letzter Tag) verlaufende helle und dunkle Blöcke. Längerfristige Veränderungen in den aktiven und Ruhezeiten (z. B. Schlaf) kann man in einer solchen Darstellung als schief verlaufendes Muster schnell erkennen. Auch Verkürzungen der Ruhezeiten in manischen Phasen, oder ungewöhnlich häufige Ruhephasen in einer Depression lassen sich in einer solchen Abbildung rasch ausmachen.
In dieser Studie wurden nun Aktogramme von Patienten über 8 Wochen erstellt. Zusätzlich wurden die depressiven Symptome der Patienten auch mit dem HAM-D-Fragebogen (17-item Hamilton depression rating scale) erfasst. Beides, Aktogramm und Depressionsskala, wurden in Woche 0 als Grundlinie ermittelt, und anschließend in Woche 1, 2, 4, 6 und zum Studienende in Woche 8 aktualisiert. Schließlich wurden die wellenartigen Verläufe der Schlaf-Wach-Rhythmen aller Teilnehmer verglichen (Cosinor-Methode) und auf ihre Vergleichbarkeit über die Zeit hinweg und die Zeitpunkte der Aktivitätsphasen hin analysiert. Ein Teil der Patienten erhielt Quetiapin, der andere Teil nahm Lithium ein.
Die Forscher fanden, dass beide Medikamente sich mit der Zeit verstärkt auf die Schlaf-Wach-Rhythmen einwirkten. Bei den Patienten, die Quetiapin einnahmen, erfolgten die Aktivitätsphasen in Woche 1 und Woche 6 signifikant später als zu Beginn der Studie. Insgesamt verstärkten sich die Zusammenhänge zwischen Behandlungsdauer und Schlaf-Wach-Rhythmus im Laufe der Studie. Das heißt, die Medikamente beeinflussten zunehmend die Zeitpunkte der Aktivitäts- und Ruhephasen und vereinheitlichten sie über die Patientengruppe hinweg. Die Patienten wurden also zunehmend in ihrer Schlaf-Wach-Rhythmus ‚normalisiert’. Dieser zunehmende Behandlungseffekt, vor allem die zunehmende Stabilität des Rhythmus (also eine vergleichbare Abfolge von Aktivität und Ruhe über die Tage hinweg) spiegelte sich auch in den Depressionssymptomen wieder, die ebenso mit zunehmender Zeit messbar stärker von beiden Medikamenten beeinflusst wurden.
In dieser Studie fanden die Wissenschaftler also, dass sowohl Quetiapin als auch Lithium den Schlaf-Wach-Rhythmus der bipolaren Patienten beeinflussten. Dies betraf die Aktivitätshöhepunkte ebenso wie die Stabilität des gesamten Rhythmus. Allerdings unterschieden sich die Medikamente auch darin, wann und wie genau sie die Aktivitätsphasen verschoben oder normalisierten. Besonders hing dabei die Stabilität des Schlaf-Wach-Verhaltens mit den depressiven Symptomen zusammen. Die Studie deutet damit darauf, dass antidepressiv wirkende Medikamente bei der Bipolaren Störung einen deutlichen Effekt auf den Ablauf von Aktivitäts- und Ruhephasen haben. Auch in früheren Studien wurde dieser Faktor als wichtig bei der Stabilisierung der psychischen Symptome beschrieben. Auch ist es bekannt, dass ein stabiler Tagesablauf positiv auf den Krankheitsverlauf einwirkt. Medikamente und Lebensgestaltung könnten somit fördernd bei der Behandlung der Bipolaren oder Unipolaren Depression zusammenwirken.
© Alle Rechte: HealthCom