Migräne
Nase frei, Migräne weg? Pilotstudie findet keine klaren Ergebnisse für neuen Ansatz
Original Titel:
Bacterial flora of the migraine nose: Pilot case–control study of nasal bacteria in migraine headache
Migräne wurde bereits in den ältesten menschlichen Zivilisationen beschrieben. Man dachte, böse Geister seien im Schädel gefangen. Schamanen bohrten daher kleine Löcher in den Schädel lebender Patienten, ein ‘Trepanation’ genanntes Verfahren, um den Geistern die Flucht aus dem Kopf des Kranken zu ermöglichen. Erste Versuche solcher Behandlungen fanden womöglich sogar schon in der Steinzeit statt, nach Schädelfunden zu schließen zum Teil sogar mit überlebenden Patienten. Keilschrifttafeln aus babylonischen Siedlungen um 1100 vor Christus beschreiben erstmals konkret die Symptome einer Migräne. Aber schon vorher wurden Kopfschmerzerkrankungen der Rache der ägyptischen Götter zugeschrieben. Um die Symptome zu lindern, wurde ein tönernes Krokodil auf den Kopf des Patienten gehalten. Nach alten Papyrusrollen von etwa 1550 vor Christus wurden Erkrankte in der Pharaonenzeit auch mit der Asche des Skeletts eines Welses eingerieben. Die Wirksamkeit dieser Methoden ist jedoch nicht überliefert.
Im 17. Jahrhundert vermutete Thomas Willis, dass Migräne durch die Erweiterung von Blutgefäßen im Gehirn entstehe. Dieser Theorie folgten Eulenbergs Erklärungsversuche mit Gefäßverengungen und -erweiterungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Migräneattacke. Heute glauben wir auch an die neurovaskuläre Theorie der Migräne (neben der Übererregbarkeitshypothese, die sich auf die Ähnlichkeiten zur Epilepsie bezieht). Allerdings ist die Theorie etwas abgewandelt: es wird angenommen, dass Nervenentzündungen eine Kaskade von Gefäßveränderungen auslösen. Die Symptome sind somit vermutlich die Folge zweier unterschiedlicher Systeme und ihres Zusammen- oder Gegenspiels. Allerdings ist die genaue Entwicklung der Erkrankung, sozusagen ihre Ursache, noch immer nicht klar.
Neuere Konzepte konzentrieren sich dabei auf einen Infekt als Auslöser, oder eine durch eine chronische Infektion induzierte Überempfindlichkeit. Migränepatienten zeigen auch tatsächlich gehäuft Infektionen mit Bakterien wie Helicobacter pylori, das als kritischer Faktor bei der Entwicklung einer Magenschleimhautentzündung bekannt ist. Auch Chlamydia ist üblicher bei Migränepatienten als bei Gesunden.
Die Idee hinter diesem Konzept ist, dass chronische Infekte die Menge und Art der im Körper zirkulierenden Signalstoffe, der Cytokine, verändern können. Viele dieser Cytokine, die teils von den Zellen der Immunabwehr abgegeben werden, um einen Angriff auf Eindringlinge zu koordinieren, fielen bereits im Zusammenhang mit Migräne auf.
Besonders relevant bei Migräne könnte eine Infektion in der Nähe des Gesichtsnervs sein, der ein gut bekanntes Ziel für Auslösung und Behandlung von Migräne ist. So können Meningitis-Keime durch die Nasenschleimhaut ins Gehirn einwandern und dort die schwere Gehirnhautentzündung verursachen. Daher untersuchte die Gruppe um Dr. Amalakanti, Medizinwissenschaftler und Neurologe am Guntur Regierungskrankenhaus in Indien, ob Migräneure auffällige Bakterien in der Nasenschleimhaut aufweisen.
Diese beobachtende Pilotstudie wurde in der neurologischen Abteilung des Regierungskrankenhauses Guntur in Indien durchgeführt. Bei 27 Migränepatienten (26 Frauen) und 10 Angehörigen (5 Männer, 5 Frauen) dieser Patienten ohne Migräne wurden mit Wattestäbchen Proben von der Nasenschleimhaut genommen. Die Stäbchen wurden anschließend auf einem nährstoffreichen Gel abgestreift und das Wachstum der vorhandenen Bakterien somit gefördert.
Es fand sich eine Vielfalt von Bakterien in der Nase: Staphylokokken, Viridans streptococci, die bei uns auch als Karies & Baktus bekannt sind, Diphteroide (die Diphterie-auslösenden Bakterien optisch ähneln), kleinzellige Bakterien (Microcci), die auch auf der menschlichen Haut vorkommen und weitere. Dabei unterschied sich der Bakterienwuchs, die bakterielle Flora, bei Migränepatienten von den verwandten Kontrollen in einigen Punkten. Statistisch klar unterschiedlich tauchten Bakterien der Sorte Diphtheroide nur in 11 % der Migräneure, aber 40 % der Kontrollen auf. Micrococci waren dagegen nur tendenziell schwächer bei Migräneuren (30 %) als bei Kontrollen (60 %) vertreten. Dies könnte also möglicherweise ein reiner Zufallsbefund sein. Beim Vergleich der Verwandten relativierte sich das Ergebnis weiter: 8 Patienten lebten im selben Haushalt mit einer Kontrolle – und bei immerhin 6 dieser zusammenlebenden Vergleichspaare lag dieselbe Bakterienflora in Patient und Kontrolle vor.
Diese Pilotstudie basiert nur auf einer geringen Zahl von Migräneuren und migränefreien, verwandten Kontrollen. Die Ergebnisse deuten aber auf mögliche, wenn auch subtile, Unterschiede im bakteriellen Wuchs in der Nase von Migränepatienten. Diese Unterschiede sollten in weiteren Studien untersucht werden, um ein besseres Verständnis für die Ursache oder Auslöser der Erkrankung zu gewinnen. Es ist vorstellbar, dass infektiöse Faktoren eine Überempfindlichkeit des Gesichtsnervs nach sich ziehen und damit eine Migräne wahrscheinlicher machen könnten. Analog zu den Migränepatienten, deren neurologische Erkrankung sich nach Behandlung ihrer Helicobacter-Infektion mit Antibiotika besserte (klinische Studie, Faraji & Zarinfar, 2012), könnten auch Bakterien in der Nasenschleimhaut behandelt werden. Allerdings sollte dafür erst eine Relevanz für die Migräne klar nachgewiesen werden, um nicht als ähnlich gewagte Therapie wie die Asche eines Welsskeletts zu gelten.
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