Entzündungsmarker TNF und IL-12 erhöht, antientzündliches IL-10 gesenkt: eine Balance aus Signalstoffen des Abwehrsystems scheint bei der Migräne verändert
Original Titel:
Unbalanced plasma TNF-α and IL-12/IL-10 profile in women with migraine is associated with psychological and physiological outcomes
Erhöhte Konzentrationen entzündungsfördernder Signalstoffe (wie z. B. das Interleukin IL-12) und verringerte Mengen antientzündlicher Botenstoffe (beispielsweise Interleukin IL-10) werden derzeit vermehrt als wichtige Faktoren bei Stimmungs- und Schmerz-Erkrankungen wie auch der Migräne erforscht. Interleukin IL-12 (speziell IL-12p70) beispielsweise ist einer der Auslöser für eine entzündliche Reaktion die mittels der T-Helferzellen abläuft. Solche Entzündungsprozesse mit IL-12 kennt man inzwischen aus entzündlichen Darmerkrankungen, allergischen Reaktionen, aber auch aus der Antitumor-Aktivität des Körpers. Damit spielt IL-12 eine kritische Rolle im Abwehrsystem, kann aber auch bei chronischen Entzündungen als Problem auftreten. Auch die Migräne wird inzwischen als eine Erkrankung mit chronischer Entzündung der Nerven verstanden. Entsprechend versuchen Forscher, klare Anzeichen im Blut für eine vorliegende Migräneerkrankung zu finden und darüber mögliche therapeutisch nutzbare Ziele zu finden.
In einer neuen Studie aus Brasilien unter Leitung des Neurologen Prof. Peres, Direktor des Kopfschmerzzentrums von São Paulo, wurden nun die Stimmung, Herz-Kreislauf-Fitness und Blutkonzentrationen verschiedener Interleukine bei Frauen mit und ohne Migräne untersucht. Bei den Blutwerten konzentrierten sich die Forscher auf Anzeichen von Entzündungsaktivität wie dem Tumornekrosefaktor TNF sowie der Interleukine IL-1, IL-6, IL-8, IL-10 und der speziellen p70-Variante von IL-12. Die Patientinnen mit episodischer Migräne, sowohl mit als auch ohne Aura, befanden sich während dieser Studie nicht akut in einer Migräneattacke. Die Patientinnen nahmen keinerlei prophylaktische Medikamente.
Insgesamt nahmen 37 Frauen im mittleren Alter von 24 Jahren teil. Davon litten 20 unter Migräne, 17 dagegen nicht. Die Gruppen waren in Alter, Gewicht und BMI sowie Herz-Kreislauf-Fitness vergleichbar. Die Frauen mit Migräne waren messbar stärker angespannt oder gestresst und litten stärker unter Ängsten als die Frauen ohne Migräne. Auch in den Blutwerten konnten beide Gruppen unterschieden werden: mit Migräneerkrankung waren der TNF und IL-12 erhöht. Es gab also Anzeichen von entzündlichen Prozessen im Körper bei den Patientinnen. Andere Interleukine (IL-6, IL-8 und IL-10) fanden sich dagegen in geringeren Konzentrationen als bei der Kontrollgruppe ohne Migräne. Interessanterweise konnten die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen stärkeren Ängsten und höheren IL-12-Werten messen. Je geringer dagegen die Herz-Kreislauf-Fitness war, desto stärker waren die TNF-Konzentrationen der Patientinnen erhöht.
Zusammenfassend zeigte sich in dieser Studie, dass Frauen mit Migraine erhöhte Blutkonzentrationen von Signalstoffen des Abwehrsystems haben, die auf entzündliche Prozesse hinweisen. Dazu gehören der sogenannte Tumornekrosefaktor und ein spezielles Interleukin (IL-12p70). Auffallend niedrig sind dagegen die Interleukin 10-Werte (IL-10). Speziell dieses Ungleichgewicht von IL-12 und IL-10 scheint bei den Migränepatientinnen mit einer erhöhten Tendenz zu Ängsten einherzugehen. Die hohen TNF-Werte dagegen hingen typischerweise mit einer schlechteren Herz-Kreislauf-Fitness zusammen, die in anderen Studien auch als verstärkendes Element bei der Migräne eine Rolle zu spielen schien.
Das Ungleichgewicht verschiedener Signalstoffe des Körperabwehrsystems könnte demnach ein grundlegendes Element der Migräneerkrankung sein. Diese Balance schlägt sich dabei offenbar nicht nur auf Schmerzattacken, sondern auch auf das psychische Nervengerüst der betroffenen Frauen nieder: sie leiden verstärkt auch unter Ängsten. Weitere Studien werden nun benötigt, um einerseits diese Zusammenhänge in größeren Patientengruppen, aber auch vor und nach einer Behandlung mit Prophylaxen oder Akutmedikationen zu ermitteln.
Mit dieser Studie eröffnet sich ein weites Feld möglicher therapeutischer Ziele zur Behandlung der Migräne: gegen entzündliche Prozesse können verschiedenste Wirkstoffe zum Einsatz gebracht werden, die zum Teil schon lange bei anderen Erkrankungen wie der Arthritis, Psoriasis oder entzündlichen Darmerkrankungen zum Einsatz kommen. Die Studie liefert aber auch Unterstützung für alternative und ergänzende Therapien der Migräne mit antientzündlichen Substanzen wie beispielsweise den Omega-3-Fettsäuren oder Curcumin.
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