Chemische Ringe mit Enzymen maßgeschneidert herstellen: Bielefelder Chemie veröffentlicht Forschungsartikel im Journal „Nature Communications“

Penicillin-basierte Antibiotika enthalten einen fünfgliedrigen Kohlenwasserstoff-Ring, in dem zusätzlich ein Schwefel- und ein Stickstoffatom eingebaut sind. Die selektive Herstellung dieser bedeutenden Teilstruktur mit unterschiedlichen Resten an diesem Ring ist Nadine Zumbrägel, Doktorandin am Lehrstuhl für Organische Chemie I an der Universität Bielefeld, unter Einsatz einer biotechnologischen Methode gelungen. Das gezielte Design solcher Strukturen ermöglicht nun den Aufbau von Substanz-Bibliotheken solcher sogenannter Heterocyclen, die zukünftig zum Auffinden neuer Wirkstoffe von der pharmazeutischen Industrie genutzt werden können. An den Untersuchungen beteiligt waren neben der Bielefelder Chemie zudem zwei Wissenschaftler von der Ruhr-Universität Bochum. Ihr Forschungsergebnis stellen die Forscher mit Zumbrägel als Erstautorin und Professor Dr. Harald Gröger, Leiter des Lehrstuhls für Organische Chemie I und Korrespondenzautor, heute (16.05.2018) im renommierten Journal „Nature Communications“ vor.

Antibiotika wurden kürzlich in der bedeutenden Fachzeitschrift „Chemical & Engineering News“ als eine von neun Wegen, wie Chemie die Welt verändert hat (“9 Ways that Chemistry Changed the World“), beschrieben. Von besonderer Bedeutung sind dabei Penicilline, die wiederum einen fünfgliedrigen Kohlenwasserstoff-Ring enthalten, in dem zusätzlich ein Schwefel- und ein Stickstoffatom eingebaut sind. Die selektive Herstellung dieser bedeutenden Teilstruktur, flexibel ausgestattet mit unterschiedlichen Resten an den Ringen, würde wiederum eine Substanzbibliothek zum Auffinden neuer Wirkstoffstrukturen darstellen. Grundsätzlich ist der Zugang zu diesen Ringstrukturen ausgehendvon gut zugänglichen Vorstufen, den sogenannten 3-Thiazolinen, denkbar. Hierbei ist der Ring bereits vorgefertigt und es muss „nur“ noch eine Doppelbindung in eine Einfachbindung durch Reduktion überführt werden.

Obwohl diese 3-Thiazoline seit Jahrzehnten bekannt sind und erstmals in den 1950er Jahren berichtet wurden, erwies sich diese Umwandlung als synthetisch schwierig. Dies ist insofern bemerkenswert, da für den Reaktionstyp der Reduktion im Allgemeinen eine Vielzahl an chemischen Methoden zur Verfügung steht und diese für zahlreiche Synthesezwecke bereits erfolgreich eingesetzt wurden. Dass sich solche „klassisch chemische“ Verfahren als unwirksam für die Herstellung dieser Verbindungsklasse der Fünf-Ringe mit eingebauten Schwefel- und Stickstoffatomen erwies, hat mehrere Gründe: So führen stark reduzierende zur ungewünschten Ringöffnung und bei anderen Reduktionsverfahren mit Metallkatalysatoren wirkt der im Ring enthaltene Schwefel wie ein Katalysatorgift. Auch die benötigte Selektivität erwies sich als unüberwindbare Hürde: Bei der Reduktion können sich chirale Verbindungen bilden, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Für Wirkstoffe ist es bedeutend, dass nur eine dieser Formen, sogenannte Enantiomere, vorliegt. Bisherige Verfahren konnten im besten Fall den Ring zwar erhalten, ergaben aber nur äußerst niedrige Selektivitäten.

In ihrer vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBF) im Rahmen des Förderprogramms „Biotechnologie 2020+, Nächste Generation biotechnologischer Verfahren“ geförderten Doktorarbeit ist es Nadine Zumbrägel nun erstmals gelungen, 3-Thiazoline ohne Nebenreaktionen zu den gewünschten Zielverbindungen in hochselektiver Weise unter Bildung von nur einem Enantiomer zu reduzieren. Dafür setzte sie Vertreter der Enzymklasse der sogenannten Iminreduktasen als Biokatalysatoren ein. „Die pharmazeutische Industrie verlangt zunehmend nach hoch enantioselektiven Synthesemethoden. Eine Möglichkeit hierfür ist der Einsatz von Enzymen als geeignete Katalysatoren, also reaktionsbeschleunigende Moleküle bei chemischen Prozessen“, erklärt Zumbrägel.

Den Forschern gelang es zudem die Reduktionsmethode auf weitere schwefelhaltige Heterocyclen auszudehnen und dadurch eine Plattformtechnologie zu entwickeln. Die Anwendbarkeit dieser Reduktionsmethode wurde von den Wissenschaftlern außerdem bereits im vergrößerten Labormaßstab gezeigt. „Diese erfolgreiche Verzahnung der Gebiete Biotechnologie und Heterocyclenchemie ist ein weiterer Beleg für das Potenzial der Enzyme als Katalysatoren aus der Natur für die Nutzung in der Chemikalienherstellung“ sagt Gröger, der mit seiner Arbeitsgruppe an der Universität Bielefeld seit 2011 an biokatalytischen Verfahren zur Synthese von Industriechemikalien forscht. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Stefan Huber von der Ruhr-Universität Bochum, der quantenmechanische Rechnungen durchgeführt hat, konnten die experimentellen Beobachtungen zudem rational mit Hilfe der Computerchemie nachvollzogen werden. Dr. Christian Merten, ebenfalls von der Ruhr-Universität Bochum, verknüpfte zudem quantenmechanische Berechungen mit VCD (Vibrational Circular Dichroism)-Messungen, wodurch die Bestimmung der stereochemischen Eigenschaften der Zielverbindung gelang.

Originalveröffentlichung:
Nadine Zumbrägel, Christian Merten, Stefan M. Huber, Harald Gröger, Enantioselective reduction of sulfur-containing cyclic imines through biocatalysis, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-018-03841-5, erschienen am 16. Mai 2018.

Weitere Informationen:
Homepage Organische Chemie I, Link: www.uni-bielefeld.de/chemie/arbeitsbereiche/oc1/HG/
Pressemitteilung „Enzyme für umweltfreundliche Chemie nutzen“ (08.01.2018), Link: https://ekvv.uni-bielefeld.de/blog/uniaktuell/entry/enzyme_f%C3%BCr_umweltfreundliche_chemie_nutzen

Der Originalartikel ist hier abrufbar.