Demenz / Alzheimer
Magnetische Anregung des freien Gedankenflusses könnte Gedächtnisleistungen bei Frühformen der Alzheimererkrankung verbessern
Original Titel:
Transcranial magnetic stimulation of the precuneus enhances memory and neural activity in prodromal Alzheimer's disease.
Auffälliger Gedächtnisverlust ist eines der ersten Symptome einer typischen Alzheimererkrankung. Gerade dieses Symptom ist vor allem zu Beginn sehr belastend, kann aber bisher kaum wirksam behandelt werden. Die neuere Wissenschaft hat einen besonderen Gehirnteil, den Precuneus, als Schlüsselelement bei den Gedächtnisstörungen der frühen Alzheimerdemenz entdeckt. So haben Tübinger Wissenschaftler (Brodt und Kollegen, 2016 in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen) zeigen können, wie der Precuneus und unser Umschlagplatz für neue Eindrücke und Lerninhalte, der Hippocampus, beim Lernen mit dem Gedächtnis zusammenarbeiten. Der Precuneus agiert möglicherweise als Brückenelement zwischen verschiedenen Gehirnstrukturen, die beispielsweise gemeinsam aktiv werden, wenn man eigentlich nichts Besonderes tut.
Gehirnteil Precuneus als Brücke im ‚default mode‘-Netzwerk: das Gehirn beim gesunden, aktiven Nichtstun
Das Netzwerk dieses Standard-Modus, auf Englisch default mode network genannt, scheinen sich die beteiligten Gehirnareale die Gedanken frei hin und her zuzuspielen, so wie man es in entspannten Momenten als freien Gedankenfluss verspüren kann. Wenn dieser Gedankenfluss gestört ist, können eventuell besonders wichtige Gedächtnisinhalte nicht ausreichend mit anderen Gedanken verknüpft werden. Es wird vermutet, dass bei Gedächtnisproblemen wie bei frühen Alzheimererkrankungen solche Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Bereichen der Gehirnstrukturen gestört sind. Der Precuneus als möglicher Mitorganisator des freien Gedankenflusses mit seinen unterschiedlichen Strömungen stand daher im Mittelpunkt dieser Studie. Mit einer Kombination von stimulierenden und messenden Verfahren untersuchten die Forscher rund um Dr. Koch, Forschungsdirektor der Abteilung für klinische und Verhaltensneurologie des neurologischen Rehabilitationshospitals in Italien, der Santa Lucia Foundation, ob die Aktivität des Precuneus einen Effekt auf die Gedächtnisleistung von Patienten im Frühstadium der Alzheimererkrankung hat. Diese Gehirnstruktur wurde dabei magnetisch, mit der rTMS-Technologie (repetitive transcranial magnetic stimulation), behandelt. Dabei werden durch Magnetfelder Stromflüsse in den Nervenzellen ausgelöst, die den Strömen ähneln, die im Gehirn bei normaler Nervenaktivität fließen.
Anregung und Hemmung von Gehirnstrukturen durch Magnetfelder
Zu dieser Studie wurden 14 Patienten mit einer Frühform der Alzheimererkrankung, davon 7 Frauen, rekrutiert. Die Studienteilnehmer wurden über 2 Wochen hinweg zufallsverteilt entweder mit der TMS-Technologie behandelt oder erhielten eine Scheinbehandlung. Die behandelnden Ärzte waren dabei ebenso wenig über die jeweilige Behandlung informiert wie die Patienten selbst, die Studie verlief also doppelblind. Zeitgleich zur Magnetbehandlung wurden auch die elektrischen Ströme des Gehirns mittels EEG (Elektroenzephalogramm) gemessen. Bei dieser Methode können zum Teil Aktivitätsmuster erkannt werden und bei diesen Mustern bestimmt werden, ob sie langsamer oder schneller als bei einem gesunden oder unbehandelten Gehirn auftauchen. Zusätzlich wurde mittels kombinierter Tests (ADCS-PACC, Alzheimer disease Cooperative study preclinical Alzheimer cognitive composite) die Denkleistung der Patienten vor und im Anschluss an die Behandlung oder Scheinbehandlung überprüft. Dabei wurden das episodische Gedächtnis, sogenannte exekutive Funktionen, also Kontrollfunktionen, die für planvolles Handeln wichtig sind, und die generelle Denkleistung getestet.
Kombination von Behandlungs- und EEG-Messdaten: wirkt das Magnetfeld auf die Precuneus-Brücke?
Die Analyse der kombinierten Behandlungs- und EEG-Messdaten zeigten eine erhöhte Nervenaktivität der Patienten im Precuneus infolge der TMS-Behandlung. Die genaueren Details der Daten deuteten auf ein verstärktes Hin- und Herspiel der Nervenaktivität an, wie man das bei besserer Verknüpfung erwarten würde. Diese sogenannte funktionelle Konnektivität fand sich vor allem zwischen dem Precuneus und hinter Stirn bzw. Schläfen gelegenen Gehirnstrukturen, den medialen frontalen Arealen, die zum Standard-Modus gehören. Die Behandlung des Precuneus schien also tatsächlich auf das System stärkend einzuwirken, das beim freien Gedankenfluss aktiv ist. Bei der Überprüfung der Denkleistung fanden die Wissenschaftler auch Verbesserungen der behandelten Patienten. Diese positiven Effekte zeigten sich vor allem im episodischen Gedächtnis, interessanterweise aber nicht in sonstigen Denkleistungen.
Magnetunterstützung des episodischen Gedächtnisses
Damit konnte diese Studie zeigen, dass magnetische Stimulation des Precuneus mit rTMS ein vielversprechender, nicht-invasiver Ansatz zur Behandlung der Gedächtnisstörungen bei Patienten der frühen Alzheimererkrankung ist. Soweit in dieser kurzen und kleinen Studie gezeigt werden konnte, können Patienteneinbußen bei der Denkleistung mit TMS durch Stärkung der Verknüpfung zwischen Gehirnstrukturen verbessert werden. Die Ergebnisse stärken damit auch Konzepte der dem Gedächtnisverlust zugrundliegenden Mechanismen. Die TMS-Technologie ist inzwischen im klinischen Umfeld recht weit verbreitet angewandt. Weitere Studien zu dieser Methode werden daher nun sicherlich zügig folgen, um genauer zu klären, welche Patienten besonders von dieser Behandlung profitieren könnten.
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