Forscher packen Alpha-Strahler in Käfig
Ein spezifischer Komplexbildner für ausgewählte Radiometalle soll deren Anwendungsmöglichkeiten in der Tumorbestrahlung erweitern
Zur Therapie von Krebserkrankungen werden verstärkt radioaktiv markierte Substanzen eingesetzt, die im Patienten die Tumorzellen gezielt aufspüren und zerstören können. Besonders die Therapie mit Alpha-Strahlern gilt als vielversprechend, denn diese können im Gegensatz zu Beta-Strahlern durch ihre höhere biologische Wirksamkeit Strahlenresistenzen durchbrechen. Auch wird aufgrund ihrer kürzeren Reichweite nur wenig gesundes Gewebe um den Tumor mitbestrahlt. Um Alpha-Strahler zukünftig für viele unterschiedliche Tumorarten einsetzen zu können, benötigen sie jedoch eine Art chemischen Transportkäfig. Solche Käfige hat ein Forscherteam am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) kürzlich im Fachjournal „ChemistryOpen“ vorgestellt.
Die Behandlung mit Alpha-Emittern ist derzeit auf spezielle Erkrankungen des Skeletts beschränkt, denn das einzige radioaktive Arzneimittel (Radiopharmakon) mit einer Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur ist Radium-223, verabreicht als Radiumchlorid. Es reichert sich ähnlich wie Calcium im Knochengewebe an und zerstört dort die Metastasen.
Damit Alpha-Emitter auch Tumoren in anderen Geweben erreichen können, benötigen sie eine molekulare Hülle, die durch die Bildung eines Komplexes als Transportkäfig dienen soll. Dem Forscherteam um Dr. habil. Constantin Mamat vom HZDR ist es gemeinsam mit Prof. Martin Köckerling von der Universität Rostock erstmals gelungen, einen solchen chemischen Käfig zu synthetisieren, der zunächst ein Bariumion über längere Zeit stabil aufnehmen kann. Dieses fungiert als nicht-radioaktive Probe für die therapeutisch wirksamen Alpha-Emitter Radium-223/-224 und das radioaktive Barium-131, das Potential für diagnostische Anwendungen besitzt. „Bei Barium und Radium handelt es sich jedoch ausgerechnet um Elemente, die chemisch schwer zu binden sind“, erklärt der Doktorand David Bauer vom HZDR die besondere Herausforderung.
Bislang waren keine geeigneten Komplexbildner zur stabilen Bindung von Radium und Barium bekannt. Die Forscher verwenden für ihre Konstruktion spezielle, käfigförmige Verbindungen. In der Fachsprache Calix-Kronen genannt, bestehen sie selbst aus verschiedenen Strukturelementen: Das Grundgerüst bildet die Substanzklasse der Calix[4]arene, die Verknüpfung mit Kronenethern formt den Käfig. Kombiniert mit unterschiedlichen funktionellen Gruppen, schließt dieser das entsprechende Radiometall in seinem Inneren ein. Durch die Auswahl geeigneter funktioneller Gruppen können die Forscher das Bindungsverhalten der Calix-Krone gegenüber den Radionukliden vielfältig modulieren.
Ausreichend stabile Metallkomplexe könnten Möglichkeiten für den medizinischen Einsatz eröffnen. Constantin Mamat bleibt aber realistisch: „Die von uns erreichte hohe Stabilität spezieller Calix-Kronen mit Barium bringt uns natürlich einen wichtigen Schritt voran, aber es ist noch ein weiter Weg, bis aus dieser Idee ein wirksames Radiopharmakon für die Tumorbekämpfung hervorgeht.“ Die Forscher wollen die Eigenschaften der Calix-Kronen nun weiter optimieren und mit neuen funktionellen Gruppen experimentieren, die auch den Transport im Blut ermöglichen und für Kompatibilität im komplexen biologischen System Mensch sorgen sollen.
„Noch gehören unsere Experimente in den Bereich der Grundlagenforschung. Doch der besondere Nutzen hinter diesem Ansatz ist das Aufspüren und Vernichten von kleinsten Metastasen, möglichst noch bevor sie in modernen Bildgebungsverfahren überhaupt sichtbar werden“, begeistert sich David Bauer für die mögliche medizinische Bedeutung der Ergebnisse. Sein Kollege Falco Reissig, ebenfalls Doktorand und Co-Autor des Artikels, ergänzt: „Für unsere Experimente ist Infrastruktur notwendig, wie sie nur an wenigen Forschungsstandorten der Welt vorhanden ist. Wir dürfen hier einzigartige Pionierarbeit leisten.“ Das Helmholtz-Zentrum in Dresden bietet dafür optimale Bedingungen mit seinem neuen Zentrum für Radiopharmazeutische Tumorforschung (ZRT) und dem erst 2017 in Betrieb genommenen, hochmodernen Zyklotron. Die Forscher können damit auch das diagnostisch interessante Barium-131 und weitere Nuklide in eigener Herstellung erzeugen.