Neues Medikament für Diabetes-2-Patienten erstmals am Menschen getestet
Präparat verbessert den Blutzuckerspiegel und senkt das Gewicht
Vom Tiermodell zum Patienten: Wissenschaftler der Leipziger Universitätsmedizin haben zusammen mit Partnern ein Medikament – ein „Doppelhormon“ – zur Therapie von Typ-2-Diabetes erstmals in einer klinischen Studie am Menschen getestet. Die Ergebnisse belegen die exzellente Wirksamkeit des Präparats: Es senkt sowohl Blutzucker als auch Gewicht der Patienten. Damit erweitert das Medikament das derzeit verfügbare Behandlungsspektrum um ein neuartiges Wirkungsprinzip. Die Studienergebnisse wurden jetzt im renommierten medizinischen Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht.
Neues Medikament wirkt in zwei Richtungen
Ein mögliches „Zaubermittel“ hat Stumvoll nun in einer klinischen Studie das erste Mal am Menschen getestet. Das Besondere an diesem Medikament: Es reguliert den Blutzucker und wirkt gleichzeitig sättigend. Die Teilnehmer der nun publizierten klinischen Studie wiesen verbesserte Blutzuckerwerte auf und verloren zudem noch Gewicht. Der injizierbare Eiweißbotenstoff wird als dualer Agonist bezeichnet: Es stimuliert nämlich sowohl den Glucagon-Rezeptor, der den Blutzucker kontrolliert, als auch den GLP1-Rezeptor, was zu zahlreichen günstigen Stoffwechselwirkungen führt, einschließlich Steigerung des Sättigungsgefühls im Gehirn. Somit hat das Medikament auch ein großes Potential für die Adipositas-Therapie. Am verwandtesten ist dem Medikament das körpereigene Hormon Oxyntomodulin, das zu den sättigenden Darmhormonen zählt, aber keinen Blutzuckereffekt hat.
Studienteilnehmer erhielten unterschiedliche Dosen des neuen Wirkstoffs
„Das Ziel unserer Untersuchung war es, die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit des neuen Präparats zu beurteilen“, sagt Prof. Dr. Michael Stumvoll, der zugleich auch die Klinik und Poliklinik für Endokrinologie und Nephrologie des Universitätsklinikums Leipzig leitet. Dabei handelte es sich um eine sogenannte Phase-II-Studie, bei der ein Wirkstoff erstmalig an Patienten getestet wird, um die beste Dosierung zu ermitteln und mögliche Nebenwirkungen zu beobachten. Insgesamt nahmen 112 Teilnehmer an der Studie teil. Sie wurden unterschiedlichen Versuchsgruppen zugeteilt: Ein Teil der Patienten erhielt einen unwirksamen Placebo, der andere Teil spritzte sich das Medikament in unterschiedlichen Dosen über unterschiedliche Zeiträume – von sieben bis 41 Tagen. Die Teilnehmer wurden in deutschlandweiten Zentren in der Anfangsphase stationär aufgenommen und engmaschig überwacht: Die Forscher kontrollierten den Blutzucker, die Herzfrequenz, den Blutdruck, das Gewicht und viele weitere Parameter. In einem Mahlzeiten-Belastungstest bekamen die Probanden definierte Nahrungsmengen serviert und die Wissenschaftler beobachten die hormonellen Antworten des Körpers unter dem Medikament.
Ergebnisse: Gewichtsverlust und Blutzuckerkontrolle
„Bei diesem Belastungstest konnten wir feststellen, dass der Blutzucker mit dem neuen Präparat nicht so hoch ansteigt wie in der Placebo-Gruppe. Das Insulin reagiert schneller, um den erhöhten Mahlzeitenblutzucker zu bekämpfen“, resümiert Stumvoll. Insgesamt konnten die Teilnehmer in allen Versuchsgruppen ihre Blutzuckerwerte verbessern und ihr Gewicht reduzieren im Vergleich zur Placebo-Gruppe – auch bei der niedrigsten Dosierung. Als Nebenwirkungen traten leichte Übelkeit und eine erhöhte Herzfrequenz auf. „Vor der Zulassung des Medikaments gilt es nun zwischen optimaler Wirkung und minimalen Nebenwirkungen abzuwägen“, sagt Prof. Dr. Michael Stumvoll. Er rechnet schon in den nächsten Jahren mit einer Marktzulassung.
Neues Helmholtz-Institut in Leipzig will klinische Anwendung fördern
Die Substanzklasse, also die Übergruppe zu der das hier getestete Medikament zählt, hat Prof. Dr. Matthias Tschöp vom Helmholtz Zentrum München im Jahr 2009 im Tiermodell entwickelt. Er hat gezeigt, wie wirkungsvoll diese dualen Agonisten gerade bei Stoffwechselerkrankungen sein können. Damit die nun erfolgreich abgeschlossene Studie kein Einzelfall bleibt, haben sich die Leipziger Forscher um Prof. Dr. Michael Stumvoll mit den Grundlagenforschern in München zusammengeschlossen: Im neu gegründeten Leipziger Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG) sollen in ähnlichen Studien weitere Wirkstoffkandidaten aus der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung überführt werden.
Adipositas-Forschung in Leipzig
Die Adipositas-Forschung ist mit dem IFB AdipositasErkrankungen und dem DFG-Sonderforschungsbereich „Adipositasmechanismen“ seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Universität Leipzig. Auch der Wissenschaftsrat attestiere dem Standort zuletzt herausragende Kompetenzen in diesem Bereich. Im Februar 2018 hat die Universität Leipzig einen Vollantrag für das Exzellenzcluster „Adipositas verstehen“ in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder eingereicht.
Fachveröffentlichung:
Philip Ambery, Victoria E Parker, Michael Stumvoll, Maximilian G Posch, Tim Heise, Leona Plum-Moerschel, Lan-Feng Tsai, Darren Robertson, Meena Jain, Marcella Petrone, Cristina Rondinone, Boaz Hirshberg, Lutz Jermutus: MEDI0382, a GLP-1 and glucagon receptor dual agonist, in obese or overweight patients with type 2 diabetes: a randomised, controlled, double-blind, ascending dose and phase 2a study. DOI: 10.1016/
S0140-6736(18)30726-8.