Migräne
Wie wirkt Lasmiditan gegen Migräne?
Original Titel:
Targeted 5-HT1F Therapies for Migraine
Aus dieser Übersichtsstudie wird deutlich: Lasmiditan stellt ein wirklich interessantes Medikament zur Akutbehandlung von Migräne dar. Spezifischer als die Triptane, ohne deren Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen, und weitreichend wirksam im Migräneprozess, über Serotoninrezeptoren, Trigeminusaktivität, entzündliche Prozesse an der Hirnhaut und die Freisetzung von CGRP. Für alle betroffenen Patienten bleibt zu hoffen, dass die Zulassung dieses Medikaments nach dem Abschluss der neuesten klinischen Studien der Phase III bald erfolgen wird.
Ein neues Medikament zur Behandlung akuter Migräne ist in aller Munde: Lasmiditan. Wie der Name schon andeutet: nein, es ist kein Trip-tan, sondern ein Di-tan. In weiteren Berichten gingen wir auf aktuelle klinische Studien ein – Dr. Vila-Pueyo aber, Neurowissenschaftlerin der Kopfschmerzgruppe am King’s College London in Großbritannien, legte den Schwerpunkt ihrer Studienübersicht, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch Review genannt, auf die Wirkmechanismen des neuen Mittels.
Übersichtsstudie zu den Wirkmechanismen von Lasmiditan
Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung – einerseits mit Kopfschmerzen, andererseits mit vielfältigen Symptomen der Sinnesorgane und Wahrnehmung, aber auch der Körperkontrolle. Schwindel, Übelkeit und Blutgefäßverengungen deuten an, dass es hierbei um sehr viel mehr als nur Kopfschmerz geht. Im zentralen Nervensystem sind dabei vor allem Rezeptoren von Interesse, die auf den Nervenbotenstoff Serotonin reagieren. Dass Serotonin, sonst als ‚Glückshormon‘ eher aus dem Bereich der Depressionen bekannt, auch bei Migräne bedeutsam sein könnte, wurden bereits 1959 erkannt: Prof. Sicuteri beschrieb auffällig viele Abbauprodukte des Serotonins im Urin von Patienten während einer Migräneattacke. Teile des Serotonin-Systems wirken schmerzhemmend. Der Migräneforscher vermutete, dass die schmerzleitenden Nervenbahnen bei einem Mangel an Serotonin nicht ausreichend gehemmt werden – und der Schmerz sich somit unkontrolliert verselbständigt, wenn der Körper während der Migräne zu viel des Serotonins freisetzt. Seine Theorie, dass Migräne auf einen Serotoninmangel im Gehirn zurückgehen könnte, hatte weitreichende Folgen. Die Behandlung mit Ergotaminen, die Entwicklung von Triptanen und eben auch der Ditane wurde durch Sicuteris Entdeckungen erst möglich und angestoßen. Diese Substanzen sind sogenannte Agonisten für Serotoninrezeptoren – sie wirken also im Nervensystem ganz ähnlich zum Serotonin und könnten so den Mangel ausgleichen.
Nach neueren Erkenntnissen liegt bei der Migräne vermutlich aber nicht so sehr ein genereller Mangel an Serotonin vor, sondern eher eine Überempfindlichkeit des Nervensystems, wie Panconesi 2008 in der medizinwissenschaftlichen Fachzeitschrift Journal of Headache and Pain zusammenfassend analysierte. Dass Serotonin relevant ist, scheint allerdings unbestritten: verschiedene Migränetrigger wie Alkohol, Östrogene oder verlängerter oder kurzfristig intensiver Stress lösen die Freisetzung von Serotonin aus, aber auch einen zeitlich verzögerten Abbau. Eventuell reagiert das Nervensystem eines Migränepatienten stark auf diese Veränderung.
Überempfindlichkeit des Nervensystems und Serotonin im Zentrum der Migräne
Serotonin-Agonisten, Substanzen, die dem Serotonin (5-HT genannt) genug ähneln um seine Rezeptoren zu täuschen, sind damit zu wesentlichen Elementen der Migränetherapie geworden. Allerdings gibt es ein Problem: Serotoninrezeptoren gibt es in verschiedenen Bereichen des Nervensystems, in leicht unterschiedlicher Form und mit sehr diversen Aufgaben. Manche beeinflussen die Blutgefäße – daher kommen auch die den Patienten typischerweise gut bekannten Risiken und Nebenwirkungen der Triptane. Diese Wirkstoffe aktivieren nämlich nicht nur die schmerzlindernden Rezeptoren (5-HT-1D genannt), sondern auch mit weniger Wirksamkeit die 5-HT-1F-Rezeptoren sowie die blutgefäßverengenden Rezeptoren (5-HT-1B). Diese letzteren sind der Grund, weswegen Menschen, die bereits ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, nicht Triptane nehmen sollten. Das gleiche Problem hat auch die klassische Ergotamin-Therapie.
Der falsche Serotonin-Rezeptor führt zu Herzproblemen: wie sollten Migränepatienten ihre Attacke akut behandeln, wenn nicht mit Triptanen?
Ziel der Entwicklung war aus diesem Grund die Gruppe der Ditane: diese Wirkstoffe aktivieren nicht dieselben Serotoninrezeptoren wie die Triptane, sondern speziell den 5-HT-1F-Rezeptor. Dieser Rezeptor ist vor allem im zentralen Nervensystem zu finden, unter anderem auch im Trigeminussystem – ein alter Bekannter für Migränepatienten: hier setzt beispielsweise die Botox-Spritze üblicherweise an. Um wieder konkret zum Lasmiditan zu kommen: es kann also gegenüber dem Serotoninrezeptor wie Serotonin selbst erscheinen. Aber ist es auch wirklich sicher für Patienten mit Herz-Kreislauf-Risiken?
Das Mittel wurde in verschiedenen vorklinischen Studien detailliert untersucht. Die Blutgefäße im Tiermodell reagierten nicht auf Lasmiditan, während vergleichbare Dosierungen eines Triptans zum maximalen Zusammenziehen der Gefäße führte (Nelson und Kollegen, 2010 im Fachjournal Cephalalgia erschienen). Auch in isoliert getesteten Arterien hatte Lasmiditan keine blutgefäßverengende Wirkung (Rubio-Beltran und Kollegen, 2016 im Fachjournal Cephalalgia erschienen).
Lasmiditan ohne blutgefäßverengende Wirkung
Gleichzeitig kann das Mittel allerdings effektiv die Blut-Gehirnschranke durchdringen und somit sowohl außerhalb des Gehirns als auch direkt im Gehirn wirken. Sowohl im Gehirn als auch außerhalb kann Lasmiditan also die speziellen Serotoninrezeptoren aktivieren, 5-HT-1F, und darüber vermutlich die Reizweiterleitung im Trigeminussystem gezielt hemmen (Akerman und Kollegen, 2017 im Journal Pharmacological Therapy veröffentlicht). Speziell die Schmerzleitung durch das Trigeminussystem wird unterbochen (Vila-Pueyo und Kollegen, 2016 im Fachjournal Cephalalgia erschienen).
Aber die Wirkung von Lasmiditan wurde noch genauer analysiert. Die Stimulierung des Trigeminussystems führt zu einer sogenannten Extravasation: vereinfacht gesprochen einem Leck in der Gehirnhaut. Speziell werden dabei Eiweiße freigesetzt, die wahrscheinlich zu einem entzündlichen Prozess an der Gehirnhaut führen (Nelson und Kollegen, 2010 im Fachjournal Cephalalgia erschienen). Dies geht mit starken Schmerzen einher, wie jeder Patient bestätigen kann. Lasmiditan reduziert die Freisetzung der entzündungsfördernden Eiweiße an der Gehirnhaut und dämmt damit den Entzündungsprozess und die Schmerzen ein.
Neuester Fokus der Migräneforschung ist das Eiweiß CGRP, Angriffspunkt für die monoklonalen Antikörper, die teilweise bereits im Zulassungsverfahren zur Prophylaxebehandlung sind. Wird das Trigeminussystem gereizt, wird CGRP an verschiedenen Stellen im Trigeminussystem bis hin zur Hirnhaut freigesetzt. Lasmiditan kann diese Freisetzung jedoch verhindern und wirkt damit vergleichbar zu den Triptanen, aber auch den neuesten Antikörpern gegen das CGRP (Labastida-Ramírez und Kollegen, 2017 im Journal Cephalalgia berichtet).
Vielseitige Medizin gegen Migräne: keine Freisetzung von CGRP, Eindämmung des Entzündungsprozesses, Unterbrechung der Schmerzleitung
Lasmiditan stellt damit ein wirklich interessantes Medikament zur Akutbehandlung von Migräne dar: spezifischer als die Triptane, ohne deren Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen, und weitreichend wirksam im Migräneprozess, über Serotoninrezeptoren, Trigeminusaktivität, entzündliche Prozesse an der Hirnhaut und die Freisetzung von CGRP. Für alle betroffenen Patienten bleibt zu hoffen, dass die Zulassung dieses Medikaments nach dem Abschluss der neuesten klinischen Studien der Phase III bald erfolgen wird.
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