Bluttest bei Hirntumor: ein Marker für Diagnose und Therapie?
Heidelberger Neuropathologe entwickelt Methode, um Meningeome bereits vor der Operation zu klassifizieren und weiteres Vorgehen anzupassen / Projekt mit Förderpreis der Stiftung Sibylle Assmus ausgezeichnet
Hirntumoren sind im Schädel für Diagnostik und Therapie schlecht zugänglich, trotzdem gelangen Bruchstücke ihres genetischen Materials in den Blutkreislauf. Diesen Bruchstücken wichtige Informationen sowohl für die Diagnose als auch die Therapie zu entlocken, ist Ziel eines Forschungsprojekts unter Leitung von Privatdozent Dr. Felix Sahm, Neuropathologe am Universitätsklinikum Heidelberg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Andreas von Deimling), das in den kommenden drei Jahren von der Stiftung Sibylle Assmus mit 10.000 Euro gefördert wird. Konkret geht es um die Entwicklung eines Bluttests für einen neuen diagnostischen Marker, der möglicherweise gleichzeitig die passende Therapie anzeigt: Findet sich in den im Blut zirkulierendem Erbgut-Fragmenten der Hinweis auf eine spezielle Mutation, kennzeichnet dies den Hirntumor als Meningeom einer bestimmten biologischen Gruppe, das auf ein derzeit in klinischen Studien eingesetztes Krebsmedikament ansprechen könnte.
Ergebnisse sind relevant für die Operations- und weitere Therapieplanung
Bei der Mutation handelt es sich um eine bei Meningeomen – Tumoren, die sich aus der Hirnhaut entwickeln – häufige Veränderung eines bestimmten Erbgut-Abschnitts, der beim Zellwachstum eine Rolle spielt. Der Defekt sorgt für eine Überaktivierung des Gens AKT1 und damit für einen Wachstumsschub der betroffenen Zellen. Tumoren mit einer solchen Mutation wachsen meist an der Schädelbasis und sind damit sehr schwer oder gar nicht operativ erreichbar, sind aber in der Regel gutartig beziehungsweise nicht sehr aggressiv. Eine genaue Klassifizierung und Risikoabschätzung schon vor Operationsbeginn – bisher ohne Gewebeentnahme nicht möglich – ist daher durchaus relevant für die Operations- und weitere Therapieplanung: Der Chirurg kann in diesem Fall gewebeschonender operieren als er es bei einem aggressiveren Meningeom tun würde.
Die AKT1-Mutation empfiehlt sich allerdings noch aus einem anderen Grund als Basis für die Entwicklung eines neuen diagnostischen Tests: Derzeit wird in internationalen Studien bei verschiedenen Tumorarten ein Wirkstoff erprobt, der Krebszellen mit AKT1-Mutation blockiert. „Es liegen noch keine Langzeit-ergebnisse vor, aber es gibt Hinweise, dass dieser Wirkstoff das Tumorwachstum verlangsamt oder sogar stoppt“, erläutert Dr. Felix Sahm. In diesem Fall hätte ein Test auf eine AKT1-Mutation im Vorfeld der Operation noch weitere entscheidende Vorteile: „Ist der Tumor schlecht operabel, könnte man möglicherweise auf eine risikoreiche Operation verzichten und medikamentös behandeln“, so der Neuropathologe.
Weitere molekulare Marker für präoperative Tumorklassifizierung gesucht
Zunächst geht es im aktuellen Projekt der Heidelberger Neuropathologen aber darum, die entsprechenden Tests auszuarbeiten. Dazu wird die Arbeitsgruppe Methoden entwickeln, um die Erbgut-Fragmente mit der AKT1-Mutation im Blut oder in der Rückenmarksflüssigkeit aufzuspüren und mit Hilfe sogenannter Hochdurchsatz-Verfahren zu analysieren. Im nächsten Schritt soll das Nachweisverfahren dann auf weitere, schwieriger zu detektierende Mutationsvarianten ausgeweitet werden. „Unser Ziel ist es, neue molekulare Marker für eine präzise, präoperative Tumoreneinteilung und Risikoabschätzung zu etablieren und die passenden praxistauglichen Testverfahren zu entwickeln“, sagt Sahm.
Meningeome machen etwa ein Drittel aller Hirntumoren aus. Sie werden bislang gemäß WHO-Klassifikation in die Grade I bis III eingestuft, wobei rund 80 Prozent der Meningeome als gutartig gelten und dem Grad I zugeteilt werden. Bei Tumoren des Grades III ist das Risiko am höchsten, das sich aus verbliebenen Zellen erneut ein Tumor entwickelt. Das Problem: Einteilung und Risikoabschätzung basieren derzeit auf einer mikroskopischen Gewebebeurteilung nach sehr vagen Kriterien und liegen immer im Auge des Betrachters. Die Arbeitsgruppe um Sahm entwickelte bereits ein neues molekulares Klassifizierungssystem, das eine genauere und vor allem objektive Einteilung erlaubt. Allerdings ist dafür ebenfalls eine Gewebeprobe notwendig, die in der Regel während der Operation gewonnen wird. Die Ergebnisse liegen nach zwei bis drei Wochen vor. Im Vorfeld und auch während der Operation haben die Neurochirurgen daher bislang nur wenige Hinweise darauf, wie der Tumor zu beurteilen oder wie radikal operiert werden muss. Diese Lücke soll der neue Test schließen.
Zur Stiftung Sibylle Assmus
Die Stiftung wurde im Dezember 2002 zur Erinnerung an Sibylle Assmus gegründet, die zwölf Jahre zuvor im Alter von 21 Jahren an Krebs verstorben ist. Stifter und Stiftungsvorstand ist Dr. Hans Assmus, der Vater von Sibylle. Der jährlich verliehene Förderpreis für Neuroonkologie dient der Finanzierung von Forschungsprojekten und Studienaufenthalten. Er ist gedacht zur Unterstützung der Arbeit jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die durch herausragende Leistungen in den vergangenen drei Jahren zum Verständnis von grundlegenden Pathomechanismen oder zu neuen diagnostischen oder therapeutischen Ansätzen beigetragen haben.
Mehr über die Stiftung, ihre Mission und Informationen zum Bewerbungsverfahren finden Sie unter www.stiftung-sibylle-assmus.de