Chromatinstruktur – Packen und entpacken

Im Zellkern ist das Erbgut dicht gewickelt. Trotzdem muss die Zelle immer wieder unterschiedliche Gene zugänglich machen. LMU-Forscher haben nun einen Mechanismus entschlüsselt, wie die molekularen Maschinen dabei DNA mit einem Zollstock aus Proteinen abmessen.

Das Erbmolekül DNA liegt im Zellkern als dicht gepackter DNA-Protein-Komplex vor, der Chromatin genannt wird. Dazu wird die DNA um einen Kern aus Histon-Proteinen zu sogenannten Nukleosomen gewickelt und durch spezielle Proteine dicht gepackt. Die Struktur des Chromatins reguliert den Zugang zu den Genen und damit die Genaktivität. Um auf Stoffwechselsignale, veränderte Umweltbedingungen oder Entwicklungsprozesse zu reagieren, wird die Chromatinstruktur immer wieder dynamisch modifiziert, sodass je nach Situation unterschiedliche Gene zugänglich und aktiv sind. Diese Arbeit wird durch sogenannte Remodeller durchgeführt, große molekulare Maschinen, die die Nukleosomen verschieben und die DNA abschnittsweise entpacken können. Ein Team um Professor Karl-Peter Hopfner, Inhaber des Lehrstuhls für Structural Molecular Biology am Genzentrum der LMU, hat nun in Zusammenarbeit mit einem Team um Dr. Philipp Korber am Biomedizinischen Centrum München die Funktion eines wichtigen Moduls des Remodellers INO80 aufgeklärt, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Structural & Molecular Biology berichten.

Hopfners Team ist es in einer kürzlich veröffentlichten Studie gelungen, die dreidimensionale Struktur des Remodellers INO80 mithilfe kryo-elektronenmikroskopischer Aufnahmen in weiten Teilen zu rekonstruieren. Dadurch konnten sie den molekularen Mechanismus, mit dem INO80 Chromatin entpackt, aufklären. Der INO80-Motor pumpt DNA um das Nukleosom und verschiebt es dadurch auf der DNA. Nun konnten die Wissenschaftler die Funktion eines weiteren, entscheidenen Elements dieser Maschinerie aufklären. „Überraschenderweise besitzt INO80 Untereinheiten, die wie ein integrierter Zollstock die Länge von DNA zwischen Nukleosomen vermessen“, sagt Hopfner.

Bisher gab es keine hochauflösenden Informationen über einen Teil des INO80-Komplexes der Aktin und sogenannte Aktin-ähnliche Proteine enthält. Diese Art von Proteinen bilden normalerweise ein Gerüst außerhalb des Zellkernes; dieses Gerüst bestimmt die Form der Zelle und organisiert dadurch eine Vielzahl von zellulären Prozessen. „Seit mehr als 20 Jahren weiß man jedoch, dass Aktin innerhalb des Zellkerns auch ein Bestandteil von INO80 und ähnlichen Maschinen ist – die Funktion war jedoch immer noch unklar“ erklären Kilian Knoll und Sebastian Eustermann, die beiden Erstautoren der Studie. Indem sie die atomare Kristallstruktur der Proteine innerhalb des INO80 bestimmt haben, konnten die Wissenschaftler nun eine Funktion entschlüsseln. Die aktinartigen Proteine bilden eine Plattform, die eine lange Helix des INO80-Komplexes anordnet. Die Wissenschaftler wiesen nach, dass die DNA-Bindung dieser Helix wichtig ist, damit INO80 Nukleosomen verschieben kann und damit andere Gene zugänglich machen kann. Das Erkennen der DNA, sagt Hopfner, schaltet den Remodeller sozusagen erst an und hilft dem INO80-Motor den gebundenen DNA-Strang um das Nukleosom zu pumpen. Wenn nicht genügend DNA vorhanden ist, wird die Maschine gestoppt. Die Aktin-Proteine sind insofern direkt an der Remodellierung von Chromatin durch INO80 beteiligt, indem es die Nukleosomen-Repositionierung vorantreibt und den Abstand zwischen Nukelosomen misst. Zum ersten Mal konnten die LMU-Forscher damit einen Mechanismus beschreiben, mit dem das Aktin im Zellkern in die Chromatin-Strukturierung eingreift. Da Remodeller auch bei der Entstehung von Krebs eine wichtige Rolle spielen, könnten neue Erkenntnisse zu ihrer Funktion auch für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze wichtig sein.

Publikation:
The nuclear actin-Arp4-Arp8-module 1 is a linker DNA sensor driving INO80 chromatin remodelling
Kilian R. Knoll, Sebastian Eustermann, Vanessa Niebauer, Elisa Oberbeckmann, Gabriele Stoehr, Kevin Schall, Alessandro Tosi, Marianne Schwarz, Andrea Buchfellner, Philipp Korber & Karl-Peter Hopfner
In: Nature Structural&Molecular Biology 2018