Immunzellen als Auslöser von Hirnschäden

Forscher-Team deckt auf, wie Hirnschäden bei viral bedingten Gehirnentzündungen entstehen.

Welche Rolle spielen immunologische Vorgänge bei viral bedingten Gehirnentzündungen? Dieser Frage widmen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Institut für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie und dem Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) gemeinsam mit einem Forscher-Team aus dem TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung. Für ihre aktuelle Studie untersuchten sie verschiedene Mäusestämme nach einer Infektion mit dem Theiler’s Murine Encephalomyelitis-Virus (TMEV), einem Modell für viral bedingte Hirn- und Rückenmarksentzündungen bei Mensch und Tier. Das Ergebnis: Mäuse, bei denen entweder die systemische oder die ortsständige Immunabwehr beeinträchtigt war, zeigten keine Verluste von Nervenzellen in den untersuchten Hirnregionen – im Gegensatz zu Mäusen mit intaktem Immunsystem. Diese Erkenntnis könnte einen neuen Ansatz bieten, um Langzeitfolgen nach Gehirnentzündungen von Tieren und Menschen zu verhindern. Die Studie erschien jetzt im renommierten Fachmagazin PNAS.

Verschiedene Abwehrmechanismen

Mäuse, die mit TMEV infiziert sind, leiden in der akuten Phase der Krankheit unter einer Entzündung des Hippocampus. Dieser wichtige Teil des Gehirns löst Nervenimpulse aus, modifiziert sie und leitet sie in andere Hirnregionen weiter. Wird der Hippocampus geschädigt, leitet er einige Nervenimpulse unkontrolliert oder gar nicht mehr weiter. Krampfanfälle und Gedächtnisverlust können die Folge sein. Es wurde bereits vermutet, dass nicht die Viren selbst, sondern die Immunantwort gegen die Viren die Nervenzellen im Hippocampus zerstört. „Bei gesunden Menschen und Tieren verhindert die Blut-Hirn-Schranke, dass Entzündungszellen aus dem Blut ins Gehirn gelangen“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Löscher, Leiter des Instituts für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie. Die Blut-Hirn-Schranke kann jedoch bei entzündlichen Veränderungen gestört sein. „Dadurch können Entzündungszellen aus dem Blut, wie beispielsweise die sogenannten Monozyten, ins Hirngewebe einwandern und dort zu entzündlichen Veränderungen führen“, so Löscher weiter. Mikrogliazellen sind im Gehirngewebe lokalisiert und fungieren unter anderem als ortsständige Entzündungszellen. Ob sie bei viral bedingten Hirnentzündungen die Nervenzellen schädigen, war bislang nicht geklärt.

Unterschiedliche Gewebeveränderungen, gleiche Symptome

Für die aktuelle Studie untersuchte das Forscher-Team den Verlauf der akuten TMEV-Infektion und die dadurch entstandenen Gewebeveränderungen bei genetisch veränderten Mäusen. „Wir untersuchten unter anderem zwei Mäusestämme, die entweder ihre Monozyten oder ihre Mikrogliazellen während einer Infektion nicht aktivieren konnten“, erklärt Christopher Käufer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Löschers Arbeitsgruppe. „Dabei konnten wir zeigen, dass eine Inaktivierung der Mikrogliazellen die Nervenzellen im Hippocampus ebenso gut vor Schäden schützt, wie die Inaktivierung der Monozyten.“ Dr. Ingo Gerhauser aus dem Institut für Pathologie untersuchte Gewebeproben der Tiere. Er fügt hinzu: „Während im Hirngewebe der Mäuse mit intakter Immunabwehr starke Entzündungsvorgänge mit der Zerstörung von Nervenzellen einhergingen, waren die Nervenzellen bei beeinträchtigter Immunreaktion unbeschädigt. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Monozyten oder die Mikrogliazellen inaktiviert waren.“ Die Untersuchungen belegen also eine schädigende Funktion von Monozyten und Mikrogliazellen bei einer viral bedingten Gehirnentzündung. Allerdings scheint der von ihnen ausgelöste Verlust von Nervenzellen nicht die Ursache für die Krampfanfälle in der akuten Phase der Infektion zu sein, denn: „Die Tiere, deren Immunsystem eingeschränkt war, zeigten in der akuten Phase der Erkrankung genauso häufig Krampfanfälle, wie die Tiere mit dem intakten Immunsystem“, so Käufer. Warum das so ist, muss nun in weiteren Studien geklärt werden.

Neue Therapieansätze?

Beim Menschen können verschiedene Viren, beispielsweise bestimmte Grippe- oder Herpesviren, eine Gehirnentzündung auslösen. Die Symptome sind stets gravierend. Ein Großteil der Betroffenen überlebt die akute Phase nicht. Überlebende haben fast immer mit Langzeitfolgen zu kämpfen – davor schützt bislang keine Therapie: „Viele Überlebende zeigen lebenslang kognitive Einschränkungen wie Gedächtnisstörungen. In zwanzig Prozent der Fälle entwickeln die Patienten eine Epilepsie“, so Löscher. „In der akuten Phase der Infektion können die Patienten symptomatisch behandelt werden, beispielsweise mit fiebersenkenden oder krampflösenden Medikamenten. Das Gehirn wird allerdings trotzdem geschädigt und Überlebende leiden lebenslang an den Langzeitfolgen der Infektion.“ Der Leiter des TWINCORE, Professor Dr. Ulrich Kalinke, mit dem Löscher die Studie koordinierte, ergänzt: „Die Befunde der aktuellen Studie helfen uns nicht nur, die Ursachen viral bedingter Hirnschäden zu verstehen. Sie bilden auch die Basis, um neue therapeutische Strategien zu entwickeln, bei denen die systemische und ortsständige Immunabwehr im Mittelpunkt steht. Vielleicht können wir so in Zukunft Langzeitschäden nach viral bedingten Gehirnentzündungen verhindern.“

Originalpublikation:
Chemokine receptors CCR2 and CX3CR1 regulate viral encephalitis-induced hippocampal damage but not seizures.
Christopher Käufer, Chintan Chhatbar, Sonja Bröer, Inken Waltl, Luca Ghita, Ingo Gerhauser, Ulrich Kalinke, and Wolfgang Löscher.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, PNAS (2018), DOI: 10.1073/pnas.1806754115

Weitere Informationen:
http://www.pnas.org/content/early/2018/08/30/1806754115