Neue Generation von Schmerzmedikamenten

Charité-Wissenschaftler legen Grundlagen für Wirkstoffe mit weniger Nebenwirkungen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Zuse-Instituts Berlin haben eine neue Generation von Schmerzmedikamenten entwickelt. Mit Hilfe von Computersimulationen haben sie neue Opioide entworfen, die ausschließlich an der Stelle der Verletzung oder Entzündung wirken. Damit können typische Nebenwirkungen von herkömmlichen Opioiden im Gehirn oder Darm vermieden werden. Die Substanzen wurden erfolgreich in vorklinischen Experimenten getestet. Die Studienergebnisse sind in den Fachjournalen Pain* und Scientific Reports** nachzulesen.

Opioide sind eine Stoffklasse von starken schmerzstillenden Substanzen. Sie kommen insbesondere bei Schmerzen durch Gewebeverletzungen und Entzündungen, beispielsweise nach Operationen oder bei Krebserkrankungen, zum Einsatz. Häufige Nebenwirkungen sind Benommenheit, Übelkeit, Verstopfung und Suchtentstehung, in einigen Fällen sogar Atemstillstand. Um die gefährlichen Nebenwirkungen zukünftig verhindern zu können, forscht das Team um Prof. Dr. Christoph Stein von der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin der Charité am Campus Benjamin Franklin nach neuen Formen von Schmerzmitteln. Gemeinsam mit Privatdozent Dr. Marcus Weber vom Zuse-Institut Berlin haben die Wissenschaftler mit Hilfe von Computersimulationen zwei neuartige Opioidsubstanzen entwickelt. Beide basieren auf dem gleichen Ausgangsmolekül, dem sogenannten Fentanyl.

Die Ausgangshypothese war, dass in verletztem oder entzündetem Gewebe eine verstärkte Interaktion zwischen Opioidagonisten und Opioidrezeptoren stattfindet, also zwischen den aktivierenden Wirkstoffen und den Andockstellen für Schmerzmedikamente im Körper. Die Computersimulationen ließen darauf schließen, dass die in entzündetem Gewebe vorliegende erhöhte Konzentration von Protonen der Grund dafür ist. Dadurch ist der pH-Wert niedriger als im gesunden Gewebe – die Folge ist eine Ansäuerung. Um Opioidrezeptoren zu aktivieren, ist eine Protonierung von bindungsfähigen Opioidmolekülen notwendig. Diese Zusammenhänge haben die Wissenschaftler genutzt und die zwei Substanzen so gestaltet, dass sie lediglich in entzündeter Umgebung protoniert sind und die Opioidrezeptoren allein am Ort der Gewebeverletzung oder Entzündung aktivieren, jedoch nicht im Gehirn oder Darm.

„Unsere innovative Entwicklungsmethode liefert eine solide Grundlage für eine neue Generation von Schmerzmedikamenten“, berichtet Prof. Stein und fügt hinzu: „Solche Medikamente könnten die riskanten Nebenwirkungen von bisherigen Opioiden verhindern und damit Komplikationen reduzieren. Zusätzlich würden sie einen Beitrag zur Bewältigung der Opioid-Krise, wie sie vor allem in den USA zu beobachten ist, leisten.“

Die Forscher möchten die entworfenen Substanzen nun so weiterentwickeln, dass sie Patientinnen und Patienten zugutekommen. Darüber hinaus möchten sie die molekularen Grundlagen der komplexen Interaktionen in entzündetem Gewebe noch besser verstehen, um weitere Erkenntnisse zur Optimierung von Opioiden ableiten zu können. Idealerweise lassen sich diese dann auch für andere Medikamente, zum Beispiel zur Behandlung von Bluthochdruck, nutzen.

* Rodriguez-Gaztelumendi A et al. Analgesic effects of a novel pH-dependent μ-opioid receptor agonist in models of neuropathic and abdominal pain. Pain. 2018 Jul 2. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001328.

** Spahn V et al. Opioid receptor signaling, analgesic and side effects induced by a computationally designed pH-dependent agonist. Sci Rep. 2018 Jun 12;8(1):8965. doi: 10.1038/s41598-018-27313-4.

Links:
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerzmedizin und Notfallmedizin am Campus Benjamin Franklin