Krebsstammzellen: Von der Grundlagenforschung zu innovativen Behandlungsstrategien
Beim 10. Internationalen Heinrich F.C. Behr-Symposium im Deutschen Krebsforschungszentrum tauschten sich vom 16. bis 19. September rund 300 Experten über die Rolle von Stammzellen bei Krebs aus. Wichtige aktuelle Themen waren die neu entdeckten Zusammenhänge zwischen der Metastasierung und Ernährungsfaktoren sowie die Erkenntnis, dass mutierte Blutstammzellen die gemeinsame Wurzel von Leukämie und Herz-Kreislauferkrankungen sind. Darüber hinaus kristallisiert sich immer deutlicher heraus, welche entscheidende Bedeutung metabolische und epigenetische Veränderungen der Stammzellen bei der Krebsentstehung haben.
Über die Top-Themen der Konferenz berichten fünf Experten in einem Video.
„Dank der Förderung der Heinrich F.C. Behr Stiftung kann das DKFZ dieses hochkarätige Symposium nun bereits zum 10. Mal veranstalten, und schon zum 7. Mal stehen die Krebsstammzellen im Fokus“, sagt Michael Baumann, der Vorstandsvorsitzende des DKFZ. „Es ist erfreulich, wie rasch aus den Ergebnissen dieses noch jungen Forschungsgebiets Strategien für neue Krebsbehandlungen entwickelt werden konnten.“
„Unsere Konferenz spannt thematisch einen großen Bogen: Von spannenden neuen Aspekten der Stammzellbiologie bis hin zur Präsentation klinischer Studien, die auf Ergebnissen der Krebsstammzellforschung beruhen, war alles vertreten“, freut sich Gastgeber Andreas Trumpp vom DKFZ und von HI-STEM, dem Heidelberger Institut für Stammzellforschung und experimentelle Medizin. Carsten Müller-Tidow, Universitätsklinikum Heidelberg, der den angegliederten Leukämie-Workshop organisiert hatte, ergänzt: „Die Aufklärung der Tricks der Krebsstammzellen liefert wertvolle Ideen für die Therapie, die wir nun beginnen umzusetzen. Insbesondere die Behandlung von Blutkrebserkrankungen wird in Zukunft entscheidend von den Ergebnissen der Stammzellforschung profitieren.“
Ein völlig neues Thema ist der Einfluss des Stoffwechsels auf die Biologie der Stammzellen, den unter anderem eindrucksvoll die Ergebnisse von Salvador Aznar Benitah vom IRB Barcelona belegen. Sein Team hat herausgefunden, dass die Metastasen-induzierenden Stammzellen bei vielen Tumorarten große Mengen des Transportenzyms CD36 produzieren. Je mehr CD36 eine Zelle trägt, desto mehr Fettsäure gelangt ins Zellinnere – und desto ungünstiger ist die Prognose der Patienten. Eine Blockade von CD36 dagegen verlangsamte bei Mäusen die Metastasierung. Insbesondere die zahlreichen Fertignahrungsmitteln zugesetzte Palmitinsäure beeinflusst offenbar die epigenetische Steuerung der Genaktivität der Stammzellen und fördert dadurch die Metastasierung. Aznar Benitah konnte an Mäusen zeigen, dass eine weitgehend Palmitinsäure-freie Ernährung die Metastasierung deutlich drosselt.
Welche entscheidende Rolle epigenetische Mechanismen bei Blutstammzellen und bei der Entstehung von Leukämien spielen, konnte Margaret Goodell vom Baylor College of Medicine in Houston zeigen: Durch Ausschalten der Methyltransferase Dnmt3a, einem der wichtigsten epigentischen Enzyme, konnte sie Blutstammzellen „unsterblich“ machen. Gerade bei älteren Menschen findet man häufig Mutationen, die mit einem Dnmt3a-Funktionsverlust einhergehen und eine gesteigerte Selbsterneuerung der Stammzellen zur Folge haben. Kommt zusätzlich eine krebstreibende Mutation hinzu, so ist das Leukämie-Risiko dieser Menschen stark erhöht.
Abweichende epigenetische Steuerung spielt auch eine Rolle für die Selbsterneuerungsfähigkeit der Stammzellen bei der Akuten Myeloischen Leukämie (AML), berichtete Carsten Müller-Tidow. Dadurch entstehen große Mengen kleiner RNA-Moleküle, die als snoRNA (small nuclear RNA) bezeichnet werden. Schalteten die Forscher die snoRNAs genetisch aus, verloren die AML-Stammzellen ihr Potenzial zur Selbsterneuerung. Müller-Tidow und Kollegen prüfen nun, ob gezielte Wirkstoffe gegen diese snoRNAs Rückfälle von Blutkrebs nach einer Therapie verhindern können.
Dass Mutationen in Blutstammzellen nicht nur zu einem veränderten Blutbild und damit zu Leukämien führen können, beobachtet Benjamin Levine Ebert vom Dana Farber Cancer Institute in Boston. Besonders bei älteren Menschen entwickeln sich aus mutierten Blutstammzellen häufig Zellklone, die einen Wachstumsvorteil haben, so dass schließlich das gesamte Blutsystem von nur einer einzigen oder sehr wenigen Stammzellen gebildet und erhalten wird. Diese sogenannte „klonale Hematopoiese“ korreliert mit einem erhöhten Leukämie-Risiko. Noch höher ist für die Betroffenen allerdings das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben – möglicherweise weil die durch Mutationen veränderten Fresszellen die gefährlichen Plaques in den Blutgefäßen nicht effizient abbauen können. Ebert ist damit einer unerwarteten gemeinsamen Ursache von Leukämien und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf die Spur gekommen.
Ein großes medizinisches Problem von Krebsstammzellen ist ihre Resistenz gegen viele Therapien. Die Forscher um Andreas Trumpp und Martin Sprick fanden beim Bauchspeicheldrüsenkrebs eine der Ursachen für diese Resistenz. In bestimmten Subtypen dieser tödlichen Erkrankung wird in großen Mengen das Enzym CYP3A5 gebildet. Dieses Entgiftungsenzym zerstört die bei der Chemotherapie verwendeten Zellgifte und transportiert die inaktivierten Moleküle wieder nach außen, so dass in den Tumorzellen kein ausreichender Wirkspiegel erreicht wird. Zusammen mit Kollegen am NCT Heidelberg initiierte Trumpp nun eine klinische Studie. Damit wollen die Forscher prüfen, ob ein Medikament, das die Aktivität von CYP3A5 blockiert, den resistenten Bauchspeicheldrüsenkrebs wieder für das Chemotherapeutikum Paclitaxel sensibilisieren kann.
Das Video zur Behr-Konferenz „Five Short Stories About Stem Cells and Cancer” finden Sie hier: https://youtu.be/6fr4jYzN_tM
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Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.