Orthopädie setzt neues Verfahren zur Rekonstruktion bei Wirbelkompressionsbrüchen ein
An der Universitätsklinik in Tübingen kommt jetzt ein neues Verfahren zur Behandlung von Wirbelkörperkompressionsbrüchen zum Einsatz, von denen vor allem Patienten mit Osteoporose betroffen sind. Dabei wird mit einem minimal-invasiven Verfahren (sogenannte Schlüssellochchirurgie) der eingebrochene Wirbelkörper mit vier voneinander unabhängigen und besonders fein justierbaren Ballons rekonstruiert und mit speziellem Knochenzement gefüllt. Der Eingriff sorgt bereits am Tag des Eingriffs für Mobilität und Schmerzlinderung bei den Patienten.
„Der größte Vorteil der neuen Behandlungsmethode ist, dass dem Operateur statt den bisher zwei jetzt vier einzeln steuerbare Ballons pro Wirbelkörper zur Verfügung stehen. So kann ein eingebrochener Wirbelkörper deutlich kontrollierter aufgerichtet und wesentlich detaillierter rekonstruiert werden“, so Dr. Christian Walter, Bereichsleiter der Wirbelsäulenchirurgie an der Tübinger Universitätsklinik für Orthopädie. Vor allem für Patienten mit komplizierten Einbrüchen der Deckplatten bietet die Doppelballon-Kyphoplastie eine hohe Aussicht auf nachhaltigen Erfolg.
Wie kommt es zum Bruch von Wirbelkörpern?
Die Wirbelsäule ist die Mittelachse des Menschen und stützt das gesamte Skelett. Sie besteht aus 24 freien Wirbelkörpern sowie dem Kreuz- und dem Steißbein. Eine Wirbelkörperfraktur entsteht, wenn der Knochen einer Belastung nicht mehr standhält und der Wirbelkörper zusammen- oder auseinanderbricht. Oft geschieht dies durch einen Unfall oder durch starke Überlastung. Am häufigsten entstehen solche Frakturen aber als Folge der Osteoporose. Bei dieser Erkrankung kommt es vornehmlich bei älteren Menschen zu einem Verlust der Knochenmasse. Der Knochen wird porös und kann schon bei geringsten Belastungen oder bei alltäglichen Aktivitäten, wie dem Tragen einer vollen Einkaufstasche, brechen. In Deutschland sind nach aktuellen Schätzungen rund acht Millionen Menschen, überwiegend Frauen, von Osteoporose betroffen.
Das wesentlichste Symptom einer Wirbelkörperfraktur sind die oft äußerst heftigen Rückenschmerzen schon bei alltäglichen Beschäftigungen. Grund: Der einmal „angeknackste“ Wirbel hat die Tendenz, immer weiter einzubrechen. Das reizt die empfindlichen Knochenhäute, was die starken Beschwerden erklärt. Auch Bewegungseinschränkungen treten oft auf. Da sich durch die Brüche die Wirbelsäule verkrümmt und verkürzt, ist aufrechtes Stehen und Gehen schwer möglich und sehr beschwerlich. Bestehen mehrere solcher Wirbelbrüche, kann es auch zu einer Verkürzung des ganzen Rumpfes kommen. Es entsteht ein Rundrücken, den man früher auch „Witwenbuckel“ nannte.
Vorteile des neuen Verfahrens
Eine neue Möglichkeit, einen solchen Bruch zu behandeln, ist die Doppelballon-Kyphoplastie, von Medizinern auch als Quattroplastie bezeichnet. Zur Vorbereitung der Behandlung werden zwei sehr dünne Kanäle im betroffenen Wirbel geschaffen. Ein mit zwei Ballons bestückter Katheter wird durch die Kanäle eingebracht und unter Röntgenkontrolle genau platziert. Sind sie am richtigen Ort, wird jeder einzelne Ballon vorsichtig mit Druck aufgedehnt, um den eingebrochenen Wirbelkörper wieder aufzurichten und in seine ursprüngliche Form und Höhe zu bringen. Das große Plus der neuen Methode mit vier statt nur zwei Ballons wie bisher: Der Chirurg kann damit wesentlich genauer und schonender rekonstruieren und mit diesem Verfahren ist es möglich, bis in die äußersten Randbereiche zu rekonstruieren. „Vergleichbar ist das 4-Ballon-System mit einem schwimmenden Floß. Wird es von vier Fässern getragen, liegt es sehr viel stabiler im Wasser, als wenn es nur von zwei Fässern getragen wird.“, erklärt Oberarzt Walter.
Sobald der Wirbelkörper sich in seiner ursprünglichen Form befindet, werden die Ballons abgelassen und der Katheter aus dem Wirbelkörper entfernt. Der entstandene Hohlraum wird nun mit einem schnell härtenden Knochenzement aufgefüllt. „Der Bruch ist sofort stabil, der Patient dadurch umgehend mobil und die Schmerzen sind in den meisten Fällen verschwunden, zudem reduziert sich das Risiko eines Zementaustritts erheblich“, erklärt Orthopäde Walter. Die Patienten sind bereits am Tag nach der OP voll beweglich. Nach drei bis vier Tagen ist fast immer die Entlassung aus dem Krankenhaus möglich.
Geeignet ist die neue Doppelballon-Kyphoplastie vor allem bei durch eine Osteoporose bedingten Wirbelkörperfrakturen, bei denen die Deckenplatten kompliziert eingebrochen sind. Aber auch bei Keilfrakturen und inkompletten Berstungsfrakturen, bei denen maximal 30 Prozent der Hinterkante beteiligt sind, entscheiden sich viele Ärzte für dieses Verfahren. Die Kosten werden im Rahmen einer stationären Behandlung von gesetzlichen wie privaten Kassen voll übernommen.
In der orthopädischen Universitätsklinik werden jährlich 300 Operationen an der Wirbelsäule durchgeführt. Schwerpunkte der Klinik sind neben altersbedingten Veränderungen der Wirbelsäule, vor allem Deformitäten und Wirbelsäulentumore.