Das Glymphatische System: Abwassersystem des Gehirns spielt nicht nur bei Demenz und Diabetes mit

Original Titel:
The glymphatic system in CNS health and disease: past, present and future

MedWiss – Zusammenfassend ist das recht neu entdeckte glymphatische System zum Flüssigkeitsaustausch im Gehirn ein wichtiges therapeutisches Ziel. Guter Schlaf, eventuell besonders in Seitenlage, und verschiedene körpereigene Substanze kontrollieren den Zu- und Abfluss von Gehirnflüssigkeit. Zentral stehen dabei neurologische Erkrankungen wie die Demenzen im Fokus: durch Anregung des Flusses könnten Abfallstoffe wie Betaamyloid schneller aus dem Gehirn abgeführt werden. Auch neurologische Symptome von Typ-2-Diabetes können nun anders verstanden und eventuell zukünftig behandelt werden. Weitere Studien zur Entwicklung neuer Therapieansätze stehen nun an.


Die Lymphe kennen inzwischen viele Menschen – aber wie steht es mit der ‚Glymphe‘? Das glymphatische System ist ein recht neues Thema in der Hirnforschung. So wie das Lymphsystem als eine Art Abwassersystem des gesamten Körpers beschrieben werden kann, so scheint das glymphatische System die entsprechende Struktur im Gehirn darzustellen. Prof. Nedergaard, neurowissenschaftliche Forscherin an der Universität Rochester (USA), fasste mit ihrem Kollegen Dr. Plog nun in einem Übersichtsartikel (Review) das derzeitige Wissen zum glymphatischen System zusammen.

Das Gehirn ist ein dicht gepacktes Gewebe. Trotzdem befindet sich immerhin ein Drittel des Wassers in diesem Organ zwischen den Zellen. Neben dem Wasser im Blut findet sich Wasser im Liquor, auch als Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit bezeichnet. Der Liquor fließt aus Zwischenräumen rund um die Arterien zwischen die Nervenzellen des Gehirns und vermischt sich dort mit einer weiteren nicht in Zellen eingepackten Flüssigkeit im Gehirn: der interstitiellen Flüssigkeit. Interstitium (lateinisch) bezeichnet den Raum zwischen den Zellen. Der Flüssigkeitsstrom nimmt darin gelöste Stoffe mit und führt sie über Kanäle rund um die Venen aus dem Gehirn ab.

Das Abwassersystem des Gehirns: vielseitige Bedeutung bei neurologischen Erkrankungen

Eine Störung dieser Reinigung des Gehirns durch eine sogenannte glymphatische Dysfunktion ist nach aktuellem Verständnis ein typisches Phänomen im Verlauf der Gehirnalterung. Dabei steht vor allem die schwächer werdende Bewegung in den Arterien im Verdacht: der Zustrom von frischer Flüssigkeit wird mit dem Alter geringer und kann somit nicht mehr ausreichend Abfallstoffe klären (Kress at al., 2014 Annals of Neurology). Dieses Problem steht auch in direktem Zusammenhang mit der Alzheimererkrankung. Betaamyloid, das sich im erkrankten Gehirn zunehmend in den Alzheimer-Plaques ablagert, wird bei einer gestörten Reinigung durch das glymphatische System ungenügend entfernt. Bei speziellen an Alzheimer erkrankten Mäusen konnte sowohl der geschwächte Zustrom als auch die verringerte Klärung von Betaamyloid abhängig vom Alter nachgewiesen werden. Betaamyloid konnte sogar in eigentlich gesunden Mäusen zu einer Störung des glymphatischen Systems führen (Peng et al. 2016, im medizinwissenschaftlichen Fachjournal Neurobiology of Disease erschienen) – das Abwasserrohr wurde also verstopft und zugleich das Frischwasser abgedreht.

Auch andere neurologische Erkrankungen oder neurologische Symptome, bei denen Ablagerungen auftreten oder entzündliche Prozesse vermutet werden, stehen in Verbindung mit unzureichender Klärung von Abfallprodukten im Gehirn. Dabei werden besonders Schlaganfälle, Migräne, Depressionen, aber auch Glaukoma, also Erkrankungen des Auges, in neuem Licht betrachtet (Wostyn et al., 2015 Fluids and Barriers of the CNS). Auch gesteigerte Wassermengen im Gehirn, sogenannte Ödeme, wie sie beispielsweise nach Gehirnverletzungen auftreten, sind mit einem Ungleichgewicht des glymphatischen Systems zu verstehen. Einen erhöhten Flüssigkeitseinstrom in das Gehirn kennt man beispielsweise auch von Diabetes mellitus Typ II. Hierbei wird gleichzeitig offenbar auch der Abfluss der Flüssigkeit verlangsamt – und beides gemeinsam steht in messbarem Zusammenhang mit einem Abbau der Denkleistung, wie Wissenschaftler vor Kurzem nachweisen konnten (Jiang et al. 2017, Journal of Cerebral Blood Flow Metabolism).

Zuviel oder zu wenig Einstrom oder gestörter Abfluss bringen das Reinigungssystem aus der Balance

Wie genau die Reinigung des Gehirns mithilfe des glymphatischen Systems gefördert werden kann, ist derzeit noch weitgehend unklar. Neben der Arterienfunktion spielt offenbar auch Schlaf eine wesentliche Rolle (Xie et al. 2013 in Science erschienen). Im Wachzustand sind Körperhormone erhöht, die zu einem reduzierten Einstrom von Flüssigkeit führen. Auch die Körperlage scheint von Bedeutung zu sein (Lee et al., 2015 im Journal of Neuroscience erschienen): der Flüssigkeitsaustausch war in einer experimentellen Studie besser, wenn Mäuse in Seitenlage positioniert waren, als wenn sie entweder auf dem Bauch oder dem Rücken lagen. Der Einstrom der Flüssigkeit ins Gehirn war größer in Seitenlage als in Bauchlage. Generell schien die Bauchlage damit für das glymphatische System (bei Mäusen) weniger förderlich zu sein. Die natürliche Schlafposition der Tiere ist auch die Seitenlage, ähnlich wie wohl auch bei Menschen (Skarpsno et al., 2017 Nature and Science of Sleep). Damit gewinnen auch Schlafstörungen und deren Therapie sowie Körperposition eine deutlich prominentere Rolle bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen, die mit dem Abwassersystem des Gehirns zusammenhängen könnten.

Guter Schlaf für gute Reinigung des Gehirns

Inzwischen werden die Abläufe und Substanzen bei diesem Flüssigkeitsaustausch detaillierter untersucht, um Wirkstoffe entwickeln zu können. Eine spezielle Eingangstür für Wasser, die Substanz Aquaporin-4, wurde inzwischen auf der Gehirnseite der Blut-Gehirn-Schranke beschrieben. Diese Pforte wird aktuell genauer untersucht und experimentell beeinflusst, um den Einstrom von Flüssigkeit im Bedarfsfall zu erhöhen (Huber et al., 2018 in Neuroreport erschienen). Dazu gaben Forscher im Tierexperiment einen Marker, der es ermöglichte, den Wasserfluss mit bildgebenden Verfahren zu beobachten. Die Wasserpforte Aquaporin-4 regten sie durch eine neue Substanz (TGN-073 genannt) gezielt an. Dies bewirkte nicht nur einen erhöhten Einstrom von Flüssigkeit ins Gehirn, sondern beschleunigte den Abfluss der Marker-Substanz aus dem Gehirn. Die Anregung von Aquaporin-4 förderte also den gesamten glymphatischen Strom.

Ein weiteres Element in der Regulierung des Flüssigkeitsstroms ist das körpereigene Hormon Vasopressin, auch Arginin-Vasopressin oder antidiuretisches Hormon genannt. Dieses Hormon erhöht die Durchlässigkeit der kleinsten Blutgefäße des Gehirns, der sogenannten Kapillare. Wird die Wirkung dieses Hormons gehemmt, kann eine Flüssigkeitsansammlung im Gehirn (Ödem) reduziert werden (Krieg et al., 2015 im Journal of Neurotrauma veröffentlicht). Auf Basis solcher Studien kann nun die Weiterentwicklung gezielter Behandlungen für Erkrankungen des glymphatischen Systems erfolgen.

Wirkstoffentwicklung auf Basis von Wasser-Pforte Aquaporin-4 und Gefäßdurchlässigkeits-Hormon Vasopressin

Zusammenfassend ist das recht neu entdeckte glymphatische System zum Flüssigkeitsaustausch im Gehirn ein wichtiges therapeutisches Ziel. Guter Schlaf, eventuell besonders in Seitenlage, und verschiedene körpereigene Substanze kontrollieren den Zu- und Abfluss von Gehirnflüssigkeit. Zentral stehen dabei neurologische Erkrankungen wie die Demenzen im Fokus: durch Anregung des Flusses könnten Abfallstoffe wie Betaamyloid schneller aus dem Gehirn abgeführt werden. Auch neurologische Symptome von Typ-2-Diabetes können nun anders verstanden und eventuell zukünftig behandelt werden. Weitere Studien zur Entwicklung neuer Therapieansätze stehen nun an.

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