Den Krebs zur Brust nehmen
Therapien gegen Brustkrebs sind aufgrund der komplexen Tumor-Struktur eine Herausforderung für die Medizin. Eine neuartige Brustkrebs-Nanopartikel-Therapie auf Selenbasis des Austrian Centre of Industrial Biotechnoloy (acib) und der Universitat Autònoma de Barcelona verbessert nachweislich den Wirkstofftransport, ist ausschließlich im Zielgewebe aktiv und lässt weniger Nebenwirkungen erwarten. Die Projektergebnisse sollen dazu beitragen, die Effizienz zukünftiger Chemotherapien zu erhöhen und ein erneutes Auftreten der Krankheit nach kompletter Remission zu verhindern.
Die Europäische Allianz für chronische Krankheiten hat Krebs als größte nicht-übertragbare Krankheit unserer Zeit definiert, verantwortlich für 13 % der weltweiten Tode. Zur am weitest verbreiteten Krebsart zählt Brustkrebs. Er macht über 10.4 % der Krebsaufkommen bei Frauen aus und zieht jährlich weltweit über 400.000 Tode nach sich.
Vor allem die komplexe Struktur der Tumore macht eine erfolgreiche und gezielte Behandlung von Brustkrebs zu einer großen medizinischen Herausforderung. Verschiedene Ansätze und Stoffe haben sich bei der Therapie als wirksam gezeigt, darunter das ernährungsphysiologisch für den Menschen unverzichtbare Spurenelement Selen. Durch seine antioxidativen Eigenschaften hemmt bzw. verlangsamt es das Fortschreiten der Krankheit und aktiviert die immuneigenen Abwehrzellen des Körpers.
„Bisher wurde Selen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zur Begleitbehandlung von Chemo- oder Strahlentherapien eingenommen“, erklärt Alexandra Herrero-Rollett. Zusammen mit ihrer Kollegin Doris Ribitsch setzt die Forscherin des Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) am Standort Tulln (NÖ) Selen nicht nur zur Prävention oder Behandlung unerwünschter Begleiterscheinungen von Krebstherapien ein, sondern erstmals zur Tumortherapie selbst: Ein Konsortium aus fünf EU-Partnern aus Industrie und Wissenschaft entwickelt im Projekt Neosetac eine neuartige Brustkrebs-Nanopartikel-Therapie auf Selenbasis.
Wirkung- und Wirkstofftransport verbessert
Der bisherige Einsatz und die verbundene Wirkung von Selenverbindungen waren einerseits aufgrund ihrer komplexen chemischen Struktur und der relativ kurzen Halbwertszeit des chemischen Elements im menschlichen Körper von bis zu 18 Stunden begrenzt. Andererseits ist die genaue Dosis entscheidend: Hochdosiertes Selen wirkt toxisch und kann unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen. Indem die ForscherInnen Selenverbindungen in bioabbaubare Nanopartikeln (NPs) einschleusen und an Antikörper koppeln konnten, wurde nun ein vielversprechender Weg eröffnet, den Wirkstofftransport und die Wirkung innerhalb des engen therapeutischen Fensters von Krebstherapeutika maßgeblich zu verbessern.
Nanopartikel für gezielte Tumortherapie
Damit die Selenverbindungen während des Transports zum gewünschten Zielort stabil bleiben, umhüllen die Biotechnologen den Wirkstoff mit winzigen biologischen Kapseln, auch Nanokapseln genannt. Durch diese – erstmals im Jahr 1979 von dem Pariser Forscher Patrick Couvreur – entdeckte Methode werden die Medikamente erst nach und nach über den Stoffwechselkreislauf des menschlichen Körpers freigesetzt. Sie wirken dadurch präziser. „Am konkreten Beispiel von Neosetac hat sich Humanalbumin als geeignetes Material zur Nanokapselherstellung erwiesen“, erklärt Ribitsch.
Die Konzentration dieses im Blut vorkommenden Proteins ist bei Brustkrebspatientinnen – insbesondere im malignen Gewebe – stark vermindert. Um den Proteinhaushalt auszugleichen, transportiert der Körper das eingebrachte Serumprotein über osmotischen Druck in das Gewebe weiter.
Active Drug Targeting
Damit die Selenverbindungen jedoch nur in den Tumorläsionen oder Metastasen und nicht im gesunden Gewebe wirken, wenden die ForscherInnen Active Drug Targeting an: Die Humanalbumin-Nanokapseln werden durch den Einsatz von Enzymen und biotechnologischen Methoden über eine kovalente Bindung mit Antikörpern „ausgestattet“. Als moderne Biomarker transportieren sie die Medikamente über das Blut ausschließlich in das gewünschte Zielgewebe, wo sie sich mit den Proteinen auf den Tumorzellen verbinden und die Apopotosis (Zelltod) einleiten.
Erfolgreichere Therapien, weniger Nebenwirkungen
Durch die neue, seelenbasierte Nanokapsel-Therapiemethode erwarten sich die Experten erfolgreichere Therapieansätze, bessere Medikamentenverträglichkeit und deutlich weniger Nebenwirkungen. Die Forschungsergebnisse sollen außerdem dazu beitragen, die Effizienz zukünftiger Chemotherapien zu erhöhen und ein erneutes Auftreten der Krankheit nach kompletter Remission zu verhindern.
Zum Projekt
Das Projekt Neosetac (New Selenium-based Targeted Nanocapsules to treat Breast Cancer) mit einer Laufzeit von vier Jahren und einem Projektvolumen von mehr als 500.000€ wird im von der EU initiierten Horizon 2020 Programm für Forschung und Innovation als Marie Skłodowska-Curie Förderprogramm-Maßnahme Nr. 778325 unterstützt. Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) nimmt neben der Universitat Autònoma de Barcelona (Spanien) als Projektleiter zusammen mit weiteren Partnern, darunter das Karolinska Institutet and Karolinska University Hospital aus Stockholm (Schweden), der AntibodyBCN S.L. aus Barcelona (Spanien) sowie dem Austrian Drug Screening Institute (ADSI) aus Innsbruck (Österreich) an Neosetac teil.
Über acib
Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) entwickelt neue, umweltfreundlichere und ökonomischere Prozesse für die Industrie (Biotech, Chemie, Pharma) und verwendet dafür die Methoden der Natur als Vorbild und die Werkzeuge der Natur als Hilfsmittel. Das acib, eine Non-Profit-Organisation, ist ein internationales Forschungszentrum für industrielle Biotechnologie mit Standorten in Graz, Innsbruck, Tulln, Wien (AUT), Bielefeld, Heidelberg und Hamburg (GER) sowie Pavia (ITA), Canterbury (NZL) und Taiwan (CHN) und versteht sich als Partnerschaft von 150+ Universitäten und Unternehmen. Darunter bekannte Firmen wie BASF, DSM, Sandoz, Boehringer Ingelheim RCV, Jungbunzlauer oder VTU Technology. Am acib forschen und arbeiten derzeit 250+ Beschäftigte an mehr als 175 Forschungsprojekten.
Eigentümer des acib sind die Universitäten Innsbruck und Graz, die TU Graz, die Universität für Bodenkultur Wien sowie Joanneum Research. Gefördert wird das K2-Zentrum im Rahmen von COMET – Competence Centers for Excellent Technologies durch das BMVIT, BMWFW sowie die Länder Steiermark, Wien, Niederösterreich und Tirol. Das COMET-Programm wird durch die FFG abgewickelt.