Schmerz und Schein
Operationen spülen zwar Geld in die Kassen der Krankenhäuser, Patienten mit chronischen Schmerzen ist damit jedoch nur selten geholfen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Karin Meißner von der Hochschule Coburg im Rahmen ihrer neuesten Forschungsarbeit.
Zwei Patienten werden in den OP gebracht. Beide haben chronische, also andauernde Schmerzen im Knie. Gerade bespricht der Arzt noch mit dem anwesenden medizinischen Personal das weitere Vorgehen. Dann zeigt die Narkose Wirkung und das Skalpell wird angesetzt. Später im Aufwachraum kommen beide Patienten wieder zu sich. In ein paar Tagen werden sie feststellen, dass sich ihre Beschwerden verbessert haben. Doch es gibt einen Unterschied: die eine Person wurde tatsächlich operiert, die andere nicht.
Die Besserungen nach einer solchen Schein-Operation sind mit dem Phänomen des Placebo-Effekts zu vergleichen. Dabei wird dem Patienten ein Medikament verabreicht, das eigentlich gar keinen Arzneistoff enthält. Dennoch fühlt sich der Erkrankte im Anschluss oft besser, weil er schlichtweg an die heilende Wirkung der Medizin glaubt. Genauso verhält es sich auch hier: Menschen versprechen sich von einer Operation in der Regel einen großen Erfolg. Diese positive Erwartungshaltung kann dazu führen, dass sich dieser Erfolg tatsächlich einstellt – auch wenn in Wahrheit gar nicht operiert wurde. „Solche Placebo-Effekte sind keine Einbildung, sondern gehen mit der Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn einher“, erklärt Prof. Dr. Karin Meißner. Die studierte Humanmedizinerin leitet an der Hochschule Coburg den Master-Studiengang Gesundheitsförderung. In ihrer neuesten Forschungsarbeit verglich sie gemeinsam mit einem internationalen Expertenteam die Ergebnisse verschiedener vorangegangener Wirksamkeitsstudien, in denen Operationen gegen Schein-Operationen getestet wurden.
An den Studien waren insgesamt 2000 Patienten mit unterschiedlichen chronischen Schmerzen – von Knie-, über Rückenproblemen bis hin zu Migräneattacken – beteiligt. Über die gesamte Studienlaufzeit sollten sie in Fragebögen einschätzen, wie stark ihre Symptome sind und wie sehr sie das tägliche Leben einschränken. Dabei wusste keiner der Teilnehmenden, ob er zur Gruppe der tatsächlich Operierten oder zur Kontrollgruppe gehörte. Dennoch ähnelten sich ihre Angaben zum Schmerzempfinden. „Demnach profitieren die Patienten von einer tatsächlichen Operation bei chronischen Schmerzen nicht mehr oder weniger im direkten Vergleich zu einer Schein-OP“, schlussfolgert Professorin Meißner.
Ob damit der Griff zum Skalpell immer die richtige Wahl ist, stellt das Ergebnis von Meißner und ihren Kolleg*innen zumindest in Frage. Denn auch wenn Operationen die Symptome vorübergehend lindern können, bergen sie stets gewisse Risiken. So rät Professorin Meißner: „Eine Operation kann chronische Schmerzen in der Regel nicht beheben. Vielmehr ist eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten in seinem privaten und beruflichen Umfeld notwendig, um die besten Therapieansätze zu finden. Diese können zum Beispiel Gespräche, Entspannungstechniken und Bewegungsförderung beinhalten und werden üblicherweise von ausgewiesenen Schmerztherapeuten zusammengestellt.“
Die systematische Übersichtsarbeit von Prof. Dr. Meißner und ihren Kolleg*innen wurde in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Pain Medicine“ international veröffentlicht.