Epigenetik von Leukämie im Fokus
Entdeckung von chemischen Sonden als Hemmstoffe von epigenetischen Faktoren der akuten myeloischen Leukämie
Schwere Leukämien entstehen unter anderem, wenn regulative Proteine ihre Funktion auf epigenetischer Ebene nicht mehr ausüben können. In einer großangelegten internationalen Kollaboration haben jetzt Forscher aus Großbritannien Wirkstoffe identifiziert, die diese fehlregulierten Proteine hemmen können. In der Zeitschrift Angewandte Chemie beschreiben sie die Entdeckung, Entwicklung und Charakterisierung von solchen möglichen neuen Leitstoffen im Zellsystem. Weiterführende Tests in biologischen Systemen könnten die Wirkstoffentwicklung gegen diese Krebsarten antreiben.
Normale Zellen regulieren ihre Genexpression unter anderem dadurch, dass sie ihre DNA und die Histone, die Strukturen, um die die DNA im Zellkern aufgewickelt ist, mit chemischen Signalen markieren. Gerät diese epigenetische Regulation außer Kontrolle, kann Krebs entstehen. So weiß man, dass sich bei der akuten myeloischen Leukämie, einer sehr schweren Leukämieform, bestimmte regulativen Proteine so verändern, dass sie die epigenetischen Markierungen nicht mehr richtig erkennen und auslesen können. In der Folge teilen sich die Knochenmarkszellen abnorm und überwachsen das gesunde Knochenmark. Die deregulierten Proteine lesen markierte Lysinreste an den Histonen aus. Lysin ist eine Aminosäure, die für die epigenetische Kontrolle modifiziert wird. Durch das falsch regulierte Auslesen setzt sich ein Leukämie-induzierender Prozess der Genexpression in Gang.
Die fehlregulierten Ausleseproteine können aber auch ein Ansatzpunkt für mögliche Behandlungen sein. Wenn Wirkstoffe genau an diesen Proteinen, und zwar an deren Lysin-erkennenden Domänen, angreifen, ließe sich die Leukämie bereits auf der epigenetischen Ebene unterdrücken. In den Laboratorien von Paul Brennan und Oleg Fedorov an der Universität Oxford in Großbritannien suchen die Forscher nach Wirkstoffen dieser Art. Um mögliche Kandidaten herauszufinden, musterten die Wissenschaftler zunächst eine Bibliothek von vielen Tausend chemischen Verbindungen durch. Ziel war es, ein Molekül zu finden, das an den Proteinbereich bindet, der modifiziertes Lysin in den Histonen erkennt: die so genannten YEATS-Domänen.
Einen bemerkenswerten Treffer gab es, berichteten die Wissenschaftler: ein Benzimidazol-ähnliches Molekül. Benzimidazole sind in der Medizin bereits als vielseitige Wirkstoffe bekannt. Diese Leitstruktur, im Kern ein fusionierter Benzol- und Stickstoff enthaltener Ring, variierten die Wissenschaftler, um das Molekül stabiler und besser bindend zu machen. Zweihundert Varianten prüften sie, bis sie einen leistungsfähigen und stabilen molekularen Hemmstoff für die YEATS-Domänen hatten. Der Hemmstoff wurde dann in verschiedenen Tests auf seine Aktivität und vor allem auf die molekulare Bindung an die YEATS-Domänen hin überprüft.
Wie die Autoren betonen, wurde hier zum ersten Mal ein selektiver und wirksamer Hemmstoff für epigenetische Ursachen der akuten myeloischen Leukämie gefunden. Diese Krebsart schreitet nach ihrem Ausbruch rasant fort und führt unbehandelt innerhalb von Wochen oder Monaten zum Tod. Zur Chemotherapie gibt es bislang noch wenig Alternativen, und neue Behandlungsmethoden sind dringend gesucht. Vor allem wegen der hier gewonnenen sehr detaillierten Kenntnisse über die Bindung an die Zielproteine seien diese Hemmstoffe ein vielversprechender Ausgangspunkt für die weitere Wirkstoffentwicklung, schreiben die Wissenschaftler.
Angewandte Chemie: Presseinfo 36/2018
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1002/ange.201810617
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