Telomerverlängerung entscheidend für Krankheitsverlauf
Mechanismen von Wachstum und Rückbildung beim Neuroblastom entschlüsselt
Zu den häufigsten Krebsarten im Kindesalter gehört das Neuroblastom, ein Tumor des peripheren Nervensystems. Teils bildet sich dieser Tumor ohne jegliche Therapie komplett zurück, bei anderen Patienten jedoch schreitet er trotz hochintensiver Therapie unaufhaltsam voran. In einer aktuellen Studie untersuchten Wissenschaftler der Klinik für Kinder-und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts die genetischen Ursachen der unterschiedlichen Verlaufsformen dieses Tumors. Die Ergebnisse sind heute (07.12.2018) im renommierten Wissenschaftsjournal Science erschienen.
Durch die Entschlüsselung der Erbinformation der Krebszellen entdeckten die Wissenschaftler Veränderungen in Genen des RAS- und des p53-Krebssignalwegs in etwa 18 Prozent der Fälle. „Das Vorliegen solcher Veränderungen war insgesamt mit einem ungünstigen Krankheitsverlauf vergesellschaftet, jedoch ließ sich bei einigen Patienten mit derartigen Mutationen auch eine spontane Rückbildung des Tumors nachweisen“, berichtet Prof. Dr. Matthias Fischer, Letztautor sowie „corresponding author“ der aktuellen Studie und Leiter der Experimentellen Pädiatrischen Onkologie an der Uniklinik Köln.
Durch die Integration der genetischen Daten mit Informationen über Verlängerungsmechanismen der Chromosomen-Enden, der sogenannten Telomere, konnten die Wissenschaftler ein klares Bild über die Mechanismen der verschiedenen Verlaufsformen des Neuroblastoms gewinnen.
Telomere werden auch als die „molekulare Uhr“ der Zelle bezeichnet: In den meisten Körperzellen werden die Chromosomenenden bei jeder Zellteilung verkürzt. Wird eine kritische Länge unterschritten, führt der Telomer-Schwund zum Wachstumsstopp oder zum Zelltod. In Stammzellen und den meisten Krebszellen dagegen wird die Länge der Chromosomenenden durch Telomer-Verlängerungsmechanismen oberhalb der kritischen Schwelle erhalten, so dass die Zellen quasi „unsterblich“ sind.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Neuroblastome nur dann aggressiv wachsen, wenn Telomer-Verlängerungsmechanismen vorliegen. „Sind darüber hinaus noch zusätzliche Mutationen in Krebssignalwegen vorhanden, so ist der Krankheitsverlauf besonders ungünstig, und die meisten der betroffenen Kinder können mit heutigen Behandlungs-Schemata nicht geheilt werden. Fehlen jedoch Telomer-Verlängerungsmechanismen, kommt es regelmäßig zu spontanen Rückbildungen des Tumors, und die Prognose der Patienten ist zumeist auch ohne jegliche Therapie exzellent“, Dr. Sandra Ackermann Erstautorin der Studie und Forscherin in der Arbeitsgruppe Experimentelle Kinderonkologie an der Uniklinik Köln.
Die Ergebnisse diese Arbeit verdeutlichen, dass die Aktivierung von Telomer-Verlängerungsmechanismen einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung bösartiger Tumoren darstellt. Mit Hilfe der genetischen Informationen ist es beim Neuroblastom nun möglich, den Krankheitsverlauf der Patienten präzise vorherzusagen und die Therapie entsprechend anzupassen. Darüber hinaus liefern die Ergebnisse Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Behandlungs-Strategien für Patienten mit einer besonders ungünstigen Prognose: Die gezielte Hemmung von Krebssignalwegen und Telomer-Verlängerungsmechanismen könnte bei diesen Kindern einen vielversprechenden neuen Therapieansatz darstellen.
Originalpublikation:
Ackermann S, Cartolano M, Hero B, Welte A, Kahlert Y, Roderwieser A, Bartenhagen C, Walter E, Gecht J, Kerschke L, Volland R, Menon R, Heuckmann JM, Gartlgruber M, Hartlieb S, Henrich KO, Okonechnikov K, Altmüller J, Nürnberg P, Lefever S, de Wilde B, Sand F, Ikram F, Rosswog C, Fischer J, Theissen J, Hertwig F, Singhi AD, Simon T, Vogel W, Perner S, Krug B, Schmidt M, Rahmann S, Achter V, Lang U, Vokuhl C, Ortmann M, Büttner R, Eggert A, Speleman F, O’Sullivan RJ, Thomas RK, Berthold FB, Vandesompele J, Schramm A, Westermann F, Schulte JH, Peifer M, Fischer M
A mechanistic classification of clinical phenotypes in neuroblastoma. Science, in press.
DOI: 10.1126/science.aat6768