Schädel-Hirn-Trauma – wie unsere Zeit ein Krankheitsbild verändert
Das Schädel-Hirn-Trauma ist eine der schwersten neurologischen Schädigungen und häufigste Todesursache von Menschen unter 45 Jahren. Jährlich werden über 200.000 davon Betroffene in Deutschland neuro-intensivmedizinisch versorgt. Jedes Jahr thematisiert deshalb die ANIM – die Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin – die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Studienberichte zu diesem Krankheitsbild. Diese Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) findet in der kommenden Woche vom 17. bis 19. Januar 2019 in Berlin statt.
Häufigste Ursache ist der Sturz
Vor 40 Jahren war der typische Patient mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT) männlich und zwischen 20 und 40 Jahre alt. Das Trauma war meist durch einen Verkehrsunfall verursacht worden. Heute ist die häufigste Ursache für ein SHT der Sturz, viele Patienten sind über 65 Jahre alt und häufig weiblich. Dies ist lediglich dadurch begründet, dass Frauen älter als Männer werden, so dass es mit zunehmendem Alter mehr Frauen gibt. Ein Viertel der Patienten sind daneben heute unter 16 Jahre alt. Die überwiegende Ursache von Verletzungen bei Kindern sind Stürze und Verkehrsunfälle. Jedes zweite verunfallte Kind hat ein SHT.
Durch das zunehmende Lebensalter der Menschen hat die Bedeutung des chronischen subduralen Hämatoms deutlich zugenommen. Das chronische Subduralhämatom tritt insbesondere bei älteren Patienten nach leichten Schädel-Hirn-Traumata auf und ist eine Einblutung im Schädel. „Selbstverständlich ist die operative Drainage dieser Hämatome die Behandlung der Wahl, allerdings sind eine Reihe operationstechnischer Fragen zu klären. So ist unklar, an welcher Stelle oder wie lange am besten zu drainieren ist. Auch ist die häufig assoziierte oder gar zugrunde liegende Gerinnungsstörung nach Gabe von blutverdünnenden Medikamenten bedeutsam und es muss geklärt werden, wie mit der (notwendigen) Blutverdünnung umgegangen werden sollte“, erklärt Prof. Dr. Andreas Unterberg, Direktor der Neurochirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg.
Die Suche nach Neuroprotektiva oder Medikamenten, die nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma die lebensbedrohliche posttraumatische Hirnschwellung o.ä. behandeln, ist aus regulatorischen Gründen immer schwieriger geworden. Dennoch gibt es auch hier gezielte Versuche, in die Krankheitsmechanismen des SHT einzugreifen. Außerdem wird eine große Hoffnung mit Registerstudien verbunden, bei denen sich möglicherweise in der Zukunft die effizientesten Behandlungsmethoden herauskristallisieren.
Sportverletzungen und Kriegstraumata nehmen zu
Neben diesem demografischen Wandel sind in den letzten 10 Jahren zwei „neue“ Krankheitsbilder entdeckt worden, die beide ähnliche Folgen haben. Nämlich einerseits die fortschreitende Leistungseinschränkung des Gehirns hervorgerufen durch wiederholte kleinere SHTs, zum Beispiel bei Boxern oder Footballspielern. Therapie ist hier einzig die Prophylaxe einer neuerlichen Verletzung. Fußball geht in die gleiche Richtung, insbesondere die Kopfbälle. Diese Verletzungsmuster treten sowohl bei Profi- als auch bei Freizeitsportlern auf.
Zum zweiten gilt es, vermehrt Verletzungen nach Sprengstoffanschlägen zu behandeln. Danach gibt es vier Verletzungsmechanismen, erklärt Prof. Dr. Uwe Max Mauer, die Druckwelle, die herumfliegenden Teile, das Aufkommen nach der Explosion und die chemische sowie die Hitzewirkung. Mauer ist Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Er informiert: „Umfangreiche Untersuchungen bei Opfern von Sprengstoffanschlägen haben gezeigt, dass auch ohne direkte Verletzung des Kopfes, allein durch die Druckwelle der Detonation, eine Veränderung im Gehirn hervorgerufen wird, die ihrerseits Funktionseinschränkungen und psychische Störungen auslöst.“ Innerhalb der Bundeswehr gibt es für die Ärzte viele Kurse und Workshops. Die Erfahrungen aus Einsätzen werden wissenschaftlich ausgewertet. Die Behandlung schwerer Verletzungen geht in Richtung Damage Control Surgery ohne definitive Versorgung. „Das bedeutet, dass mit geringem Aufwand die Folgen der Verletzung möglichst gering gehalten werden, die endgültige Versorgung aber dann nach Stabilisation und Verlegung im Heimatland erfolgt“, erklärt Prof. Mauer.