Klettverschluss für menschliche Zellen
Freiburger Forscher entwickeln zelluläre Adhäsionsrezeptoren, die mit Licht gesteuert werden können
Die Fähigkeit der Zellen, aneinander und an ihrer Umgebung zu haften, ist die Grundlage für ein multizelluläres Leben. Die Adhäsion, also das Aneinanderhaften, erfolgt über verschiedene Rezeptoren an der Zelloberfläche, die an spezifischen Liganden in ihrer Umgebung binden. Trotz der Bedeutung dieser Adhäsionsrezeptoren gibt es nur wenige Werkzeuge, um ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt präzise zu steuern. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freiburger Exzellenzcluster im Bereich der biologischen Signalforschung BIOSS und CIBSS hat nun einen Adhäsionsrezeptor und eine synthetische, extrazelluläre Umgebung entwickelt, die durch Licht aktiviert werden kann. Dieses System kann angepasst werden, um andere Interaktionen zwischen Rezeptoren und Liganden mit Licht zu beeinflussen. Die Forschenden haben ihr neues optogenetisches System in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ vorgestellt.
Die Optogenetik nutzt Licht, um Proteine und die zellulären Prozesse, an denen sie beteiligt sind, zu steuern. „Diese Technik hat die Analyse der zellulären Signalübertragung revolutioniert, weil sie nicht-invasiv ist und eine präzise räumliche und zeitliche Steuerung von Signalprozessen ermöglicht“, sagt Prof. Dr. Wilfried Weber. Die Forschenden der Universität Freiburg beschlossen, die Optogenetik in den extrazellulären Bereich zu bringen, um zu testen, ob sie Interaktionen zwischen Rezeptor und Matrix – dem Teil des Gewebes, der zwischen den Zellen liegt – mit Licht steuern können.
Das Team, zu dem auch die Gruppen von Prof. Dr. Gerald Radziwill und Prof. Dr. Wolfgang Schamel gehörten, konzentrierte sich auf eine wichtige Klasse von Rezeptoren, auf die Integrine. Diese ermöglichen die Anheftung an die extrazelluläre Matrix. „Integrine spielen zwar eine zentrale Rolle in vielen biologischen Prozessen, können aber auch das Wachstum und die Ausbreitung von Krebs fördern und wurden daher als Ziel für Krebstherapien untersucht“, erklärt Julia Baaske, Erstautorin der Veröffentlichung. Um die durch Integrine vermittelte Adhäsion mit Licht zu kontrollieren, entwickelten die Wissenschaftler zunächst eine so genannte OptoMatrix, die mit einem lichtempfindlichen Pflanzenprotein namens Phytochrom B beschichtet ist. Anschließend entwickelten sie ein so genanntes OptoIntegrin, ausgestattet mit einem Phytochrom-Interaktionsfaktor (PIF6). Phytochrom B ist in der Regel inaktiv, aber wenn es einer bestimmten Wellenlänge von rotem Licht ausgesetzt ist, wird es aktiviert und kann durch PIF6 gebunden werden. Wenn es wiederum Infrarotlicht ausgesetzt ist, schaltet es zurück in die inaktive Form. „Die Zellen mit OptoIntegrin hafteten unter rotem Licht sofort an der Matrix und aktivierten intrazelluläre Signalprozesse. Bei Infrarotlicht lösten sich die Zellen“, erklärt Baaske. „Im Wesentlichen haben wir einen lichtgesteuerten Klettverschluss für menschliche Zellen entwickelt.“
Das System ermöglicht es, Integrin-Matrix-Interaktionen nicht nur mit hoher zeitlicher Präzision ein- und auszuschalten, sondern auch räumlich zu steuern. Eine starke Adhäsion von Zellen mit OptoIntegrinen tritt nur an den Stellen der OptoMatrix auf, die mit Licht aktiviert wurden. „Dieses System dient als Vorlage für die präzise raumzeitliche Kontrolle anderer Rezeptor-Ligand-Interaktionen mit Licht“, sagt Weber, der auch Mitglied des Sprecherteams des Exzellenzclusters CIBSS ist. „Diese und andere optogenetische und chemische Control-of-Function-Technologien, die in CIBSS entwickelt werden, werden uns Einblicke in die raumzeitliche Dynamik biologischer Signalprozesse und deren Kontrolle ermöglichen.“
Originalpublikation:
Baaske J., Mühlhäuser W.W.D., Yousefi O.S., Zanner S., Radziwill G., Hörner M., Schamel W.W.A., Weber W. (2019): Optogenetic control of integrin–matrix interaction. In: Communications Biology. DOI: 10.1038/s42003-018-0264-7
Weitere Informationen:
https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2018/klettverschluss-fuer-menschliche-zellen