Drogenhandel im Darknet: Neue Herausforderungen für Drogenpolitik und -hilfe
Was ändert sich, wenn der Endkunde seine Drogen online im Darknet bestellt? Wer hat Zugangsmöglichkeiten und welche Zielgruppen nutzen den Online-Handel? Was bedeutet der neue Vertriebsweg für die Drogenhilfe und deren schadensminimierende Ansätze (Harm-reduction)? Welche neuen Schwierigkeiten entstehen bei der strafrechtlichen Verfolgung? Prof. Dr. Heino Stöver, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), befasst sich mit dem neuen Vertriebsweg für illegale Drogen und leitet für die Drogenpolitik und -hilfe wichtige Erkenntnisse ab. Er ist sich sicher, dass der Anteil, den das Darknet-Angebot beim Drogenhandel ausmacht, steigen wird. Auf der Basis der Analyse der Bedeutung des Darknets für den Handel mit illegalen Drogen setzt Stöver auch hier auf die – aus seiner Sicht dringend notwendige – Neuorientierung der Drogenpolitik: Regulierung statt Repression.
Wichtig sind Stöver unter anderem die Entkriminalisierung der Konsumenten und dass sich Träger von Drug-Checking-Angeboten – also Angeboten, die Interessenten helfen zu klären, welche Inhaltsstoffe eine Droge enthält, welchen Reinheitsgehalt sie besitzt und welche Gesundheitsrisiken sie in sich birgt – nicht strafbar machen. „Die neuesten Zahlen des Bundeskriminalamtes aus 2018 machen deutlich, dass sogenannte konsumnahe Delikte den größten Teil der sogenannten Rauschgiftkriminalität ausmachen (77,3 %). In der polizeilichen Realität werden also trotz der immer wieder durch die Verantwortlichen in den Polizeibehörden verkündeten Zielsetzung der Bekämpfung der Organisierten Drogenkriminalität ganz überwiegend Konsumentinnen und Konsumenten Beschuldigte von Ermittlungsverfahren, die keine Opfer hervorrufen und niemanden schädigen, außer sich selbst, was nach unserer Rechtsordnung nicht strafbar ist“, kritisiert Stöver.
Der Handel im Darknet ist hauptsächlich Endkundengeschäft: Die Drogenkonsumenten im Darknet sind in der Regel gebildet, in (Hochschul-)Ausbildung oder Beruf, verfügen über gewisse Geldmittel und meist männlich. Sie stammen fast ausschließlich aus Industrieländern, die über gute IT-Infrastruktur verfügen. Das Darknet beliefert also hauptsächlich die (neuen) Zielgruppe der „Partykonsumenten“. Deals unter Dealern verlagern sich bislang weniger auf das illegale Internet.
Die ohnehin bereits erheblich vorhandenen Schwierigkeiten der strafrechtlichen Verfolgung von Drogendelikten werden noch weiter zunehmen, wenn sich der Drogenhandel mehr und mehr online abspielt, prognostiziert Stöver. Ein großes Problem sieht Stöver zudem darin, dass der Zugang zu Drogen auch für Minderjährige durch das Darknet noch deutlich erleichtert wird. Gerade die jungen Menschen bringen das technische Verständnis auf, wie man sich hier Zugang verschafft und weitgehend anonym bleibt.
Im Sinne von Harm-reduction, also Schadensminimierungsansätzen, sieht Stöver im Vergleich zum klassischen Straßenhandel allerdings „Vorteile“ im Onlinehandel: Drogen werden dort in einer besseren Qualität angeboten, da Konsumenten den Händler und die Ware bewerten und andere User diese Bewertungen einsehen können. Die Gefahr, dass dauerhaft gestreckte Ware angeboten wird, sinkt deshalb deutlich.
Stöver ist Mitherausgeber sowie einer der Autoren des Sammelbands „Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität – Herausforderungen für Politik, Justiz und Drogenhilfe“. Der Band stellt die erste umfassende Publikation zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum dar. Die Beiträge basieren auf politikwissenschaftlichen, soziologischen und kriminologischen Forschungserkenntnissen, juristischen Analysen sowie Erfahrungen aus der Praxis. Der Band mit Beiträgen in deutscher und englischer Sprache und interdisziplinärer Ausrichtung macht deutlich, dass das noch junge Phänomen der anonymen Drogenmärkte im Internet eine vielschichtige Herausforderung darstellt.
Weitere Informationen zum Institut für Suchtforschung unter: www.frankfurt-university.de/isff
Tzanetakis, Meropi; Stöver, Heino (Hrsg.): Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden 2019, ISBN: 978-3-8487-3998-1, 54 Euro
Zur Person Stöver:
Prof. Dr. Heino Stöver ist Dipl.-Sozialwissenschaftler und Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS. Er leitet seit über zehn Jahren das Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF). Stövers Forschungsschwerpunkte sind von großer gesellschaftlicher Bedeutung, da die Zielgruppen seiner Forschung gesundheitlich und teils sozial stark belastet sind und oft zu spät behandelt werden; die späte Behandlung verursacht hohe Kosten und kann zum Tod führen. In den letzten fünf Jahren hat Stöver mehr als 20 Forschungsprojekte für nationale und internationale Auftraggeber durchgeführt und dafür Dritt- und Forschungsfördermittel in Höhe von mehr als 2,5 Mio. Euro eingeworben. Zurzeit leitet er u.a. das Teilprojekt „Evaluation von Maßnahmen zur Schadensminimierung im Hinblick auf offene Drogenszenen“ im Rahmen des BMBF-Verbundvorhabens DRUSEC. Darüber hinaus ist er an mehreren EU-Verbundprojekten beteiligt. Stöver hat beispielsweise am Projekt „Central Asia Drug Action Programme“ mitgewirkt, bei dem eine Beratungs- und Behandlungsstruktur für Drogenkonsumierende in Zentralasien entwickelt wurde und das von der EU Kommission mit insgesamt 900.000 Euro gefördert wurde.
Zum Institut für Suchtforschung (ISFF):
Das Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt UAS arbeitet seit 1997 an der Weiterentwicklung zielgruppenspezifischer und lebensweltnaher Prävention, Beratung und Behandlung von Suchterkrankungen. Es erforscht Sucht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen sowie die mit Sucht in Zusammenhang stehenden Probleme und Aspekte. Das Institut fördert den Ausbau von interdisziplinären Beziehungen zu Kooperationspartnern auf nationaler und internationaler Ebene. Forschungsprozesse und -resultate finden in Lehre und Studium Berücksichtigung.