Hirntumoren aus der Petrischale
Die Züchtung von neuartigen Hirntumorkopien eröffnet einzigartige wissenschaftliche und medizinische Möglichkeiten. Für diesen innovativen Ansatz erhält die Abteilung für Neuropathologie des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) nun eine Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Krebserkrankungen zählen zu den verbreitetsten Krankheiten weltweit. Wissenschaftler und Mediziner sind daher bestrebt, neue Therapien zu entwickeln und bestehende zu optimieren. Grundvoraussetzung hierfür ist es, die Krankheitsentstehung zu verstehen und neue Therapieansätze in einem möglichst realitätsnahen Modell vor dem Einsatz am Menschen erproben zu können. Einen entscheidenden Schritt geht hier die Abteilung für Neuropathologie am Universitätsklinikum Regensburg in der Hirntumorforschung. Dort werden aus Tumorzellen, die Patienten entnommen wurden, mit einer neuartigen Methode Tumoren gezüchtet. An diesen sogenannten Tumororganoiden können umfangreiche Versuche unternommen und die Zellen genau untersucht werden. Das Forschungsprojekt erhielt im Februar 2019 eine Forschungsförderung in Höhe von 352.000 Euro für eine Laufzeit von vier Jahren vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
„Tumororganoide stellen eine Krankheitskopie in der Petrischale dar. Es handelt sich daher um realistische Krankheitsmodelle, die die Komplexität der Erkrankung besser wiedergeben als bisherige Modelle. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die mit diesen Tumororganoiden gewonnen werden, sind somit mit einer großen Genauigkeit auf die reale Patientensituation übertragbar“, schildert Professor Dr. Markus Riemenschneider, Leiter der Abteilung für Neuropathologie am UKR, die Vorteile der im Labor gezüchteten Tumoren.
Von Grundlagenforschung bis hin zu personalisierter Medizin
Wenn Hirnturmorzellen im Labor zu Forschungszwecken kultiviert werden, war es bislang eine Herausforderung, die Komplexität der zellulären und molekularen Veränderungen hinreichend darzustellen. Gründe hierfür sind zum einen die geringe Probenmenge und zum anderen, dass die Zellen nicht in ihrer realen Umgebung untersucht werden können. Die Abteilung für Neuropathologie am UKR verfolgt deswegen mit der Züchtung von Tumororganoiden einen neuen Ansatz, der dieser Tatsache Rechnung trägt.
Die Tumororganoide werden aus Zellen von Patiententumoren hergestellt, die beispielsweise im Rahmen einer Biopsie entnommen wurden. „Wenn die Tumorzellen zu Krankheitskopien heranwachsen, eröffnet uns dies vielfältige Möglichkeiten“, erläutert Professor Riemenschneider. So kann die Krankheitsentstehung und -entwicklung analysiert werden, indem die Zellveränderung und das Zusammenspiel von Zellen beobachtbar werden. Die Krankheitsmodelle bieten außerdem genügend Studienmaterial, um neue Therapien zu erproben. Außerdem können die Tumororganoide die Behandlung verbessern, da an ihnen getestet werden kann, wie die Krankheit auf eine spezielle Therapie anspricht, bevor sie dem Patienten gegeben wird. Professor Riemenschneider führt aus: „Tumororganoide tragen damit nicht nur dazu bei, die Entstehung von Krankheiten besser zu verstehen und Therapien weiterzuentwickeln, sie helfen uns mittelfristig auch die Behandlung individueller an unsere Patienten anzupassen.“
Visionäre Forschung durch einen starken Verbund
Bei ihrer Forschung an Tumororganoiden arbeitet die Abteilung für Neuropathologie mit Forschergruppen der Universitäten Erlangen-Nürnberg, München und Passau im Forschungsverbund für die Interaktion von menschlichen Gehirnzellen (ForInter) zusammen. In Kooperation mit der Universität Erlangen werden hierbei auch Mini-Gehirne, sogenannte cerebrale Organoide, in der Petrischale gezüchtet. Diese Mini-Gehirne sind weit davon entfernt wie ein echtes menschliches Gehirn zu funktionieren. Sie erlauben den Forschern aber, die Wechselwirkungen zwischen gesunden Gehirnzellen und den Tumorzellen genauer zu untersuchen. „Leider haben Hirntumoren die Eigenschaft, das Hirngewebe zu infiltrieren. Das machte es bei einem operativen Eingriff oft schwer, den Tumor komplett zu entfernen. In vielen Fällen ist dies der Grund, warum Patienten nach der Therapie einen Rückfall erleiden“, erklärt Professor Riemenschneider. „Es ist deshalb enorm wichtig, genau zu verstehen, warum es möglich ist, dass Tumorzellen so tief in das Gehirn eindringen können. Nur mit diesem Verständnis können wir neue Therapieansätze entwickeln, um dies zu verhindern.“
Die Abteilung für Neuropathologie versorgt als einzige neuropathologische Einrichtung in Ostbayern ein weites Einzugsgebiet. Von Anfang an war sie mit einem Tätigkeitsschwerpunkt in der Hirntumorforschung ein starker Partner im Zentrum für Hirntumoren des Universitätsklinikums Regensburg und übergreifend im Universitären Onkologischen Zentrum Regensburg (UCC-R). Die bayernweite Vernetzung ermöglicht es nun, wissenschaftliche Kompetenzen zu bündeln und auch neue hochkompetitive und visionäre Forschungsansätze wie die Arbeit mit Tumor- und cerebralen Organoiden in Angriff zu nehmen.