Damit blaue Flecken keinen falschen Alarm auslösen

„Gerinnungsstörung, Unfall oder Kindesmisshandlung?“ heißt das im Herbst 2018 erschienene Buch, in dem der Gerinnungsexperte Prof. Ralf Knöfler aus dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und Dr. Uwe Schmidt von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden einen Beitrag dafür leisten, dass Mediziner Blutungen bei Gerinnungsstörungen und Unfällen sowie misshandlungsverdächtige Blutungen bei Kindern besser erkennen können. In der übersichtlich gehaltenen, 60-seitigen Publikation haben die Autoren illus-trierte Fallbeschreibungen zu Misshandlungen sowie Berichte von Erstdiagnosen einer Gerinnungsstörung aufbereitet. Das von einem führenden Pharmaunternehmen geförderte Buch basiert auf einer von Prof. Knöfler betreuten Promotionsarbeit, die im Rahmen des Netzwerks ostdeutscher Gerinnungszentren entstand. Als Ergebnis dieser Arbeit von Irmina Watzer-Herberth wurden Empfehlungen für das gerinnungsdiagnostische Vorgehen bei misshandlungsverdächtigen Blutungen im Kindesalter erarbeitet. Die darauf basierende Publikation von Prof. Knöfler und Dr. Schmidt erhielt große Aufmerksamkeit in der Fachwelt, so dass die beiden Autoren von der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH e.V.) gebeten wurden, die Inhalte ihres Buchs auf der am Mittwoch (27. Februar) in Berlin beginnenden 63. Jahrestagung in einem 90-minütigen Symposium zu referieren und zu diskutieren.

Bei jährlich rund 12.000 Kindern und Jugendlichen stellen Ärzte in Deutschland Verletzungen fest, die sich auf Misshandlungen zurückführen lassen. Erste Anhaltspunkte sind äußerlich sichtbare Blutungen und Schwellungen. Kinderärzte, Kinderchirurgen und Hausärzte, die Patienten mit solchen Blutungen und Verletzungen sehen, stehen vor der Herausforderung, zeitnah die richtigen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu handeln. Das ist gar nicht so einfach, denn bezogen auf eine einzelne Arztpraxis bleiben diese Fälle selten. Zudem versuchen die Sorgeberechtigten nicht selten, eine Misshandlung als Ursache der Verletzungen zu verschleiern. Noch schwieriger wird es, wenn eine auffällige Blutungsneigung ohne misshandlungstypische Begleitverletzungen Folge einer bisher unentdeckten Gerinnungsstörung ist, denn es handelt sich um ein heterogene Gruppe von Erkrankungen, die teilweise sehr selten und schwierig zu diagnostizieren sind.
„Wir leisten mit diesem Buch auch einen Beitrag dafür, dass Eltern von Kindern mit Gerinnungsstörungen nicht vorverurteilt werden“, sagt Prof. Knöfler, Leiter der Gerinnungs-Sprechstunde der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Umgekehrt kann eine richtig eingeschätzte Verletzung eines misshandelten Kindes weiteres Leid vermeiden. Der Fokus der beiden in der Krankenversorgung und Rechtsmedizin tätigen Ärzte liegt auf dem Kindeswohl: „Bei unserer Arbeit geht es nicht darum, Täter zu identifizieren, sondern unseren Kollegen einen Leitfaden an die Hand zu geben. Wenn sie mit dem entsprechenden Hintergrund genau hinschauen, können sie die richtigen Schlüsse ziehen“, sagt Dr. Uwe Schmidt vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus. Dazu trägt auch der im Buch abgedruckte Leitfaden „klinischer Verdacht auf Kindswohlgefährdung“ bei. Die Publikation ist damit ein weiteres Element der vom Dresdner Uniklinikum initiierten Kinderschutz-Aktivitäten. So hat sich bereits vor acht Jahren die Kinderschutzgruppe gegründet, die eng mit dem Jugendamt der Stadt Dresden und weiteren Institutionen zusammenarbeitet. Jüngstes Projekt ist die seit September 2018 abrufbare Kinderschutz-App „Hans&Gretel;“.
Die Publikation „Gerinnungsstörung, Unfall oder Kindesmisshandlung?“ vermittelt im Eingangskapitel Basisinformationen zum Gerinnungssystem und verschiedenen Blutungsformen. Das darauffolgende Kapitel erläutert unter anderem, was unter Kindesmisshandlung zu verstehen ist und beschreibt das Leitsymptom „Blutung“ bei körperlicher Misshandlung, zu denen Haut- und Weichteilblutungen ebenso gehören wie Blutungen im Schädelinnern. Im Verlauf des Buches werden verschiedene Gerinnungsstörungen bei Kindern, wie zum Beispiel Hämophilie A und B oder das von-Willebrand-Syndrom einschließlich ihrer typischen Blutungssymptomatik erläutert. Im Falle einer unklaren, misshandlungsverdächtigen Blutungssymptomatik empfehlen die Autoren eine erweiterte Gerinnungsdiagnostik, welche im Rahmen eines Stufenschemas detailliert dargestellt wird, Die Autoren weisen darauf hin, dass auch Kinder mit einer Gerinnungsstörung misshandelt werden können, was bei der Bewertung sämtlicher Befunde unbedingt berücksichtigt werden muss.
Hintergrundinformation zur Kinderschutzgruppe am Uniklinikum Dresden
Woher stammen die blauen Flecken? Kann es ein Unfall gewesen sein, wie wird in einem solchen Fall mit den Eltern kommuniziert? Kann sich das Kleinkind beim Sturz von der Wickelkommode tatsächlich die Hämatome an dieser Stelle zugezogen haben? Soll ich als Arzt meine Schweigepflicht brechen und den Verdacht auf Misshandlung melden? Wenn ja, an wen? An das Jugendamt oder an die Polizei? – Die Kinderschutzgruppe des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden hilft Ärztinnen und Ärzten dabei, Symptome von Kindesmisshandlung zu erkennen und mit der konkreten Situation medizinisch wie rechtlich professionell umzugehen.
Der Verdacht auf Kindesmisshandlung wirft für Ärztinnen und Ärzte zahlreiche Fragen auf, die nicht alltäglich sind und von ihnen schwierige Entscheidungen verlangen, sowohl medizinisch-ethischer als auch juristischer Natur. Deshalb engagieren sich Mitarbeiter der Hochschulmedizin Dresden seit mehr als 20 Jahren für den Kinderschutz. Um diese Arbeit zu intensivieren, wurde 2011 eine Kinderschutzgruppe am Universitäts Kinder-Frauenzentrum des Dresdner Uniklinikums ins Leben gerufen. In diesem Rahmen schafft ein multiprofessionelles Team die Grundlage dafür, Kindeswohlgefährdungen frühzeitig zu erkennen und betroffenen Familien entsprechende Hilfsangebote zu unterbreiten. Das Jugendamt der Landeshauptstadt Dresden unterstützt diese Initiative von Anfang an und trägt unter anderem einen Teil der Personalkosten für mittlerweile zwei Sozialarbeiterinnen des Kinderschutzteams. Ein weiterer Förderer ist die Dresdner Kinderhilfe e,V. Weitere Informationen unter: http://kinderschutzgruppe-uniklinikum-dresden.de/

Publikation
Ralf Knöfler, Uwe Schmidt; Gerinnungsstörung, Unfall oder Misshandlung?: Diagnostische Differenzierung unklarer Blutungsbefunde bei Kindern; 1. Auflage 2018; Thieme Verlag, Stuttgart; ISBN: 978-3132427693
Dank der finanziellen Unterstützung der Firma Bayer können Ärzte das Buch auf der Internetseite www.faktorviii.de kostenfrei bestellen.
Ein Teil der Ergebnisse aus der Promotionsarbeit „Untersuchungen zur Abklärung der unklaren Blutungsneigung bei Kindern – Differenzierung zwischen Kindesmisshandlung und Gerinnungsstörung“ von Dr. Irmina Watzer-Herberth ist in diesem Buch erschienen.