Böser Bruder des Genom-Wächters fördert Darmkrebs – und kann gestoppt werden

Göttinger Forschungsgruppe entdeckt den Mechanismus der Tumorentwicklung durch mutiertes Protein p53 und möglicherweise einen neuen Therapieansatz beim kolorektalen Karzinom. Veröffentlicht in Cancer Cell.

(umg) Das Protein p53 hat ein positives Image als „Wächter des Genoms“. Es schützt vor der Entstehung von Krebs. Ist das Protein selbst durch Mutation verändert, kehrt sich seine Wirkung ins Gegenteil: Die häufigste Mutante des Tumorsuppressors p53 bei Darmkrebs, mutp53 R248Q/W, fördert das Wachstum und die Ausbreitung der Tumoren. Wie genau dieser „böse Bruder“ des Genom-Wächters vorgeht und wie er sich wieder ausschalten lässt, haben Grundlagenforscher der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) herausgefunden.

Der von Dr. Ramona Schulz-Heddergott gemeinsam mit Prof. Dr. Ute M. Moll geleiteten Arbeitsgruppe am Institut für Molekulare Onkologie der UMG ist es gelungen, den molekularen Mechanismus für die tumorfördernde Eigenschaft von mutp53 zu entschlüsseln. Dieser beruht auf einer Bindung und Deregulation des Regulationsfaktors Stat3 in Tumorzellen. Wurde mutp53 aus bereits entstandenen Tumoren entfernt, konnten Wachstum und Ausbreitung wiederum reduziert werden. Ihre Untersuchungen zeigen auch, dass der „böse Bruder“ des Genomwächters mutp53 durch Behandlung mit einem Hsp90-Inhibitor aus der Zelle entfernt werden kann. Dies könnte ein möglicher Ansatz für eine künftige Behandlung von Darmkrebs sein.

Unterstützt wurde das Forscherteam dabei durch Prof. Matthias Dobbelstein, Direktor des Instituts für Molekulare Onkologie, die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie und das Institut für Pathologie der UMG. Die Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Cancer Cell“ veröffentlicht.

FORSCHUNGSERGEBNISSE
In normalen Körperzellen wirkt p53 als wichtiger Tumorsuppressor: Er schützt uns vor der Entstehung von Krebs, indem er an verschiedenen Stellen in der Zelle über die korrekten Abläufe von DNA Replikation und Zellteilung wacht. In über der Hälfte aller menschlichen Tumorarten ist das Gen, aus dem das Protein p53 hergestellt wird, jedoch irreversibel verändert (mutiert). Fehlt der „Wächter“, können sich die Tumorzellen mit mutiertem p53 unablässig teilen und unkontrolliert ausbreiten.

Oft haben Tumorzellen nicht nur ihre Kontrollposten, wie p53, ausgeschaltet, son-dern produzieren zusätzlich noch andere Proteine, die die Tumorentwicklung fördern. So ist es auch bei Darmkrebszellen, die die Mutation R248Q im p53-Gen haben. Sie stellen nicht normales p53, sondern seinen „bösen Bruder“ mutp53 her.

Das mutierte Protein bringt selbst gefährliche Eigenschaften mit, die erheblich zum Wachstum und zur Ausbreitung des Tumors beitragen. Das sahen die Göttinger Wissenschaftler, als sie Darmkrebs (kolorektales Karzinom) in Mäusen mit mutp53 und in Mäusen, denen p53 komplett fehlte, miteinander verglichen: Mit mutp53 waren die Tumorherde im Darm noch häufiger und größer. „Wir haben daraus geschlossen, dass durch die Mutation in den untersuchten Darmkrebszellen nicht nur die ‚Wächterfunktion‘ von normalem p53 entfällt. Sein böser Bruder treibt zusätzlich das Tumorwachstum an“, sagt Dr. Ramona Schulz-Heddergott, Erstautorin der Publikation.

Doch was macht das Protein mutp53 genau in den Tumorzellen? Die Göttinger Forscher fanden heraus, dass mutp53 an den Transkriptionsfaktor Stat3 Proteine bindet und diese hyperaktiviert. Der Transkriptionsfaktor Stat3 (engl. signal trans-ducer and activator of transcription 3), fördert das Wachstum von Zellen. Wird der übliche Signalweg von Stat3 über das gesunde Maß hinaus verstärkt, führt dies zu unkontrolliertem Zellwachstum – typisch für Krebszellen. Experimente mit verschiedenen Darmkrebszellen zeigten zudem, dass sich Zellen mit der gefährlichen mutp53 Variante R248Q/W schneller ausbreiten und so andere Gewebe und Organe erreichen können.

Den bösen Bruder in die Schranken weisen
In einem eigens dafür entwickelten Mausmodell für Darmkrebs konnten die Forscher sehen, was passiert, wenn sie in den Mäusen das Gen von mutp53 einfach entfernen: Volumen des Tumors und dessen Ausbreitung gingen zurück. „Eine solche Methode, die zur Entfernung des Übeltäters direkt in die Gene eingreift, lässt sich allerdings nicht bei Patienten anwenden. Für eine Therapie braucht es vielmehr einen Wirkstoff, den man in Pillenform verabreichen oder spritzen könnte“, sagt Prof. Ute Moll, Letztautorin dieser Studie.

Auch einen möglichen Ansatz für eine anwendbare Therapie bei Menschen mit Darmkrebs fanden die Forscher: Das Protein p53 wird im Zellinneren durch ein Begleitprotein, ein sog. Chaperon stabilisiert: Hsp90 (engl. heat shock protein 90) verhindert den Abbau von mutp53. „Wenn wir Mäuse mit p53-Mutation und bereits entwickelten Tumoren im Darm mit einem Inhibitor für Hsp90 behandelten, wuchsen die Tumorherde nicht weiter, sondern schrumpften sogar“, sagt Ramona Schulz-Heddergott. „Über Hsp90 können wir also auch mutp53 angreifen.“ Ohne seinen Begleiter Hsp90, der mutp53 stabilisiert, wird der böse Bruder abgebaut und kann weniger Schaden anrichten.

Originalpublikation:
Ramona Schulz-Heddergott, Nadine Stark, Shelley J. Ed-munds, Jinyu Li, Lena-Christin Conradi, Hanibal Bohnenberger, Fatih Ceteci, Florian R. Greten, Matthias Dobbelstein, and Ute M. Moll. Therapeutic Ablation of Gain-of-Function Mutant p53 in Colorectal Cancer Inhibits Stat3-Mediated Tumor Growth and Invasion. Cancer Cell 34, 298–314, August 13, 2018. doi:10.1016/j.ccell.2018.07.004