Antiallergische Antihistamine zeigen keine überzeugende Wirkung bei Migräne

Original Titel:
Effect of the H1-antihistamine clemastine on PACAP38 induced migraine

MedWiss – Asthma und Migräne sowie allergische Reaktionen hängen in bisher noch kaum verstandener Weise zusamen. Gemeinsam ist ihnen, dass die Mastzellen in den Gehirnhäuten verstärkt Histamine ausschütten. Könnte man durch ein Allergie-Gegenmittel (ein Antihistamin) eine Migräne lindern? In einer Doppelblindstudie mit dem Antihistamin Clemastin fand sich keine messbare Linderung künstlich ausgelöster Migräneattacken. Die Forscher schließen daraus, dass eventuell die Histamine womöglich doch gar keine große Rolle bei einer Migräne spielen. Mittel gegen Allergien sind demnach bei Migräne wohl eher nicht wirksam.


Immer wieder gibt es Studien, die auf Zusammenhänge zwischen allergischen Reaktionen, Asthma und Migräne hinweisen. So wurde kürzlich ein erhöhtes Asthmarisiko für Menschen mit Migräne nachgewiesen. Auch gibt es häufiger Migräne-Fälle unter Asthma-Patienten, deren Asthma-Erkrankung nicht gut kontrolliert ist. Dies könnte also darauf deuten, dass Asthma eventuell eher ein Trigger, also Auslöser für Migräneattacken ist.

Die beiden Erkrankungen treffen sich aber auch auf neurologischer Ebene: spezielle Zellen der Körperabwehr, die Mastzellen in den Hirnhäuten, können Substanzen freisetzen, die Migräneschmerzen steigern. Manche Botenstoffe der Mastzellen sind wichtige Vermittler bei Entzündungen und Allergien (z. B. Histamine) und werden bei Asthma-Patienten eventuell stärker ausgesendet – die Gene für manche der Signalstoffe sind bei solchen Betroffenen hochreguliert. Asthma kann demnach auch die Grundlage für stärkere Migräneanfälle bieten.

Komplexes Zusammenspiel zwischen Allergie, Asthma und Migräne

Könnte man also durch Gegenmittel gegen manche dieser Botenstoffe auch eine Migräne behandeln? Interessant sind hierbei unter anderem die antiallergischen Antihistamine. Um zu ermitteln, ob damit eine Migräne gelindert werden kann, untersuchten Wissenschaftler Migräne-Patienten während künstlich ausgelöster Migräneattacken.

Die Untersuchung wurde im randomisierten Doppelblindverfahren mit Überkreuzung durchgeführt: die Teilnehmer wurden also zufällig erst einer, in einer späteren Studienphase einer anderen Behandlung zugewiesen. Welche Behandlung sie jeweils erhielten, war ihnen und den behandelnden Ärzten unbekannt. Als intravenös verabreichter Behandlungswirkstoff wurde das H1-Antihistamin Clemastin eingesetzt, als Scheinbehandlung erhielten die Teilnehmer Saline (Salzwasser mit der körpereigenen Salz-Konzentration). Im Anschluss an die Gabe der Behandlung oder der Scheinbehandlung erhielten die Teilnehmer das Migräne-auslösende Mittel PACAP38 (pituitary adenylate cyclase activating peptide-38).

Anschließend an die Infusion wurden über 90 Minuten alle 10 Minuten Migräne- und Kopfschmerz-Charakteristika aufgezeichnet. Gleichzeitig wurden Blutproben entnommen, um die Menge an Botenstoffen der Mastzellen zu ermitteln. Außerdem wurden vor und nach der Infusion mit dem Migräneauslöser Entzündungsmarker (die Substanz Tryptase und der Tumor-Nekrosefaktor TNF-alpha) gemessen.

Mastzellen-Signalstoffe, Entzündungswerte und Kopfschmerz bei künstlich ausgelöster Migräne mit und ohne Antihistamin

20 Patienten mit Migräne mit Aura wurden zur Teilnahme gewonnen. Nach der Vorbehandlung mit dem Antihistamin entwickelten 5 der 20 Teilnehmer eine Migräne-artige Attacke nach PACAP38-Infusion. Nach Vorbehandlung mit Saline, also einer Scheinbehandlung, entwickelten 9 der 20 Menschen einen Migräneanfall. Damit konnte kein überzeugender Unterschied festgestellt werden – der Effekt war statistisch nicht signifikant, Unterschiede in der Häufigkeit der Attacken könnten also auch reiner Zufall gewesen sein. Unterschieden sich aber die Symptome der Betroffenen ja nach Behandlung? Nach der Anthistamin-Behandlung litten 15 der 20 Migräne-Patienten unter Kopfschmerz nach der PACAP38-Infusion. Nach der Scheinbehandlung litten 19 von 20 Teilnehmern unter Kopfschmerzen. Auch hierbei war also ein Unterschied zu sehen, der aber zu gering ausfiel, um statistisch überzeugend zu sein. Ebenso war die Kopfschmerzstärke über 12 Stunden an den beiden Behandlungstagen (Antihistamin versus Placebo) nicht messbar unterschiedlich. Auch die Blutwerte, also Entzündungsmarker Tryptase und TNF-alpha, zeigten keine messbare Differenz zwischen einer Vorbehandlung mit Antihistaminen und der Schein-Vorbehandlung.

Kein Hinweis auf Wirksamkeit von Antihistamin bei PACAP38-ausgelöster Migräne

Demnach konnten die Forscher keine Wirkung des H1-Antihistamins Clemastin finden. Zumindest bei einer Migräneattacke, die durch die Substanz PACAP38 ausgelöst wird, scheint demnach ein antiallergisch wirkendes Antihistamin keine Hilfe zu sein. Die Forscher schließen daraus, dass eventuell die Histamine aus den Mastzellen womöglich doch gar keine große Rolle bei einer Migräne spielen. Eine frühere Übersichtsarbeit (Yuan und Silberstein, 2017 im Fachjournal Headache – The journal of head and face pain erschienen) kam zu einem etwas anderen Schluss: die Autoren vermuteten, dass weniger der Allergie-Histaminrezeptor H1, auf den Clemastin einwirkt, eine Bedeutung bei Migräne hat, sondern eventuell eher einer der anderen Rezeptoren wie z. B. H3. Dieser Histamin-Rezeptor wirkt interessanterweise selbstregulierend: kleine Mengen Histamin (und eben nicht Anti-Histamin) bringen ihn dazu, die Ausschüttung von Histamin zu senken. Damit wäre Clemastin wirkungslos, überspitzt betrachtet könnte aber stattdessen ein leichter Pollenflug eventuell die Migräne lindern. In diesem Forschungsbereich ist demnach noch mehr zum Thema Migräne zu erwarten, auch wenn die ersten Ansätze bisher eher enttäuschend waren.

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