Wirkstoff treibt Krebszellen in den Tod

Studie unter Beteiligung der Uni Bonn identifiziert einen ungewöhnlichen Wirkmechanismus gegen Lymphome

Forscher der Universität Bonn haben zusammen mit US-Kollegen einen ungewöhnlichen Mechanismus gegen Lymphome entdeckt. Sie nutzten dazu einen Wirkstoff, der bereits vor mehr als zehn Jahren an der Universität Bonn entdeckt wurde – ein so genanntes Aptamer. Das Molekül bindet an einen Proteinkomplex auf der Zelloberfläche. Dieser wird daraufhin in die Krebszelle aufgenommen und stört dort die Abschrift der Gene. Die Studie erscheint in der Zeitschrift Cell Chemical Biology.

Aptamere sind kurze Sequenzen aus der Erbsubstanz DNA oder der mit ihr verwandten RNA. Sie sind dazu in der Lage, sich sehr spezifisch an bestimmte Strukturen anzuheften. Das in der Studie genutzte Aptamer C10.36 bindet an die Oberfläche bestimmter Krebszellen, der so genannten Non-Hodgkin-Lymphome. „Sein genaues Ziel war aber bis dato unbekannt“, erklärt Prof. Dr. Günter Mayer vom LIMES-Institut der Universität Bonn. „Man wusste lediglich, dass es nach der Bindung in die Zelle aufgenommen wird und diese kurz darauf stirbt.“

Mayer hat zusammen mit Kollegen der US-Firma Caris Life Sciences nach der Ursache für diese Beobachtung gefahndet – mit Erfolg: Die Wissenschaftler konnten als Zielstruktur einen Komplex aus mindestens 13 Proteinen identifizieren. Überraschenderweise haben einige dieser Eiweiße die Fähigkeit, Genabschriften zu modifizieren. Bei diesem Vorgang werden die Abschriften zerstückelt, störende Teile entfernt und der Rest wieder zusammengeklebt. Dieser Mechanismus wird als „spleißen“ bezeichnet (englisch: splicing). Er ist immens wichtig: Eine Störung führt unter Umständen zum Tod der Zelle.

Tödliche „Verdauungsstörung“

Möglicherweise ist das auch der eigentliche Wirkmechanismus von C10.36: Wenn das Aptamer an den Proteinkomplex bindet, bleibt das von der Krebszelle nicht unbemerkt. Sie reagiert, indem sie den betroffenen Teil ihrer Membran nach innen stülpt und so den Wirkstoff zusammen mit den Spleiß-Proteinen in sich aufnimmt. Diese scheinen der Lymphomzelle aber wortwörtlich schwer im Magen zu liegen: „Wir vermuten, dass die aufgenommenen Proteine in den Spleiß-Vorgang eingreifen und ihn stören“, sagt Mayer. „Als Konsequenz stirbt die Zelle schließlich ab.“

Die Wissenschaftler haben untersucht, ob noch weitere Zellen den gefundenen Spleiß-Komplex auf ihrer Oberfläche tragen. „Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Non-Hodgkin-Lymphome“, erklärt Mayer. „Bei allen Typen, die wir untersucht haben, sind wir fündig geworden.“ Zudem zeigen Studien, dass es auch andere Krebserkrankungen gibt, die sich durch ähnliche Oberflächenproteine auszeichnen. Eventuell stößt die Arbeit also den Weg zu einer neuen Therapie-Option auf, die gegen eine ganze Reihe von Krebsarten wirkt.

Zunächst wollen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse aber erhärten. So wurde die Studie mit menschlichen Krebszellen durchgeführt, die seit vielen Jahren im Labor gezüchtet werden. In einem nächsten Schritt planen die Forscher, Zellen von Patienten zu nehmen und die Experimente damit zu wiederholen. „Außerdem interessiert uns, warum Lymphom-Zellen überhaupt Komplexe aus Spleiß-Proteinen auf ihrer Oberfläche tragen“, sagt Mayer. Eigentlich üben diese ihre Arbeit nämlich im Zellkern aus. „Vielleicht spielen sie eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung“, spekuliert der Biochemiker. „Welche genau, wissen wir aber noch nicht.“

Publikation: Sonal S. Tonapi, Vaishali Pannu, Janet E. Duncan, Matthew Rosenow, Anthony Helmstetter, Daniel Magee, Qing Zhang, Teresa T. Tinder, Melissa Richards, David D. Halbert, Michael Famulok, David Spetzler, Mark R. Miglarese, Heather A. O’Neill und Günter Mayer: Translocation of a cell surface spliceosomal complex induces alternative splicing events and lymphoma cell necrosis; Cell Chemical Biology; DOI: 10.1016/j.chembiol.2019.02.016

Bilder:
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Im Labor:
Prof. Dr. Günter Mayer vom Life & Medical Sciences Institut (LIMES) der Universität Bonn am Konfokalen Laser Scanning Mikroskop.
© Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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