RNA-Transport in Neuronen – Staufen2 erkennt seine Ziel-Transkripte auf komplexe Weise
Ein Wissenschaftlerteam des Helmholtz Zentrums München und der Universität Ulm hat entdeckt, dass der neuronale Transportfaktor Staufen2 auf viel komplexere Art als bisher bekannt seine Zieltranskripte abtastet und an sie bindet. Der RNA-Transport erfolgt in sehr komplexen Protein-RNA-Partikeln, deren Aufbau und Spezifität noch schlecht verstanden werden. Mit den jetzt im Journal Nature Communications veröffentlichten Erkenntnissen sind neue Ansätze zum besseren Verständnis möglich.
Staufen2 ist ein neuronales RNA-Bindeprotein, das während der Neurogenese eine wichtige Rolle bei der Differenzierung von neuralen Vorläuferzellen spielt. Hinzu kommt, dass es ein zentraler Faktor für den RNA-Transport zu Synapsen und damit wichtig für die synaptische Plastizität, die Grundlage von Gedächtnis und Erinnerungsbildung ist.
Das Wissenschaftsteam um Prof. Dr. Dierk Niessing, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Strukturbiologie (STB) am Helmholtz Zentrum München sowie Professor und Leiter des Instituts für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität Ulm, konnte zeigen, dass die RNA-bindenden Domänen (dsRBDs) 1 und 2 des mStau2-Proteins mit gleicher Affinität und Kinetik an mRNA bindet, wie die Domänen 3-4. Von Letzteren nahm man bisher an, dass sie allein für eine mRNA-Bindung ausreichend wären. Während die Bindung dieser sogenannten Tandem-Domänen eher flüchtig ist, erkennen alle vier RNA-Bindedomänen ihre Ziel-RNA mit hoher Stabilität.
Bisherige Studien legten nahe, dass nur zwei RNA-Bindedomänen in Staufen2, nämlich dsRBD 3 und 4, für die Bindung zuständig sind. Trotzdem gelang es bis jetzt nicht, die für den RNA-Transport notwendige stabile Bindung im Reagenzglas nachzustellen. „Dieses Problem ist nun gelöst“, sagt Niessing, „denn nun ist klar, dass dsRBDs 1 und 2 ebenfalls für eine stabile Bindung notwendig sind. Mit Hilfe verschiedener strukturbiologischer und biophysikalischen Techniken konnten wir das Verhalten von dsRBD 1 und 2 aufzeigen“. „Hier wurde ersichtlich, dass Staufen2 seine Ziel-RNAs auf viel komplexere Art als bisher angenommen erkennt“, fügt Dr. Simone Heber, Erstautorin des Artikels und Postdoc am STB, hinzu. „Staufen2 tastet seine Transskripte nämlich insgesamt mit vier RNA-Bindedomänen ab und bindet daran“. Die Studie erfolgte in enger Zusammenarbeit mit Prof. Michael Sattler, Direktor des STB und Leiter des NMR-Zentrums des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München sowie mit Dr. Anne Ephrussi, Head of Unit „Developmental Biology“ am EMBL Heidelberg.
Das Staufen2-Protein ist wichtig für die Bildung unserer Erinnerung und unseres Gedächtnisses. Dieser Vorgang ist bis heute nicht gut verstanden. In einer alternden Gesellschaft ist die Forschung zu diesem Thema von zentralem Interesse, da sie hilft, die molekularen Grundlagen und Prinzipien von Lernen und Erinnerung besser zu verstehen.
Das Projekt findet im Rahmen der DFG-geförderten Forschungsgruppe FOR2333 statt. Die erfolgreiche Finanzierung der Forschungsgruppe in der zweiten Förderperiode ist im März 2019 verkündet worden. Das Wissen über die Funktion von Staufen2 trägt erheblich zum allgemeinen Verständnis von RNA-Transport in höheren Organismen bei. Eine Funktion, die auch für die Stammzellforschung von großem Interesse ist. So kollaboriert das Wissenschaftsteam um Niessing auch mit Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Stammzellforschung (ISF).
Weitere Informationen:
Originalpublikation: Simone Heber et al. (2019): Staufen2-mediated RNA recognition and localization requires combinatorial action of multiple domains. Nature communications: DOI 10.1038/s41467-019-09655-3 https://www.nature.com/articles/s41467-019-09655-3
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.
Das Institut für Strukturbiologie (STB) erforscht die Raumstruktur biologischer Makromoleküle, analysiert deren Struktur und Dynamik und entwickelt NMR-spektroskopie Methoden für diese Untersuchungen. Ziel ist es, molekulare Mechanismen der biologischen Aktivität dieser Moleküle und ihre Beteiligung an Krankheiten aufzuklären. Die Strukturdaten werden als Grundlage für die rationale Entwicklung kleiner Molekülinhibitoren in Verbindung mit Ansätzen der chemischen Biologie angewandt.
Das Institut für Stammzellforschung (ISF) untersucht die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Stammzellerhaltung und -differenzierung. Daraus entwickelt das ISF Ansätze, um defekte Zelltypen zu ersetzen, entweder durch Aktivierung ruhender Stammzellen oder Neuprogrammierung anderer vorhandener Zelltypen zur Reparatur. Ziel dieser Ansätze ist die Neubildung von verletztem, krankhaft verändertem oder zugrunde gegangenem Gewebe.