Earth Day 2019: „Viren können eine gesamte Population in kurzer Zeit verändern“
Interview mit Guy Reeves zur Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Natur
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zeigt mit seinem alljährlichen Bericht „Environment Frontiers“ auf, welche Herausforderungen die natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten künftig maßgeblich mitbestimmen werden. „Synthetische Biologie: Neugestaltung unserer Umwelt“ nennen die Autoren eine der großen Herausforderungen der Zukunft in ihrem Report 2018/2019. Dabei verändern Wissenschaftler das Erbgut von Organismen und verleihen diesen dadurch Eigenschaften, die für den Menschen nützlich sind.
Guy Reeves beschäftigt sich unter anderem mit den Folgen der Freisetzung genetisch veränderter Organismen für die Umwelt.
Dank neuer Techniken wie der Genschere Crispr/Cas9 und des sogenannten Gene Drive können Forscher das Erbgut sehr viel schneller verändern und diese Veränderungen in kurzer Zeit selbst in großen Populationien verbreiten. Im Labor werden genetisch veränderte Organismen schon seit einiger Zeit erfolgreich eingesetzt, zum Beispiel in der Grundlagenforschung oder der Produktion von Medikamenten. Nun sollen genetisch veränderte Organismen auch in die Natur entlassen werden. Guy Reeves vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön sieht vor allem die Freisetzung genetisch veränderter infektiöser Viren mit Sorge.
Wie beurteilen Sie die verschiedenen Projekte, bei denen Wissenschaftler oder Unternehmen genetisch veränderte Organismen freisetzen möchten?
Was mich besonders besorgt, ist die Freisetzung infektiöser gentechnisch veränderter Viren, die zur Manipulation des Immunsystems von Säugetieren entwickelt wurden. Gentechnisch veränderte Viren dieser Art wurden bereits entwickelt, um Säugetiere immun gegen Krankheiten zu machen oder zu sterilisieren. Ein gentechnisch verändertes Virus, das sich in Wildkaninchenpopulationen ausbreitet, um dann gegen zwei Krankheiten immun zu machen, wurde im Jahr 2000 auf den spanischen Balearen getestet. Ein weiteres Virus, das dazu bestimmt ist, Mäuse zu sterilisieren, soll seit 2003 für Feldversuche in Australien bereit sein.
Ein weiteres Beispiel ist ein Forschungsprogramm, das derzeit bei der Forschungsagentur DARPA des US-Verteidigungsministeriums läuft, in dem Insekten zur Übertragung gentechnisch veränderter Viren auf Mais- und Tomatenpflanzen eingesetzt werden. Derzeit finden die Experimente noch in sicheren Gewächshäusern statt.
Während Viren Patienten und Wissenschaftlern in Krankenhäusern und im Labor bereits sehr geholfen haben, erfordern Techniken, die genetisch veränderte Viren absichtlich in die Umwelt entlassen, eine sehr sorgfältige Prüfung. Obwohl diese Technologien schon weit gediehen sind, stehen wir bei ihrer Prüfung immer noch ganz am Anfang.
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Kaum ein anderes biologisches System kann sich so schnell auf eine komplette Population auswirken – nämlich schon innerhalb einer einzigen Generation. Im Vergleich dazu ist der zurzeit viel diskutierte „Gene Drive“ eine Schnecke. Hinzu kommt, dass das Wirtsspektrum eines Virus sehr breit sein kann. Es lässt sich also mitunter nur schwer vorhersagen, welche Arten ein Virus infizieren kann.
Lehnen Sie die Freisetzung genetisch veränderter Organismen in jedem Fall ab, wenn es sich nicht um landwirtschaftliche Nutzpflanzen handelt?
Nein, überhaupt nicht. Es geht nicht darum, neue Technologien zu verhindern. Wir müssen jedoch vorsichtig sein und den potenziellen Nutzen gegen die Risiken abwägen. Deshalb sollte besonders die Freisetzung infektiöser genetisch veränderter Organismen nur nach sorgfältiger Prüfung erfolgen. Zudem halte ich es in den meisten Fällen nicht für sinnvoll, Viren mit schwer kontrollierbaren Risiken einzusetzen, wenn es alternative Techniken gibt, mit denen man die gleichen Ziele erreichen kann.
Sie haben den sogenannten „Gene Drive“ schon angesprochen. Damit kann man erreichen, dass sich ein Gen viel schneller in einer Population ausbreitet als normal. Ein Gen für Unfruchtbarkeit soll so innerhalb kurzer Zeit Moskitos ausrotten und so die Übertragung von Malaria verhindern. Was ist denn falsch daran, Mücken auszurotten?
Gene Drive ist wie gesagt gar nicht so schnell wie viele Menschen glauben. Selbst bei einem Tier mit einer so kurzen Generationszeit wie einer Mücke würde es selbst unter idealen Bedingungen möglicherweise acht Jahre oder länger dauern, bis eine Population durch Gene Drive fortpflanzungsunfähig werden würde. Außerdem haben wir durch unsere Erfahrungen mit Insektenvernichtungsmitteln gelernt, wie schnell sich Insekten anpassen können, wenn der Selektionsdruck nur hoch genug ist. Und eine Resistenz gegen ein Unfruchtbarkeitsgen ist wie ein Sechser im Lotto.
Ich bin sicher, dass sich große Insekten-Populationen an solch einen Gene Drive anpassen und ihn ausschalten werden. Die Moskitos werden sich so folglich auf diese Weise sehr wahrscheinlich nicht ausrotten lassen.
Reichen die derzeitigen Gesetze aus, mit denen solche Versuche geregelt sind?
Die Herausforderung, vor der die Regulierungsbehörden stehen, ist gewaltig. Sie müssen ungeheuer komplexe mathematische Modelle berücksichtigen – eine Aufgabe, die schon für gut ausgestattete Behörden in Industriestaaten schwierig zu bewältigen ist. Viele der angedachten Projekte werden aber Schwellenländer betreffen, die dafür überhaupt nicht gerüstet sind. Und natürlich halten sich Viren und Insekten nicht an Ländergrenzen.
Das Gespräch führte Harald Rösch