Forscher finden Gen für Harnröhrenverengung
Studie der Universität Bonn zeigt, dass BNC2 an LUTO beteiligt ist
Bereits vor der Geburt kann es durch eine verengte Harnröhre zu verschiedenen Problemen beim ungeborenen Kind kommen, von recht milden Beschwerden beim Wasserlassen bis hin zum Nierenversagen. Diese sehr unterschiedlich ausgeprägte Erkrankung wird LUTO (lower urinary tract obstruction) genannt. Vor allem Jungen sind betroffen. Ein internationales Forscherteam hat unter Federführung der Universität Bonn das erste Gen entdeckt, das an der seltenen Erkrankung beteiligt ist. Die Ergebnisse sind nun im „American Journal of Human Genetics“ veröffentlicht. ACHTUNG SPERRFRIST: Nicht vor Donnerstag, 2. Mai, 17 Uhr MESZ veröffentlichen!
„Der durch die Verengung der Harnröhre ausgelöste Harnstau kann im schlimmsten Fall vorgeburtlich zu einer Nieren- und Lungenschädigung führen“, sagt Dr. Alina Hilger vom Zentrum für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Der Harnstau führt dazu, dass zu wenig Fruchtwasser vorliegt – die Flüssigkeit ist aber erforderlich, damit sich die Lunge in der Fruchtblase richtig ausbildet. Hilger: „Mit einem chirurgischen Eingriff noch im Mutterleib kann der Fötus aber gerettet werden.“ Dieser komplizierte und selten durchgeführte Eingriff wird von Prof. Christoph Berg in der Universitätsfrauenklinik Bonn durchgeführt.
LUTO tritt vergleichsweise selten auf, nur in etwa drei von 10.000 Schwangerschaften. Die wenigen Fälle zeigen aber eine gelegentliche familiäre Häufung und scheinen daher vererblich zu sein. Bislang war aber noch kein Gen bekannt, dass ursächlich mit der Erkrankung und deren Vererbung in Zusammenhang gebracht wurde. Ein internationales Forscherteam aus Deutschland, den Niederlanden, England, den USA und Polen hat nun unter der Federführung von Kinderärzten, Anatomen und Humangenetikern des Universitätsklinikums Bonn nach den genetischen Grundlagen der Erkrankung gefahndet.
Unterschiedliche Varianten des BNC2-Gens
Die Wissenschaftler verglichen das Erbgut von vier Patienten, die über drei Generationen hinweg in unterschiedlicher Ausprägung an LUTO erkrankt waren, mit dem von gesunden Menschen. Dabei ergaben sich Hinweise auf Mutationen des Gens „BNC2“. Daraufhin weiteten die Forscher die Untersuchung um 697 LUTO-Patienten aus und förderten bei diesen drei weitere Varianten des BNC2-Gens zutage. BNC2 kodiert das Protein „Basonuclin 2“, das vermutlich im Zellkern an der Verarbeitung von bestimmten RNAs beteiligt ist. „Wo die gefundenen Mutationen genau in einen biologischen Mechanismus eingreifen, der letztlich zu einer angeborenen Verengung der Harnröhre führt, ist aber weiterhin unbekannt“, sagt Erstautorin Caroline Kolvenbach vom UKB.
Ihre Erkenntnisse überprüften die Forscher an Zebrafischen. „Es handelt sich dabei um ein gut eingeführtes Tiermodell“, berichtet Prof. Dr. Benjamin Odermatt vom Anatomischen Institut des Universitätsklinikums Bonn. Die Fische vermehren sich rasch, weshalb man schnell zu Ergebnissen kommt. Außerdem sind sie im Larvenstadium durchsichtig und lassen sich deshalb leicht auf anatomische Besonderheiten durchleuchten.
Zunächst schalteten die Wissenschaftler das BNC2-Gen in Zebrafischen stumm. Daraufhin entwickelten die Zebrafischlarven eine Verengung ihres Harnausflusstraktes. In einem weiteren Schritt übertrugen die Forscher eine intakte menschliche BNC2-Kopie in die manipulierten Fischembryonen. In der Folge kam es bei diesen Fischen dann wieder deutlich seltener zu einer Fehlentwicklung des Harntraktes. Die in den Familien gefundenen veränderten beziehungsweise mutierten BNC2-Kopien konnten diese Fehlbildungen jedoch nicht verhindern. „Diese Experimente zeigen, dass diese von uns gefundenen Varianten beziehungsweise Mutationen in BNC2 tatsächlich für LUTO verantwortlich sind“, sagt der zweite Erstautor Dr. Gabriel Dworschak vom UKB.
Neue Perspektiven für die genetische Beratung
Damit hat das Wissenschaftlerteam das erste Gen entdeckt, das mit LUTO in Zusammenhang steht. „Wir haben damit gleichzeitig bewiesen, dass LUTO genetisch bedingt ist“, sagt Dr. Alina Hilger. „Dies eröffnet auch neue Perspektiven für die genetische Beratung betroffener Eltern.“ Da viele Kinder mit LUTO eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion haben, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass nicht nur der Harnaufstau, sondern auch der genetische Defekt an sich die Funktion der Nieren beeinträchtigt. Durch die Erkenntnis der genetischen Ursachen erhoffen sich die Wissenschaftler langfristig, hier einen Ansatz für eine ursächliche Therapie für die Nierenfunktionsstörung bei LUTO-Kindern zu finden.
Publikation: Caroline M. Kolvenbach, Gabriel C. Dworschak, Sandra Frese, Anna S. Japp, Peggy Schuster, Nina Wenzlitschke, Öznur Yilmaz, Filipa M. Lopes, Alexey Pryalukhin, Luca Schierbaum, Loes F.M. van der Zanden, Franziska Kause, Ronen Schneider, Katarzyna Taranta-Janusz, Maria Szczepanska, Krzysztof Pawlaczyk, William G. Newman, Glenda M. Beaman, Helen M. Stuart, Raimondo M. Cervellione, Wouter F.J. Feitz, Iris A.L.M. van Rooij, Michiel F. Schreuder, Martijn Steffens, Stefanie Weber, Waltraut M. Merz, Markus Feldkötter, Bernd Hoppe, Holger Thiele, Janine Altmüller, Christoph Berg, Glen Kristiansen, Michael Ludwig, Heiko Reutter, Adrian S. Woolf, Friedhelm Hildebrandt, Phillip Grote, Marcin Zaniew, Benjamin Odermatt, Alina C. Hilger: Rare Variants in BNC2 are Implicated in Autosomal Dominant Congenital Lower Urinary Tract Obstruction, The American Journal of Human Genetics, DOI: 10.1016/j.ajhg.2019.03.023
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Das Team (von links):
Doktorandin Caroline Kolvenbach, Dr. med. Alina Hilger, Prof. Dr. rer. nat. Benjamin Odermatt und Dr. med. Gabriel Dworschak.
© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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