Wie bleiben Patienten der Therapie treu?
In einer vom BMBF geförderten Nachwuchsgruppe erforscht der Geriater und Neurologe PD Dr. Tino Prell am Universitätsklinikum Jena, in welchem Maß ältere neurologische Patienten in der Klinik und nach der Entlassung die vereinbarten Therapieempfehlungen einhalten und wodurch sich die Therapietreue verbessern lässt.
Das Mittel vertrage ich nicht, die Tablette habe ich vergessen, ich weiß gar nicht, wozu die Salbe gut sein soll – aus den verschiedensten Gründen und erstaunlich oft können oder wollen sich Patienten nicht an die mit ihrem Arzt abgesprochenen Behandlungsmaßnahmen halten. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass nur etwa die Hälfte der chronisch kranken Patienten in Industrieländern die Therapieempfehlungen konsequent einhält. Dies ist besonders bei älteren Patienten, die wegen mehrerer Erkrankungen auch zahlreiche Medikamente bekommen, ein großes Versorgungsproblem. Diese mangelnde Adhärenz, so die Fachbezeichnung für die Befolgung des Therapieplans, verursacht enorme Kosten und kann zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder gar zum Tode führen.
In einem zweistufigen Forschungsprojekt untersucht eine Forschungsgruppe am Universitätsklinikum Jena jetzt allgemeine und krankheitsspezifische Faktoren, die zu einer Abweichung vom Therapieplan führen, und welche Maßnahmen die Adhärenz verbessern können. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Nachwuchsgruppe an der Klinik für Neurologie leitet PD Dr. Tino Prell: „Für die wachsende Gruppe der geriatrischen Patienten mit einer neurologischen Grunderkrankung wie Parkinson, Schlaganfall oder einer Demenz liegen bislang kaum umfangreiche Daten zur Adhärenz vor. Deshalb bitten wir diese Patienten auf unserer Station zunächst, an einer umfassenden Beobachtungsstudie teilzunehmen.“
Sektorenübergreifende Beobachtungsstudie zur Adhärenz
Dazu werden die Patienten während des stationären Aufenthalts nach persönlichen Gründen für das Nichteinhalten von Therapieempfehlungen, das als Non-Adhärenz bezeichnet wird, befragt. Um der besonderen Struktur des deutschen Gesundheitssystems gerecht zu werden, erfolgt einen Monat nach Entlassung ein Telefoninterview, in dem u.a. die Gründe für Veränderungen der Medikation im ambulanten Bereich eruiert werden. Dieses Telefoninterview wird nach zwölf Monaten wiederholt, ergänzt um standardisierte Befragungen zur Lebensqualität und zur Adhärenz. Zusammen mit umfangreichen krankheitsspezifischen Daten kann so das komplexe Phänomen der Non-Adhärenz näher charakterisiert und verstanden werden.
Basierend auf diesen Daten sollen im zweiten Abschnitt des Projekts Maßnahmen entwickelt werden, die die Therapietreue verbessern können. „Die jeweiligen individuellen Gründe für Non-Adhärenz müssen berücksichtigt werden. Wer seine Medikamente häufig vergisst, dem kann am ehesten durch Verhaltensstrategien geholfen werden. Für Patienten, denen nicht ausreichend erklärt wurde, warum sie ein Medikament nehmen sollen, ist eine Verhaltensintervention sicherlich weniger nützlich. Hier sind andere Strategien notwendig“, nennt Tino Prell als Beispiel.
Niedergelassene Ärzte einbezogen in Test der Interventionen
Der zweite Projektteil überprüft dann die Wirksamkeit dieser Maßnahmen in einer kontrollierten Interventionsstudie. Dafür setzen die Jenaer Neurologen auch auf die Unterstützung ihrer Kollegen in den Arztpraxen. Der Studienarzt kontaktiert die niedergelassenen Ärzte vor der Entlassung des Patienten, um dessen aktuelle Situation, das Therapiekonzept und eventuelle Probleme zu besprechen. So können die in der Klinik mit Gesprächen und krankheitsspezifischen Informationen begonnenen Maßnahmen in der ambulanten Betreuung fortgesetzt werden. Nach zwölf Monaten erfragt das Studienteam dann wieder die Adhärenz und die Lebensqualität des Patienten.
Insgesamt 1000 Patienten will die Nachwuchsgruppe am Jenaer Uniklinikum in ihre Untersuchung aufnehmen, für die fünf Jahre veranschlagt sind. Ihr Ziel ist es, spezifische Interventionen zu etablieren, die die Adhärenz von neurogeriatrischen Patientinnen und Patienten verbessert. Tino Prell: „Damit wollen wir dazu beitragen, die Lebensqualität dieser Patienten zu steigern, unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, Pflegebedürftigkeit zu reduzieren und Kosten für das Gesundheitssystem zu senken.“