Handeln, bevor Schmerzen chronisch werden
Modellprojekt „PAIN2020“ soll Betroffenen von chronischen Schmerzen zu mehr Lebensqualität verhelfen
Für Patientinnen und Patienten mit einem Risiko für das Entstehen chronischer Schmerzen etablieren die Deutsche Schmerzgesellschaft und die BARMER eine neue Versorgungsform. Partner in Thüringen sind bislang das Universitätsklinikum Jena und die Zentralklinik Bad Berka. Auch das Asklepios Fachklinikum Stadtroda beabsichtigt eine Teilnahme. Ziel des Modellprojekts „PAIN2020“ ist es, Betroffene vor einer Chronifizierung ihrer Schmerzen zu bewahren und ihnen somit zu mehr Lebensqualität zu verhelfen.
„Mit PAIN2020 wird es eine neue, strukturierte und fachübergreifende Herangehensweise in der Behandlung von Patienten mit Schmerzen geben. Durch die neue Versorgungsform wird frühzeitig und sektorenübergreifend die am besten geeignete Therapieempfehlung aufgezeigt, damit Schmerzen erst gar nicht chronisch werden“, verdeutlicht Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Thüringen.
Individuell zugeschnittene Therapie statt Ärzte-Odyssee
Die an der Diagnostik und an der Therapie beteiligten Berufsgruppen (Fachärzte, Physiotherapeuten und Psychotherapeuten) arbeiten frühzeitig eng zusammen. Zentrales Element ist die umfassende Untersuchung der Betroffenen in Form einer interdisziplinären multimodalen Bewertung durch Ärzte, Psychologen und Physiotherapeuten. Dies geschieht, je nach Wohnort und Entscheidung der Patienten sowie nach Empfehlung der niedergelassenen Ärzte, entweder an der Zentralklinik Bad Berka, am Uniklinikum Jena oder perspektivisch auch am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Auf Basis der jeweiligen Befunde werden auf die Patienten zugeschnittene Therapien empfohlen. Das Team informiert und berät die Patienten, welche Therapie beim Hausarzt, beim Facharzt, ambulant, stationär oder in einer Tagesklinik am besten geeignet ist.
„Ehe Betroffene den Weg in eine Schmerzambulanz oder eine Schmerzpraxis finden, vergehen oft viele Jahre, in denen sie eine Vielzahl meist erfolgloser Behandlungen erhalten. Viele Patienten erleben bislang eine wahre Ärzte-Odyssee, bis ihnen geholfen werden kann“, sagt apl. Prof. Winfried Meißner, Leiter der Sektion Schmerztherapie am Uniklinikum Jena. Durch die Vernetzung zwischen verschiedenen medizinischen Fachgebieten im Rahmen von „PAIN2020“ soll dies ein Ende haben.
Auch Dr. Johannes Lutz, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schmerztherapie an der Zentralklinik Bad Berka, ist vom Konzept des Projekts überzeugt: „Ein Leben mit ständigen Schmerzen muss nicht sein. Eine frühe interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung von Patienten mit Schmerzen, kann vielen Menschen zu mehr Lebensqualität verhelfen.“
Lob für das Projekt kommt außerdem von der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen: „Eine interdisziplinär erarbeitete ganzheitliche Therapie erleichtert die Weiterbehandlung von Schmerzpatienten beim Haus- oder Facharzt. Gleichzeitig erhält der weiterbehandelnde Arzt einen Ansprechpartner für später auftretende Fragen“, sagt die 1. Vorsitzende des Vorstandes, Dr. med. Annette Rommel.
Schmerz-Patient ist nicht gleich Schmerz-Patient
Neben der schmerzmedizinisch fundierten Diagnostik von Risikofaktoren für das Entstehen von chronischen Schmerzen bietet „PAIN2020“ ergänzend zur Regelversorgung zwei ambulante Therapien an. Je nach Krankheitsbild der Patienten handelt es sich entweder um eine einmalige Schulung mit Informationen zur Erkrankung und zu Methoden der Schmerzbewältigung, oder um eine umfangreichere begleitende Schmerztherapie mit 30 Stunden, verteilt über zehn Wochen.
Bei „PAIN2020“ geht es insbesondere auch darum, Betroffene im Umgang mit ihrer Erkrankung besser zu schulen und sie in die Therapie-Entscheidung einzubeziehen. Daher auch die umfassende Untersuchung der Patientinnen und Patienten in Form des interdisziplinären multimodalen Assessments.
Dabei gelten verschiedene Kriterien, anhand derer die Vertreter der beteiligten Berufsgruppen feststellen können, ob bei den jeweiligen Patienten das Risiko einer chronischen Schmerzerkrankung besteht und sie somit für die innovative Versorgungsform infrage kommen. Zielgruppe sind Menschen mit Schmerzen über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen oder wiederkehrendem Schmerz trotz einer fachspezifischen Behandlung, deren Lebensqualität durch den Schmerz eingeschränkt ist, allerdings keine Chronifizierung diagnostiziert ist. Weiteres Kriterium kann eine aktuelle, seit vier Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise Arbeitsunfähigkeit von mindestens sechs Wochen in den zurückliegenden zwölf Monaten sein.
- Das Projekt „PAIN2020“ wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit sieben Millionen Euro gefördert. Es läuft zunächst über drei Jahre. Im Anschluss werden die Ergebnisse evaluiert und in einem Schlussbericht bis zum Jahr 2021 zusammengefasst.
- Das Projekt wendet sich an BARMER-Versicherte ab einem Lebensalter von 18 Jahren mit schmerzbedingten Einschränkungen, die zwar länger als sechs Wochen bestehen bzw. in kürzeren Phasen innerhalb der vergangenen beiden Jahre aufgetreten, aber noch nicht chronifiziert sind.
- In Thüringen leiden mehr als 100.000 Menschen unter chronischen Schmerzen. Das Projekt „PAIN2020” untersucht, ob ein neuer Behandlungsansatz womöglich verhindern kann, dass die Leiden betroffener Schmerzpatienten chronisch werden. PAIN (Patientenorientiert. Abgestuft. Interdisziplinär. Netzwerk.) steht für eine neue, strukturierte und fachübergreifende Herangehensweise.
- Schmerzen können als Warnsignal auf gesundheitliche Probleme aufmerksam machen, als länger andauernde Schmerzzustände das Wohlbefinden und die Lebensqualität beeinträchtigen oder sich zu eigenständigen Krankheitsbildern oder Schmerzsyndromen entwickeln. Mit der neuen Art der Versorgung im Rahmen des Modellprojekts soll dies besser gelingen.
- pain2020.de