Form ist die neue Farbe: Selbst-zusammenbauende Nanopartikel markieren Zellen im Elektronenmikroskop
Forschende des Helmholtz Zentrums München haben eine Methode entwickelt, mit der sie die Genexpression von Zellen unter dem Elektronenmikroskop sichtbar machen. Obwohl die Elektronenmikroskopie derzeit den genauesten Einblick in Zellen bietet, konnte sie bisher nicht unterscheiden, welche genetischen Programme in den zellulären Bausteinen des Lebens ablaufen. Exaktere Details bildet nun die in ‚ACS Nano‘ vorgestellte Methode ab, bei der genetisch programmierte Nanokugeln unterschiedlicher Größe als mehrfarbige Marker verwendet werden. Dies könnte sogar dabei helfen zu untersuchen, wie Erinnerungen in neuronalen Netzwerken gespeichert werden.
Was genau passiert in Zellen? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Um kleinste Strukturen zu markieren, setzen sie fluoreszierende Proteine ein. Das Verfahren funktioniert gut, hat aber Nachteile aufgrund der relativ schlechten Auflösung von Lichtmikroskopen. Elektronenmikroskope erlauben zwar einen genaueren Blick, „für diese Technologie gibt es aber bisher kaum Möglichkeiten der mehrfarbigen, genetischen Markierung von Zellen, so dass man sie eindeutig auseinanderhalten kann“, sagt Prof. Dr. Gil Gregor Westmeyer. Er leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Biologische und Medizinische Bildgebung (IBMI) des Helmholtz Zentrums München und ist Professor für Molekulare Bildgebung an der Technischen Universität München (TUM).
Nanokompartimente als mehrfarbige Markierung im Elektronenmikroskop
Westmeyer und Kollegen* arbeiten schon länger mit sogenannten Enkapsulinen**. Das sind kleine, ungiftige Proteine aus Bakterien. Enkapsuline bilden selbstständig Nanokompartimente in deren geschlossenem Innenraum eigene chemische Reaktionen ablaufen können, so dass der Stoffwechsel der Zelle nicht gestört wird. Je nach Versuchsbedingungen entstehen innerhalb lebender Zellen durch genetische Modifikation Nanokugeln mit unterschiedlichem Durchmesser. „Analog zur Farbigkeit in der Fluoreszenzmikroskopie wird bei unserem Verfahren die Geometrie zum Marker für die Elektronenmikroskopie“, ergänzt Felix Sigmund aus Westmeyer‘s Arbeitsgruppe.
Um einen starken Kontrast in elektronenmikroskopischen Aufnahmen zu erreichen, nutzen die Forscher das Enzym Ferroxidase, das in das Innere der Enkapsuline eingeschlossen werden kann. Gelangen Eisenionen durch Poren der Nanokompartimente ins Innere, oxidiert das Enzym zweiwertige Eisenionen in die dreiwertige Form. Dabei entstehen schwerlösliche Verbindungen, die im Inneren bleiben. Metalle erzeugen gute Kontraste, da sie Elektronen „schlucken“ – vergleichbar mit dichten Knochen im Röntgenbild, die Röntgenstrahlung besser absorbieren. Diese besondere Materialeigenschaft der Enkapsuline macht sie in den Aufnahmen sehr gut sichtbar.
Neuronalen Netzwerken auf der Spur
Mit ihrem neuen Verfahren wollen die Forscher jetzt auch neuronale Schaltkreise untersuchen. Trotz der beeindruckenden Auflösung der Elektronenmikroskopie kann sie bestimmte Arten von Neuronen im Gehirn nicht zuverlässig unterscheiden. „Mit unseren neuen Reportergenen könnten wir Zellen genetisch individuell markieren und dann auslesen, welcher Nervenzelltyp welche Verknüpfungen macht und in welchem Zustand sich die Zellen befinden“, ergänzt Westmeyer. Diese neue Technologie könnte daher auch helfen, den Schaltplan von Gehirnen aufzudecken und genauer zu untersuchen, wie Erinnerungen in neuronalen Netzen abgelegt werden.
Weitere Informationen
* An dem Projekt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München, der Technischen Universität München (TUM), des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der Universität Tübingen, des Max Planck Instituts für Neurobiologie sowie der Lomonosov Moscow State University beteiligt.
** Sigmund et al.: „Bacterial encapsulins as orthogonal compartments for mammalian cell engineering“, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-018-04227-3
Originalpublikation:
Sigmund, Pettinger, Jube et al.:”Iron-sequestering nanocompartments as multiplexed Electron Microscopy gene reporters, ACS Nano, DOI: 10.1021/acsnano.9b03140
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