Bessere klinische Diagnostik – Neue Hinweise auf strukturelle Gehirnveränderungen beim Coffin-Siris-Syndrom

Das Coffin-Siris-Syndrom ist eine wenig bekannte und vermutlich viel zu selten diagnostizierte Entwicklungsstörung beim Menschen. Professorin Ulrike Nuber von der TU Darmstadt hat anhand eines Mausmodells gezeigt, welche strukturellen Veränderungen bei dieser Entwicklungsstörung im Gehirn möglich sind und zusammen mit klinischen Kollegen nachgewiesen, dass solche Veränderungen auch tatsächlich bei den Betroffenen vorhanden sind, und zwar in unterschiedlichem Ausmaß.

Das von dem Forschungsteam erarbeitete Wissen wird helfen, die klinische Diagnosestellung zu verbessern und liefert möglicherweise Ansatzpunkte für eine Behandlung. Die Ergebnisse sind soeben in ”Nature Communication” veröffentlicht worden.

Nuber, die Professorin für Stammzell- und Entwicklungsbiologie an der TU Darmstadt ist, wollte mit dem Mausmodell klären, was genau passiert, wenn ein Gen verändert wird, dessen Proteinprodukt zu einem Komplex gehört, der die DNA für das Ablesen der Gene freiräumt. Es war bekannt, dass Mutationen in diesem Gen zu Krebs und Entwicklungsstörungen führen können. Nuber und ihr Team beobachteten, dass Mäuse, bei denen die Aktivität des SMARCB1-Gens in Gehirnstammzellen gedrosselt ist, markante Veränderungen im Gehirn zeigten.

Zu einem war das Gehirn der Tiere viel zu klein, zum anderen zeigte es auffällige Mittelliniendefekte. Bei vielen Mäusen waren etwa die Nervenfasern, die rechte und linke Gehirnhälfte miteinander verbinden, unterentwickelt oder fehlten ganz. Viele Mäuse hatten zudem krankhafte Veränderungen im Kleinhirn und in der Mitte des Vorderhirns. Außerdem war die Struktur, welche die Gehirnflüssigkeit produziert, zu groß.

Da SMARCB1-Mutationen bereits als krankheitsverursachende Veränderung beim Coffin-Siris-Syndrom bekannt sind, bat Nuber Professor Dagmar Wieczorek und Dr. Jörg Schaper vom Universitätsklinikum Düsseldorf die MRT-Scans von Betroffenen noch einmal mit Blick auf die neuen Erkenntnisse auszuwerten. Die beiden kontaktierten weitere Humangenetiker am Universitätsklinikum Hamburg sowie Kollegen in Polen und Holland. Die detaillierte Analyse zeigte dann, dass die Betroffenen ein ähnliches Spektrum an strukturellen Veränderungen aufweisen, was in diesem Ausmaß vorher nicht bekannt gewesen ist. „Durch die Erkenntnisse aus dem Mausmodell wissen die Ärzte nun, nach was sie auf den MRT-Scans genau suchen müssen“, kommentiert Nuber ihre Ergebnisse. „Das ist ein ganz wichtiges Zusatzwissen für die Diagnostik“.
Die Stammzellforscherin sieht in den Mäusen mit der gedrosselten Aktivität des SMARCB1-Gens auch ein wichtiges Tiermodell, um mögliche Therapieansätze zu testen. Ein Ansatz könnte sein, die Nervenzelldefekte zu korrigieren“.

Hintergrundinformation: Das Coffin-Siris-Syndrom
Das Syndrom ist eine komplexe Entwicklungsstörung mit unterschiedlichen Symptomen und verschiedenen zugrundeliegenden genetischen Veränderungen, die spontan auftreten. Typisch sind eine generelle Verzögerung der Entwicklung, eine Minderung der Intelligenz und ein reduziertes Sprachvermögen. Die Betroffenen zeigen auch körperliche Auffälligkeiten: Sie sind klein, haben unter anderen dichte Augenbraunen, einen breiten Nasenrücken, tief angesetzte Ohren, einen breiten Mund und charakteristische Veränderungen an den Finger- und Zehennägeln. Viele Betroffene leiden auch unter Epilepsie, haben Augen- oder Herzprobleme oder andere organische Symptome. Die Krankheit gilt als selten, obwohl heute viele Ärzte der Ansicht sind, dass es weitaus mehr Betroffene gibt, deren Symptome aber nicht dem Coffin-Siris-Syndrom zugerechnet werden.

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MI-Nr. 53/2019, Hildegard Kaulen

Originalpublikation:

doi.org/10.1038/s41467-019-10849-y