Chronische Darmentzündung: Stoffwechsel von Darmbakterien hilft Behandlungserfolg vorherzusagen
Mitglieder des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) haben einen neuen Ansatz für eine personalisierte Medizin bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gefunden.
Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, leiden unter chronischem Durchfall, Fieber und Schmerzen sowie psychischen Belastungen. In Deutschland sind rund 320.000 Menschen betroffen. Bei CED führt eine gestörte Immunantwort zu einer chronischen Entzündung des Magen-Darm-Trakts, die in Schüben immer wieder aufflammt.
Eine etablierte Therapie bei CED ist die Behandlung mit Antikörpern, die sich an spezifische Botenstoffe des Immunsystems binden und so deren Funktion blockieren. Die Entzündung wird dadurch gebremst, die Krankheit zwar nicht geheilt, aber kontrolliert. Allerdings schlagen diese Medikamente, die zur Gruppe der Biologika zählen, nicht bei allen Patientinnen und Patienten an. Bei einigen bleiben die Symptome bestehen. Eine bessere Vorhersage darüber, wer von dem Medikament profitiert und wer nicht, wäre für Behandelnde und Betroffene gleichermaßen ein großer Fortschritt.
Diesem Ziel sind nun Mitglieder des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) in einer Studie deutlich nähergekommen, die in der renommierten Fachzeitschrift „Gastroenterology“ veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Grundlagenforschung und Klinik von der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, wollten untersuchen, ob die Therapie mit Biologika das Darmmikrobiom, also die Gesamtheit aller im Darm lebenden Mikroorganismen, bei CED-Patientinnen und -Patienten beeinflusst und ob sich daraus Informationen über die Erfolgsaussichten der Therapie gewinnen lassen.
Biologikum verändert Darmmikrobiom
Schon in früheren Studien konnte gezeigt werden, dass die Diversität des Darmmikrobioms bei CED-Patientinnen und -Patienten im Vergleich zu gesunden Menschen geringer ist. Die Kieler Forschenden konnten in ihrer Studie nun zeigen, dass eine Biologika-Therapie tatsächlich die Diversität bei CED-Patientinnen und -Patienten in Richtung des Mikrobioms gesunder Menschen verändert. „Allerdings konnten wir, anders als gehofft, anhand dieser Veränderung keine Rückschlüsse auf das Therapieansprechen der Patientin oder des Patienten ziehen“, berichtet der Erstautor der Studie, Dr. Konrad Aden, Wissenschaftler am Institut für klinische Molekularbiologie der CAU und Facharzt für Innere Medizin am UKSH.
„Das liegt wahrscheinlich daran, dass mit derzeitigen Analysemethoden der Mikrobiomdaten danach gefragt wird, welche Bakterien vorhanden sind und nicht, was diese Bakterien machen, zum Beispiel welche Stoffe sie produzieren“, erläutert Professor Philip Rosenstiel, Direktor des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der CAU und Leiter des für die Sequenzieranalysen verantwortlichen Centers for Comprehensive Genome Analysis (CCGA).
Es kommt darauf an, was die Darmbakterien machen
Um also ein tieferes Verständnis über die Funktion des Mikrobioms unter Biologika-Therapie bei CED-Patientinnen und -Patienten zu gewinnen, wurde deshalb ein systembiologischer Ansatz verfolgt. „Wir haben am Computer den Nährstoffaustausch von Bakterien untereinander simuliert und darauf basierend berechnet, welche Stoffwechselendprodukte durch das Mikrobiom im Darm produziert werden“, erläutert Professor Christoph Kaleta, Leiter der Arbeitsgruppe Medizinische Systembiologie an der CAU. Interessanterweise zeigte sich hierbei, dass Patientinnen und Patienten, bei denen die Biologika-Therapie die Symptome erfolgreich bekämpft, schon vor Therapiebeginn einen völlig anderen Stoffaustausch im Mikrobiom aufweisen als Patientinnen und Patienten, bei denen die Therapie nicht wirkt. So produzieren die Darmbakterien bei den Betroffenen, die später auf die Therapie ansprechen, unter anderem mehr kurzkettige Fettsäuren, welche eine bekannte schützende Wirkung auf Darmzellen ausüben.
„Unsere Daten weisen darauf hin, dass ein genaueres Verständnis über den Stoffaustausch von Bakterien uns helfen kann zu verstehen, welche Prozesse im Mikrobiom bei CED-Patientinnen und -Patienten wirklich gestört sind. In Zukunft könnten gezielte Nahrungsmittelinterventionen helfen genau diese Defizite auszugleichen“, erklärt Rosenstiel, der die Studie am IKMB koordiniert hat.
„Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Präzisionsmedizin für chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Wir hoffen auf dieser Grundlage in Zukunft frühzeitiger und präziser erkennen zu können, ob die einzelne Patientin oder der einzelne Patient von einer Biologika-Therapie profitieren wird oder nicht“, sagt Professor Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters PMI, Direktor der Klinik für Innere Medizin I am UKSH, Campus Kiel und Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der CAU. Den Patientinnen und Patienten, denen das Biologikum nicht helfen wird, könnte das viel Aufwand und mögliche Nebenwirkungen ersparen.
Originalpublikation:
Konrad Aden, Ateequr Rehman, Silvio Waschina, Wei-Hung Pan, Alesia Walker, Marianna Lucio, Alejandro Mena Nunez, Richa Bharti, Johannes Zimmerman, Johannes Bethge, Berenice Schulte, Dominik Schulte, Andre Franke, Susanna Nikolaus, Johann Oltmann Schroeder, Doris Vandeputte, Jeroen Raes, Silke Szymczak, Georg H. Waetzig, Rainald Zeuner, Philippe Schmitt-Kopplin, Christoph Kaleta, Stefan Schreiber, and Philip Rosenstiel: Metabolic Functions of Gut Microbes Associate With Efficacy of Tumor Necrosis Factor Antagonists in Patients with Inflammatory Bowel Diseases, Gastroenterology, in press, available online 18 July 2019.
https://doi.org/10.1053/j.gastro.2019.07.025
Über PMI:
Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum).
Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.