Darmbakterien bei Typ-2-Diabetes: Das Übergewicht ist entscheidend
Publikation in Cell Host&Microbe: Ein Kieler Forschungsteam konnte zeigen, dass Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien bei Typ-2-Diabetes vor allem mit Übergewicht und Einnahmen von Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten zusammenhängen und weniger mit der Diabetes-Erkrankung.
Wer übergewichtig ist, hat ein deutlich erhöhtes Risiko auch an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Tatsächlich sind 86 % aller Patientinnen und Patienten mit diesem Diabetes-Typ übergewichtig. Bei beiden Stoffwechselerkrankungen spielen genetische Veranlagung, Lebensstil, wie etwa Ernährung und Bewegung, aber auch die Zusammensetzung der Darmbakterien eine Rolle. Denn die Bakterien im Darm, das sogenannte Darmmikrobiom, helfen dem Menschen bei der Nahrungsverarbeitung und haben damit direkten Einfluss auf den Stoffwechsel. Bei Menschen mit Übergewicht ist die Vielfalt der Darmbakterien im Vergleich zu normalgewichtigen Menschen deutlich verringert. Insbesondere „gute“ Darmbakterien, die Funktionen für einen gesunden Stoffwechsel erfüllen, sind reduziert. Das Gleiche gilt auch für übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes. Die Zusammenhänge von Genetik, Ernährung und Mikrobiom erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Medizinischen Fakultät an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). In einer in der renommierten Fachzeitschrift Cell Host & Microbe erschienenen Arbeit weist ein IKMB-Forschungsteam gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen nun Veränderungen des Mikrobioms nach, die mit Übergewicht zusammenhängen, und geringere Veränderungen, die spezifisch mit Typ-2-Diabetes zusammenhängen.
„Da Typ-2-Diabetes meistens mit Übergewicht zusammen auftritt, ist es schwierig zu unterscheiden, welche Veränderungen der Darmbakterien spezifisch nur für Typ-2-Diabetes sind und welche für das Übergewicht“, erklärt Professor Andre Franke, Direktor am IKMB und Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), die Ausgangslage. In enger Zusammenarbeit mit Professor Curtis Huttenhower von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston hat sich das Team um Franke daher gezielt dieser Fragestellung angenommen.
Darmmikrobiom bei Übergewicht und Medikamenteneinnahme verändert
Dazu haben sie das Darmmikrobiom aus 1.280 Stuhlproben bestimmt. Diese stammen aus sogenannten Kohortenstudien, in denen von zahlreichen Probandinnen und Probanden über längere Zeiträume regelmäßig Bioproben, etwa aus Stuhl, Urin und Blut, sowie Informationen über ihren Lebensstil, Krankheiten und Medikamenteneinnahme gesammelt wurden. Das Team um Franke hat für die aktuelle Forschungsarbeit daraus gezielt Probandinnen und Probanden aus drei Gruppen ausgewählt: normalgewichtige Menschen, übergewichtige Menschen und übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Die Untersuchungen zeigen, dass das Mikrobiom bei den übergewichtigen Personen – sowohl mit als auch ohne Typ-2-Diabetes – gegenüber den normalgewichtigen deutlich verändert ist. Der Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Typ-2-Diabetes war dabei relativ gering. „Die bisher beobachtete deutliche Verringerung der Artenvielfalt der Darmbakterien hängt bei diesen Menschen also vor allem mit dem Übergewicht und weniger mit dem Diabetes zusammen,“ erklärt die Erstautorin der Veröffentlichung, die Dänin Louise Thingholm vom IKMB in Kiel.
Zusätzlich hat das Team mithilfe der Kohorten untersucht, welchen Einfluss regelmäßig eingenommene Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel auf das Darmmikrobiom haben. Ihr Ergebnis: Sowohl Medikamente wie Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Antidepressiva und Antidiabetika, als auch Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium, Vitamine, Calcium und vor allem Eisen verändern das Darmmikrobiom merklich. „Solche Stoffe, von denen sich viele Menschen eine gesundheitsfördernde Wirkung erhoffen, verändern unsere Darmbakterien. Damit beeinflussen sie auch, wie wir unsere Nahrung verarbeiten und könnten möglicherweise auch eine Rolle bei Stoffwechselerkrankungen spielen“, so Franke.
Bestimmte Darmbakterien bei Typ-2-Diabetes häufiger
Sowohl das Übergewicht, als auch mögliche Medikamenteneinnahmen beeinflussen also die Darmbakterien von Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes. Mit bioinformatischen Methoden hat das Forschungsteam die beobachteten Mikrobiomveränderungen bei den Menschen mit Typ-2-Diabetes um diesen Einfluss korrigiert. So konnten sie einzelne Bakterienarten identifizieren, die spezifisch bei Typ-2-Diabetikerinnen und Diabetikern stärker vertreten sind.
„Wenn wir genauer verstehen, was diese Veränderungen im Mikrobiom konkret bewirken und welche Bakterien hier die wichtigen Akteure sind, dann können wir da in Zukunft gezielt angreifen und so die jeweilige Krankheit oder vielleicht auch ihre Entstehung beeinflussen“, erklärt Franke. „Aktuell bemühen wir uns um weitere Fördermittel, um in einem eigenständigen Forschungsprojekt im Mikrobiom gezielt nach therapeutischen Ansatzpunkten für Stoffwechselerkrankungen zu suchen. Das Mikrobiom ist besonders interessant, weil wir es deutlich einfacher beeinflussen können, als etwa das eigene Erbgut.“
Bildmaterial steht zum Download bereit:
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BU: Aus Stuhlproben wird die DNA der Darmbakterien extrahiert. Anhand der DNA analysieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) die Zusammensetzung des Darmmikrobioms.
Foto / Copyright: C. Bang / Uni Kiel, Exzellenzcluster PMI.
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BU: Eine Mitarbeiterin am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel bereitet die Stuhlproben vor. Aus ihnen wird die DNA der Darmbakterien extrahiert, um die Zusammensetzung des Darmmikrobioms zu bestimmen.
Foto / Copyright: C. Bang / Uni Kiel, Exzellenzcluster PMI.
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BU: Die DNA der Darmbakterien wird mit Hilfe von modernen Sequenziergeräten analysiert.
Foto / Copyright: C. Urban / Uni Kiel.
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BU: Professor Andre Franke, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Vorstandsmitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“.
Foto / Copyright: T. Eisenkrätzer / Uni Kiel, Exzellenzcluster PMI.
Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum).
Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.
Originalpublikation:
Thingholm et al., Obese Individuals with and without Type 2 Diabetes Show Different Gut Microbial Functional Capacity and Composition, Cell Host & Microbe (2019), https://doi.org/10.1016/j.chom.2019.07.004