Helmholtz-Forschende entschlüsseln Mechanismus neuer Wirkstoffe für die Behandlung von Depressionen, Schmerzen oder Übergewicht

Forschende des Helmholtz Zentrums München sind der Entwicklung neuartiger, selektiver Wirkstoffe für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen einen Schritt näher gekommen. Sie fanden heraus, wie Hemmstoffe ein spezielles Eiweiß inaktivieren, das eine entscheidende Rolle bei verschiedenen Erkrankungen spielt. Dieser Wirkmechanismus lässt sich auf andere medizinisch relevante Proteine übertragen, bei denen es bisher schwierig war, spezifische Hemmstoffe zu entwickeln und könnte daher zu einer effizienteren Entwicklung neuer Arzneimittel beitragen.

Depressionen, chronische Schmerzen oder Übergewicht wirken auf den ersten Blick wie unterschiedliche Erkrankungen. Doch ein kleines Protein mit der Abkürzung FKBP51 spielt bei allen drei Leiden eine Schlüsselrolle, wie verschiedene Studien belegen. Damit war das FKBP51 Eiweiß als Zielstruktur für Arzneitherapien bereits bekannt.

Die Sache hat nur einen Haken: FKBP51 lässt sich nicht einfach durch einen Wirkstoff hemmen, weil der Gegenspieler, das Eiweiß FKBP52, strukturell zu ähnlich ist. Während FKBP52 die Aktivität von Glukokortikoid-Rezeptoren** erhöht, wirkt FKBP51 hemmend auf diese. Glukokortikoid-Rezeptoren sind im Gehirn die „Empfänger“ von Stresshormonen. Ihre Aktivierung kann langfristig zu psychiatrischen Erkrankungen führen. Die Entwicklung eines selektiven Wirkstoffes, der zielgerichtet zwischen beiden Proteinen entscheiden und nur einen von ihnen hemmen kann, ist daher essenziell für die Entwicklung eines Wirkstoffs ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Die Situation lässt sich damit vergleichen, dass man einen spezifischen Schlüssel entwickeln muss, der nur in das Schlüsselloch von FKBP51, aber nicht das von FKBP52, passt.

Felix Hausch vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie entwickelte bereits im Jahr 2014 den hochspezifischen Hemmstoff SAFit, um nur das Protein FKBP51 und nicht FKBP52 auszuschalten***. „Der zugrundeliegende Mechanismus für diese Selektivität war jedoch unbekannt“, sagt Prof. Dr. Michael Sattler. Er ist Direktor des Instituts für Strukturbiologie am Helmholtz Zentrum München bzw. an der Technischen Universität München.

Wie wirken Hemmstoffe bei FKBP51?

Um diese Frage zu klären, kombinierten Sattler und Kollegen verschiedene Methoden. Mittels NMR-Spektroskopie wurde die interne Beweglichkeit des FKBP51 Proteins bestimmt, um zu untersuchen, welche Rolle diese für den SAFit Wirkstoff hat. Hinzu kamen biophysikalische Messungen zur Bindestärke und zu Geschwindigkeitsraten, die zur Bindung führen, sowie Mutationsanalysen. Werden im zugehörigen Gen einzelne Basen ausgetauscht, entstehen Eiweiße mit veränderten Eigenschaften. So lässt sich erkennen, welche Aminosäuren des Proteins erforderlich sind, um die Bindung eines Wirkstoffes zu vermitteln.

„Wir fanden heraus, dass SAFit-Moleküle in eine Bindetasche von FKBP51 binden, die normalerweise versteckt und nicht zugänglich ist, “, berichtet Sattler. „Die Bindestelle wird durch eine Aminosäure verschlossen, und ist nur in weniger als 1% aller Moleküle zugänglich. NMR-Experimente konnten zeigen, dass diese blockierende Aminosäure aber beweglich ist und manchmal den Zugang zur Bindetasche freigibt. SAFit-Moleküle können dies nun ausnutzen und in der Bindetasche andocken. Erst einmal gebunden, blockiert der Hemmstoff dann das FKBP51-Eiweiß. In FKBP52 liegt eine solche dynamische Bindetasche nicht vor, so dass die SAFit-Hemmstoffe nicht binden können.

Sattler spricht von einem „entscheidenden Schritt bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe“, denn: „Das hier entdeckte Konzept und unsere Methodik lassen sich nun auch auf andere Proteine übertragen, bei denen es schwierig ist, selektive Hemmstoffe zu entwickeln.“ Das eröffne neue Möglichkeiten für viele Erkrankungen mit „unmet medical needs“.

Weitere Informationen

Originalpublikation: Jagtap PKA et al, Selective inhibitors of FKBP51 employ conformational selection of dynamic invisible, Angewandte Chemie International Edition, Doi: 10.1002/anie.201902994

* Quellen: Balsevich et al, Nat Commun 2017,
https://www.nature.com/articles/s41467-017-01783-y

Maiaru et al, Sci Transl Med 2016, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/pmid/26865567/

** Glukokortikoid-Rezeptoren sind Bindungsstellen für Steroidhormone.
*** Quelle: https://www.psych.mpg.de/2017580/PM1410

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