Sorgen um Geld und Zukunft belasten junge Krebspatienten schwer
Finanzielle Sorgen stehen in der Spitzengruppe der Beeinträchtigungen in den Untersuchungen zur Lebensqualität junger Krebspatientinnen und -patienten. Was wir über die Hintergründe wissen und was nicht, hat die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs untersucht. Am 16. September 2019 stellte die DGHO auf einer Pressekonferenz in Berlin den 16. Band ihrer Gesundheitspolitischen Schriftenreihe vor. Er gibt einen Überblick über finanzielle Belastungen, Lücken in der sozialen Absicherung und macht konkrete Vorschläge für Verbesserungen. Darüber hinaus kritisieren DGHO und Stiftung aber auch den unzureichenden Stand der Daten für Deutschland im Vergleich bspw. zu Skandinavien oder den Niederlanden. Sie fordern die Erschließung der derzeit noch verstreuten Datenbestände, die Förderung der Forschung auf diesem Gebiet und konkrete Schritte zur Verbesserung der finanziellen und sozialen Situation der Betroffenen.
Mehr als 80 Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Krebs können heute geheilt werden. Doch die Erkrankung und die notwendige Behandlung führen zu schweren Belastungen. Dabei beschränken sich diese nicht nur auf die unmittelbaren gesundheitlichen Folgen der Erkrankung selbst und die operativen, strahlentherapeutischen und medikamentösen Interventionen. Leider werden die finanziellen und sozialen Auswirkungen von Krebs und den notwendigen Therapien noch zu wenig beachtet.
Bedeutung finanzieller und sozialer Auswirkungen für die Betroffenen
In zwei deutschen Studien zur Lebensqualität junger Patientinnen und Patienten mit Krebs finden sich finanzielle Probleme unter den „Top 3“ der Sorgen und Einschränkungen. Eine Erklärung dafür sind Einkommensverluste durch Verzögerungen oder Probleme bei der Rückkehr in den Beruf. Aus einer Übersicht aus 64 internationalen Publikationen geht hervor, dass nur 63,5 Prozent der Krebspatientinnen und -patienten zwischen 18 und 65 Jahren an den Arbeitsplatz zurückkehren. Allerdings zeigen umfangreiche Studien aus den Niederlanden, Skandinavien und der Schweiz, dass dies stark von der Diagnose, der Art der Therapie, den Regelungen im Sozialsystem und auch der Konjunktur abhängt. Da in den verschiedenen Altersgruppen die einzelnen Krebsdiagnosen unterschiedlich häufig sind, sind umfangreiches Datenmaterial und eine bevölkerungsbezogene Auswertung notwendig, um klare Aussagen zu treffen. Leider sind solche Auswertungen für Deutschland nicht vorhanden.
Konsequenzen für die Medizin
„Wir brauchen dringend bessere Untersuchungen zu den Auswirkungen von Krebs und seiner Behandlung auf die soziale Lage unserer Patientinnen und Patienten, denn sie haben eine große Bedeutung für die Entwicklung besserer und nebenwirkungsärmerer Therapiekonzepte. Unsere Therapie muss sich am optimalen Ergebnis für das Überleben bei tragbaren sozialen Folgen für die Betroffenen messen. Kurzum, wir müssen ganzheitlicher denken“, betonte Prof. Dr. med. Michael Hallek, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Universitätsklinik Köln und des Centrums für Integrierte Onkologie.
Die Mehrzahl der jungen Krebspatientinnen und -patienten wird langfristig durch niedergelassene Hämatologen und Medizinische Onkologen betreut. „Hier geht es nicht nur um Medikamente, Laborwerte und Röntgenbilder. Es ist uns wichtig, mit unseren Patientinnen und Patienten zu sprechen. Im Rahmen der Langzeit-behandlung stehen späte Toxizität und Zweitneoplasien im Vordergrund. Darüber hinaus bedingt das junge Lebensalter eine differenzierte Lebensplanung“, erläuterte Prof. Dr. med. Wolfgang Knauf, Vorsitzender des Berufsverbands der Nieder-gelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland – BNHO e. V. „Leider werden gerade diese wichtigen Leistungen der sprechenden Medizin in unserem System nicht ausreichend gewürdigt und finanziert.“
Unmittelbare finanzielle Belastungen und drohender sozialer Abstieg
Eine Krebserkrankung führt leider auch unmittelbar zu finanziellen Belastungen. Diese entstehen durch Zuzahlungen, die die Patientinnen und Patienten leisten müssen, und durch Kosten, die nicht von den Sozialversicherungen übernommen werden, wie in der vorgestellten Publikation ausgeführt wird. Krebsbehandlungen sind langwierig. Das Krankengeld beträgt 70 Prozent des regelmäßigen Arbeits-entgelts. „Wenn sich die Behandlung länger als 78 Wochen hinzieht, bleibt nur noch die Erwerbsminderungsrente. Im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 44 Jahren bedeutet das knapp unter 800 Euro im Monat“, sagte Dr. med. Volker König, Mitglied des Arbeitskreises Onkologische Rehabilitation der DGHO. „Ganz schlimm trifft es diejenigen, die in Ausbildung sind und noch keine Leistungsansprüche erworben haben. Sie rutschen nach kurzer Zeit auf Sozialhilfeniveau ab“, so König.
Situationsanalyse und Ratgeber in einem Band
Der von DGHO und Stiftung erarbeitete Band beinhaltet in seinem ersten Teil eine Situationsanalyse zu den sozialen und finanziellen Folgen einer Krebserkrankung. Durch die unterschiedlichen sozialen Situationen der Patientinnen und Patienten sind die Probleme vielschichtig. „Wir haben uns daher mit dieser ersten Untersuchung auf die jungen Menschen mit und nach Krebs konzentrieren müssen“, erläuterte Prof. Dr. med. Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Hierbei soll es jedoch nicht bleiben. Weitere Schriften sind durch die DGHO geplant. Freund ergänzte: „Im zweiten Teil des jetzt veröffentlichten Bandes ist ein Ratgeber für Betroffene enthalten. Er gibt wichtige Hilfestellungen von BAföG über Krankengeld und Rehabilitation bis hin zu Tipps für die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises.“ Der Ratgeber beruht auf den Fragen Betroffener im „Jungen Krebsportal“ der Stiftung. Darüber hinaus haben zahlreiche Betroffene mit Hinweisen und Erfahrungen aktiv an der Erstellung des Manuskriptes mitgearbeitet.
Praktische Forderungen und Verbesserungsvorschläge
„Analyse und Ratgeber sind ein erster wichtiger Schritt, aber wir müssen auch zu wirklichen Veränderungen kommen und etwas bewegen“, betonte Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Vorstand der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, Mitglied im Vorstand der DGHO und Oberärztin an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Dazu haben DGHO und Stiftung in einem eigenen Kapitel Vorschläge und Forderungen zusammengefasst.
An erster Stelle ist es notwendig, in Deutschland die Forschung zu finanziellen und sozialen Folgen von Krebs zu intensivieren. Die Politik muss die organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, damit auch in der Bundesrepublik Analysen nach dem Vorbild der skandinavischen Länder oder den Niederlanden möglich sind. Die Entwicklung spezieller Rehabilitationskonzepte sollte in vergleichenden Studien erfolgen und braucht eine spezielle Förderung. Darüber hinaus gilt es einige ganz praktische Fragen zu lösen, darunter, wie der unmittelbare finanzielle und soziale Absturz von Erkrankten in der Ausbildung verhindert werden kann. „Über diese Dinge werden die Betroffenen mit der Politik reden wollen. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und die DGHO werden ihnen dabei gerne helfen“, sagte Prof. Diana Lüftner in ihrem Schlusswort.
Der 16. Band der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO „Finanzielle und soziale Folgen der Krebserkrankung für junge Menschen. Bestandsaufnahme zur Datenlage und Anhang: Praktische Informationen und Hilfen für Betroffene“ kann in der DGHO-Geschäftsstelle bestellt oder im Internet heruntergeladen werden unter: https://www.dgho.de/publikationen/schriftenreihen/junge-erwachsene
Über die DGHO
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. besteht seit über 80 Jahren und hat heute mehr als 3.400 Mitglieder, die in der Erforschung und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit ihrem Engagement in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, mit der Erstellung der Onkopedia-Leitlinien, mit der Wissensdatenbank, mit der Durch-führung von Fachtagungen und Fortbildungsseminaren sowie mit ihrem gesund-heitspolitischen Engagement fördert die Fachgesellschaft die hochwertige Versor-gung von Patientinnen und Patienten im Fachgebiet. In mehr als 30 Themen-zentrierten Arbeitskreisen engagieren sich die Mitglieder für die Weiterentwicklung der Hämatologie und der Medizinischen Onkologie. Zentrale Veranstaltung für den wissenschaftlichen Austausch ist die Jahrestagung mit über 5.000 Teilnehmern, gemeinsam veranstaltet mit der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO), der Schweizerischen Gesellschaft für Medizi-nische Onkologie (SGMO) und der Schweizerischen Gesellschaft für Hämatologie (SGH+SSH). Ausführliche Informationen unter: www.dgho.de
Über die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Jährlich erkranken 15.000 junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 39 Jahren neu an Krebs. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist Ansprechpartnerin für Patienten, Angehörige, Wissenschaftler, Unterstützer und die Öffentlichkeit. Die Stiftungsprojekte werden in enger Kooperation mit den jungen Patientinnen und Patienten, Fachärztinnen und -ärzten sowie anderen Expertinnen und Experten entwickelt und bieten direkte und kompetente Unterstützung für die Betroffenen in ihrem Alltag mit der schweren Erkrankung. Dabei arbeitet die Stiftung inzwischen mit über 750 jungen Betroffenen zusammen. Die Stiftung ist im Juli 2014 von der DGHO e. V. gegründet worden. Ihre Arbeit ist als gemeinnützig anerkannt und wird ausschließlich durch Spenden finanziert.
Spendenkonto der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs:
Postbank, IBAN: DE57 1001 0010 0834 2261 04, BIC: PBNKDEFF
Pressemappe als ZIP-Datei zum Downloaden:
Digitale Pressemappe Krebs und Armut.zip