Rivalen im Immunsystem
Rivalität zwischen zwei Ubiquitin-ähnlichen Modifikatoren: Biologen der Universität Konstanz und des Biotechnologie-Instituts Thurgau entdecken überraschenden Mechanismus der Immunabwehr
Einen überraschenden und bislang einzigartigen Mechanismus des Signalsystems unserer Immunabwehr entdeckten Biologinnen und Biologen der Universität Konstanz und des Biotechnologie-Instituts Thurgau (BITg) in Kreuzlingen (Schweiz): Sie identifizierten die Interaktion zweier Ubiquitin-ähnlicher Modifikatoren, die in der Immunabwehr gegeneinander arbeiten und sogar ihren „Rivalen“ blockieren und verdrängen. „Ein solcher Mechanismus, wie ein Ubiquitin-ähnlicher Modifikator die Aktivierung eines anderen Ubiquitin-ähnlichen Modifikators hemmt, wurde bisher noch nicht beschrieben und ist ein völlig neuer Parameter für die Ubiquitinforschung“, schildert Prof. Dr. Marcus Groettrup, Professor für Immunologie an der Universität Konstanz. Die Forschungsergebnisse des Teams um Marcus Groettrup und Dr. Annette Aichem, die als Leiterin der FAT10-Gruppe am BITg maßgeblich zu der Arbeit beigetragen hat, sind am Dienstag, 1. Oktober 2019, im Wissenschaftsjournal „Nature Communications“ veröffentlicht worden.
Das proteinchemische Signalsystem unseres Körpers ist ein wichtiger Mechanismus des Immunsystems. Proteine und Enzyme werden in der Zelle von dem Signalsystem zur weiteren Verarbeitung „markiert“, als Anweisung an andere Stoffe des Körpers, diese zum Beispiel abzubauen oder innerhalb der Zelle zu transportieren – vergleichbar mit einem Adressaufkleber auf einem Postpaket, der besagt, wie mit dem Paket weiter verfahren werden soll.
Zu den bekanntesten Markierungssystemen gehören Ubiquitin sowie die Klasse der sogenannten Ubiquitin-ähnlichen Modifikatoren. Biologen aus Konstanz und Kreuzlingen haben nun eine bislang unbekannte Interaktion zwischen zwei offensichtlich „rivalisierenden“ Modifikatoren identifiziert, die gegensätzliche Wirkungen einleiten und sich aktiv gegenseitig verdrängen. Hierbei handelt es sich einerseits um das Protein FAT10, das im Körper eine entzündungsfördernde Wirkung erzielt. Andererseits handelt es sich um das Protein SUMO, das gegenläufig eine entzündungshemmende Wirkung aufweist. SUMO ist zugleich für die Aktivierung der sogenannten PML-bodies verantwortlich, die Viren im Körper bekämpfen.
Zwei Schlüssel für dasselbe Schloss
Um ihre Wirkung zu entfalten, müssen Ubiquitin-ähnliche Modifikatoren generell zunächst durch sogenannte E1-Enzyme aktiviert werden. Typischerweise besitzt jeder Modifikator ein hochspezifisches eigenes E1-Enzym, durch das er aktiviert wird – wie ein Schloss, zu dem es nur genau einen Schlüssel gibt. Überraschenderweise binden jedoch sowohl FAT10 als auch SUMO an exakt dasselbe E1-Enzym: Zwei Schlüssel für dasselbe Schloss, doch nur einer von ihnen kann im Schloss stecken. Beide Modifikatoren rivalisieren folglich um denselben Aktivator. Die Biologen aus Konstanz und Kreuzlingen stellten fest, dass FAT10 bei Entzündungsreaktionen des Körpers seinen Gegenspieler SUMO verdrängt. SUMO wird dadurch effektiv davon abgehalten, seine Wirkung zu entfalten und Proteine zu markieren. FAT10 setzt in Entzündungssituationen in gewisser Weise seinen „Rivalen“ außer Gefecht und kann dadurch seine eigenen Protein-Markierungen durchsetzen. Diese Rivalität zwischen den beiden Ubiquitin-ähnlichen Modifikatoren, vermuten die Forscher, könnte eine wichtige Rolle bei der Entzündungsregulation des Körpers spielen.
Folgen für die Virenbekämpfung
Folgenreich wird diese Rivalität aufgrund des Zusammenspiels zwischen SUMO und den PML-bodies im Rahmen der Virenbekämpfung. Wenn SUMO verdrängt wird, kann es die PML-bodies nicht aktivieren. In der Folge können diese wiederum nicht ihre antivirale Wirkung entfalten. Die Forschungsarbeiten aus Konstanz und Kreuzlingen bestätigen, dass sich im Fall der Grippe (Influenza) tatsächlich mehr Viren im Körper verbreiten, wenn FAT10 in der Zelle hochreguliert wird und seinen Gegenspieler SUMO verdrängt.
Die Forschungsarbeiten fanden im Rahmen des Konstanzer Sonderforschungsbereiches SFB 969 „Chemische und biologische Prinzipien der zellulären Proteostase“ statt. Zur Analyse des proteinchemischen Mechanismus kamen unter anderem Methoden der chemischen Protein-Kreuzvernetzung sowie der Massenspektrometrie zum Einsatz, die vom Konstanzer Biochemiker Prof. Dr. Florian Stengel und seinem Team durchgeführt wurden. „Eine fantastische Zusammenarbeit, die aus dem Sonderforschungsbereich heraus entstanden ist“, bekräftigt Marcus Groettrup.
Faktenübersicht:
- Veröffentlichung in Nature Communications: Aichem, A., Sailer, C., Ryu, S., Catone, N., Stankovic-Valentin, N., Schmidtke, G., Melchior, F., Stengel, F., and Groettrup, M. (2019) The ubiquitin-like modifier FAT10 interferes with SUMO activation. Nat. Commun. in the press
DOI: 10.1038/s41467-019-12430-z - Forschungsarbeit an der Universität Konstanz und dem Biotechnologie-Institut Thurgau (BITg). Das Biotechnologie-Institut Thurgau ist ein An-Institut der Universität in Kreuzlingen (Schweiz).
- Forschung im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 969 „Chemische und biologische Prinzipien der zellulären Proteostase“ der Universität Konstanz.
- Die Forschung wurde gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), durch den Sonderforschungsbereich SFB 969 „Chemische und biologische Prinzipien der zellulären Proteostase“ sowie die Graduiertenschule „Chemische Biologie“ (KoRS-CB) an der Universität Konstanz, durch die Velux Stiftung sowie durch das Emmy Noether-Programm der DFG (STE 2517/1-1).
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